Die Pläne der sächsischen Regierung, den ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter Pham Phi Son und seine Familie nach 35 Jahren abzuschieben, sorgten in dieser Woche für einiges Aufsehen. Sie bestätigten die ziemlich vorgestrige Haltung der sächsischen Staatsregierung bei Bleiberecht. Und natürlich die Kritik, die die Landtagsabgeordnete der Linken, Juliane Nagel, erst am 19. August am aktuellen Innenminister der CDU geübt hatte.

Denn er setzt die rigide Abschiebepraxis seiner Amtsvorgänger ohne Korrektur fort und will auch Menschen abschieben lassen, die sich in Sachsen längst eine Existenz aufgebaut haben, die hier einem Beruf nachgehen oder die Schule besuchen. Und damit auch längst Steuern und Sozialbeiträge entrichten.

Doch Sachsens Landesregierung versperre langjährig in Sachsen lebenden Geflüchteten weiter die Möglichkeit auf einen Chancenaufenthalt, wie ihn die Bundesregierung inzwischen plant. Nichts anderes steckt in der Antwort von Innenminister Armin Schuster auf eine Anfrage von Juliane Nagel, Sprecherin der Linksfraktion für Asylpolitik (Drucksache 7/10374).

Nagel kritisiert „aberwitzige Argumentation“ des Innenministers

„Die Staatsregierung ist an die geltenden gesetzlichen Regelungen gebunden. Mögliche zukünftige Regelungen sind erst nach ihrem Inkrafttreten zu beachten“, gab sich der Minister in der Antwort vom 11. August ungerührt bürokratisch.

„Die konkrete Ausgestaltung der zukünftigen Bestimmungen ergibt sich zudem erst im Gesetzgebungsverfahren, eine Vorgriffsregelung erscheint deswegen auch unter diesem Gesichtspunkt als problematisch.“

Eine selbst höchst problematische Antwort, denn andere Bundesländer haben längst reagiert, weil diese Praxis schlicht keinen Sinn macht.

„Neun Bundesländer schützen langjährig hier lebende, geduldete und zum Teil auch junge Menschen bereits vor dem Rauswurf. Sie haben im Vorgriff auf die nahende bundesgesetzliche bereits Vorgriffsregelungen gegen Abschiebungen getroffen, wie wir sie bereits im Juni gefordert hatten. SPD und Grüne hatten das zwar begrüßt, die Koalition hat es aber dennoch abgelehnt“, kommentierte Juliane Nagel die Antwort.

„Die Argumentation des Innenministers bleibt aberwitzig. Der Freistaat unterstellt den neun Bundesländern rechtswidriges Handeln, die Regelungen zum Chancenaufenthalt und teils auch schnellere Zugänge für junge Menschen zur Aufenthaltserlaubnis erlassen haben. Mit dieser absurden Begründung kaschiert er der Unwillen vor allem der CDU, denjenigen Geflüchteten endlich ein Bleiberecht zu gewähren, die seit langem im Einklang mit den Gesetzen hier leben und arbeiten.“

Gesetzentwurf hat das Kabinett längst passiert

Und anders als Schuster behauptete, gibt es längst ein Gesetzgebungsverfahren, an dem sich auch Sachsen orientieren kann. Schon am 6. Juli hatte die Bundesregierung dazu informiert.

„Mittlerweile hat die Bundesregierung den Gesetzesentwurf zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ins Bundestagsverfahren verabschiedet. Es gibt also genug Orientierungspunkte dafür, wer unter welchen Bedingungen jetzt schon vor Abschiebungen geschützt werden könnte“, sagte Juliane Nagel.

„Der Chancenaufenthalt könnte für tausende Menschen in Sachsen endlich die zermürbende Realität jahrelanger Kettenduldungen beenden und den Weg zur gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft öffnen. Auch Sachsen muss den Betroffenen endlich Schutz und Sicherheit geben.“

Mit der geplanten Änderung des Aufenthaltsgesetzes soll ein sogenannter Chancenaufenthalt eingeführt werden. Davon sollen Menschen profitieren, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen.

Gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende können bereits nach drei Jahren Aufenthalt sowie bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Bremen, Thüringen, Niedersachsen, Brandenburg und Hessen haben ihre Ausländerbehörden bereits angewiesen, Menschen, die von der Regelung profitieren können, vor Abschiebung zu schützen, indem z.B. eine Ermessensduldung erteilt wird.

Abschiebung nach 35 Jahren?

Auf die geplante Abschiebung von Pham Phi Son reagierten am Dienstag, den 23. August, auch die Landtagsfraktionen von SPD und Grünen, welche die Haltung von Armin Schuster ganz und gar nicht teilen.

Die Fraktionen Bündnis 90 / Die Grünen und SPD im Sächsischen Landtag würden sich für eine bessere Bleibeperspektive und gegen die drohende Abschiebung der Familie Pham/Nguyen einsetzen, gaben sie in einer gemeinsamen Pressemitteilung bekannt.

„Wir Bündnisgrüne wollen uns mit der drohenden Abschiebung der Familie Pham/Nguyen nicht abfinden. Der Familienvater lebt seit 35 Jahren in Deutschland, beide Eltern können und wollen arbeiten und die kleine Tochter geht hier in den Kindergarten. Eine Formalie hat dazu geführt, dass die Niederlassungserlaubnis erloschen ist und Ausreisepflicht besteht“, geht Petra Čagalj Sejdi, asyl- und migrationspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Sächsischen Landtag, auf bürokratische Engstirnigkeit der sächsischen Ausländerbehörde ein.

„Menschen, die hier in Sachsen ein Zuhause gefunden haben und Teil unserer Gesellschaft sind, müssen eine Bleibeperspektive erhalten. Die zuständige Ausländerbehörde hat hier die Pflicht, dieser Familie alle mögliche Unterstützung und Beratung zukommen zu lassen, um den weiteren Aufenthalt zu legalisieren. Dabei sind alle Ermessensspielräume des Aufenthaltsrechts auszunutzen und die Integrationsleistungen angemessen zu würdigen. Völlig unverständlich finde ich in diesem Fall auch die Handlungsweise des Ausländerbeauftragten und Vorsitzenden der Härtefallkommission.“

Gemeinsam mit der SPD wollen sich die Grünen für eine bessere Bleibeperspektive im Freistaat einsetzen. Petra Čagalj Sejdi: „Menschen, die hier leben wollen und sich aktiv einbringen, sollen nicht an Formalien scheitern. Sie sind ein wertvoller Teil unserer Gesellschaft und haben eine echte Chance verdient.“

Appelle an Schuster und die CDU

Und genau so sieht es auch Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion: „Die drohende Abschiebung der Familie Pham/Nguyen sorgt völlig zu Recht für große Empörung und Verärgerung in weiten Teilen der Bevölkