Die großen Leitmedien spekulieren ja nun seit Wochen, ob es die Linke einfach zerfetzt. Insbesondere die Debatten um Sahra Wagenknecht sorgen immer wieder für solche Prognosen. Immer wieder wabern auch Gerüchte, die bekannteste Linke-Politikerin wolle eine neue Partei gründen. Am Wochenende veröffentlichte der Bundesvorstand der Linken nun eine „Leipziger Erklärung“. Aber was steht drin?
„Angesichts aller Krisen und dem Versagen der Ampel-Regierung sind linke Antworten mehr denn je gefordert“, kündigte der Bundesvorstand der Linkspartei die „Leipziger Erklärung“ an.
Formuliert wurde sie von von den Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan, von Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch, Tobias Bank, Jan Korte, Petra Pau und den Vorsitzenden der Landesverbände und der Landtagsfraktionen und dem Präsidium des Bundesausschusses.
Auch die beiden sächsischen Landesvorsitzenden Susanne Schaper und Stefan Hartmann und der Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Rico Gebhardt, begrüßten die Erklärung:
„Diese gemeinsame Erklärung aller demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten unserer Partei und unserer Fraktionen ist ein wichtiges Zeichen. Es gibt eine große Basis der Gemeinsamkeit und auch den gemeinsamen Willen, die Probleme im Land anzugehen. Die soziale Schieflage in unserem Land vergrößert sich mit jeder Krise, außenpolitisch gewinnen die Falken aller Länder an Einfluss und trotz Klimawandels verdienen Konzerne weiter an der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Unsere Partei ist die Stimme für Gerechtigkeit, Frieden und sozialen Klimaschutz. Wir wollen den Menschen eine Stimme sein, deren konkreten Interessen sonst von keiner anderen Partei vertreten werden.“
Nur: Gelingt das auch?
Für wen spricht die Linke?
Denn nach außen hin bietet die Linke auf Bundesebene – zumindest aus Sicht der großen Medien – ein Bild der Zerstrittenheit. Und Phrasen wie die vom „Versagen der Ampel-Regierung“ zeugen nicht wirklich von einem Angebot an die in der Bundesregierung vertretenen Parteien, mit ihnen künftige Koalitionen eingehen zu wollen. Aber gerade die mögliche Koalitionsfähigkeit wird in der „Leipziger Erklärung“ zumindest tangiert.
Und selbst ihre Kernwählerschaft droht ihr verloren zu gehen – und das mitten in einer Zeit, in der wachsende Teile der Gesellschaft tatsächlich von Armut bedroht sind.
„Die Linke als plurale sozialistische Partei war und ist eine historische Errungenschaft“, heißt es dazu in der „Leipziger Erklärung“.
„Heute aber ist sie in Gefahr. Relevante Gruppen in der Gesellschaft fühlen sich von ihr nicht mehr angesprochen. Zu oft bietet die Linke ein Bild der Zerstrittenheit und gegensätzlicher Antworten, schlechte Wahlergebnisse und Verluste von Mitgliedern sind deutliche Alarmzeichen. In der Öffentlichkeit wird sogar über die Bildung eines alternativen Parteiprojekts spekuliert. Wir sind dagegen bereit, für unsere gemeinsame Partei zu kämpfen, das historische Projekt einer geeinten, pluralen sozialistischen Partei zu verteidigen und weiterzuentwickeln.“
Dabei betont die „Erklärung“ den Wert einer wirklich lebendigen Diskussionskultur in einer Partei. Aber immer öfter wurde es ja in der jüngeren Vergangenheit auch persönlich. Die schrille Debattenkultur von den digitalen Plattformen hat auch die politische Diskussion bis in die Parteiverbände hinein aufgeheizt.
„Unsere Konflikte münden aktuell in einem zerstörerischen Gegeneinander. Das hat tieferliegende Gründe“, heißt es in der „Leipziger Erklärung“.
„Der Kampf gegen Hartz IV und die Prekarisierung der Arbeit, gegen Privatisierung, den Neoliberalismus und die militärische Durchsetzung westlicher Vormacht durch Kriegseinsätze war zum Zeitpunkt unserer Gründung das einigende und identitätsstiftende Band, das die Partei zusammenhielt. Seitdem hat sich die Welt weitergedreht. Die neoliberale Weltordnung unter der Hegemonie des Westens ist im Niedergang.
In dieser Situation reicht es nicht, bei der Opposition gegen den Neoliberalismus stehenzubleiben. Mit der immer sichtbareren Klimakatastrophe, dem notwendigen Ende des fossilen Kapitalismus, zunehmenden imperialen Rivalitäten zwischen USA-Russland-China, dem Erstarken einer extremen Rechten in Europa und schließlich dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stehen Fragen auf der Agenda, auf die wir nur ungenügend vorbereitet waren.“
Ist der Westen tatsächlich im Niedergang?
Ob der Westen „im Niedergang“ ist, darf man hier zumindest infrage stellen. Erst recht, weil das auch ein Topos ist, den die Rechtspopulisten ebenso eifrig bedienen, um sich damit als „Retter des Abendlandes“ aufzuspielen. Manchmal sind es eben auch nicht begründete Ausgangs-Thesen, die am Ende dazu führen, dass Fragen auf der Agenda stehen, „auf die wir nur ungenügend vorbereitet waren.“
Denn darum geht es ja letztlich, wenn man die Aufmerksamkeit der Wählerinnen und Wähler erreichen will: Welche Lösungsvorschläge packt man auf den Tisch? Sind sie verständlich? Bezahlbar? Und vor allem: Sind es Lösungen für die ganze Gesellschaft, die helfen, die genannten Probleme auch mit anderen Parteien als Koalitionspartner zu lösen?
Das kann schwierig werden, wenn man es mit dem Holzhammer formuliert. So auch in der „Leipziger Erklärung“:
„Unsere Antwort auf Energiekrise und drohende Wohlstandsverluste ist das Vorantreiben der Energiewende (statt Ausbau fossiler Infrastrukturen), das Brechen der Marktmacht von Konzernen sowie eine Stärkung der Interessen von Beschäftigten und Mittelstand. Es braucht ein grundlegendes Umsteuern. Denn in allen Krisen der letzten Jahre – Finanzkrise, Pandemie, Inflation – zeigte sich, dass liberalisierte Märkte unfähig sind, den Krisen angemessen zu begegnen.“
Wobei diese Analyse nun einmal stimmt: Ohne kluge Regulierungen und staatliche Grenzsetzungen entufern Märkte. Ihnen fehlt genau das, was ein Staat eigentlich gewährleisten soll: soziale Verantwortung. Und gerade die Jahre seit der großen Bankenkrise von 2008 haben gezeigt, dass es immer die Staaten mit Milliardensummen an Steuergeldern waren, die einspringen mussten, wenn „der Markt“ versagt hat.
„Ein krisenfestes Gemeinwesen kann gerade bei der öffentlichen Daseinsvorsorge, also beim Wohnen, der Gesundheit, dem Verkehr, dem Wasser oder der Energie, nicht auf dem Vertrauen auf ‚die Märkte‘ basieren“, stellt die „Leipziger Erklärung“ fest.
Was aber, wenn Konferenzen scheitern?
„Alle sind aufgefordert, sich politisch auf die Interessenvertretung von Arbeitenden bis Arbeitslosen, von Alleinerziehenden oder Ausgegrenzten, von Armen und Armutsbedrohten und allen, die nicht auf dem Geldsack sitzen, zu fokussieren“, formulieren Susanne Schaper, Stefan Hartmann und Rico Gebhardt ihre Sicht auf die aktuelle Lage der Linkspartei.
„Wer daran nicht mittun will, vertritt letztlich nur die eigenen Interessen. Unsere politische Aufgabe ist jedoch die Vertretung von Interessen aus der Bevölkerung, nicht die Vertretung von Binneninteressen in unserer Partei.“
Und auch dieser Wunsch aus der „Leipziger Erklärung“ ist begründet:
„Ein Fahrplan zur Rückkehr zur internationalen Kooperation ist nötig. Doppelstandards, die Völkerrechtsverletzungen nicht verurteilen, wenn sie von NATO-Verbündeten wie der Türkei und Saudi-Arabien begangen werden, lehnen wir ab. Gerade die drohende Klimakatastrophe erfordert weltweite Zusammenarbeit – auch mit China und Russland. Wie unsere Regierungsmitglieder in den Landesregierungen, Fridays For Future und die Friedensbewegung, fordern wir statt 100 Milliarden für Aufrüstung ein 100 Milliarden-Programm für Investitionen in erneuerbare Energien und eine ökologische Industriepolitik.“
Freilich hat gerade die Weltklimakonferenz in Ägypten gezeigt, dass dieser Wunsch nach „weltweiter Zusammenarbeit“ scheitert, wenn gerade die fossilen Länder alles tun, um die Verhandlungsergebnisse zu torpedieren. Manchmal muss man auch mal so nüchtern sein, diese Tatsache wahrzunehmen, und sich eingestehen, dass Klimakonferenz um Klimakonferenz am Ende verpufft, weil einige Länder und ihre zumeist autoritären Regierungen gar nicht gewillt sind, von ihrem Tun abzulassen.
Von den hunderten Lobbyorganisationen und Konzernen, die ihrerseits Einfluss nahmen auf die mageren Ergebnisse von Scharm asch-Schaich 2022 ganz zu schweigen.
Aber die „Leipziger Erklärung“ richtet sich auch eher nicht an potenzielle Wählerinnen und Wähler, sondern an die eigenen Parteimitglieder. Nach dem Erfurter Parteitag der Linken ist es der zweite Versuch, die Wogen in der Partei zu glätten und die Fronten aufzulösen.
Denn natürlich bietet eine Partei, die nur noch mit ihren inneren Konflikten zum bundesweiten Medienthema wird, kein gutes Außenbild. Und mit ihren Vorschlägen, wie eine bessere Politik gemacht werden könnte, dringt sie erst recht nicht durch.
Der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann, dessen Direktmandat bei den letzten Bundestagswahlen der Linken überhaupt noch den Wiedereinzug in den Bundestag ermöglicht hat, begrüßte die „Leipziger Erklärung“. „Dialog ist wichtig“, schrieb er auf Twitter. „Deshalb begrüße ich die Leipziger Erklärung.“
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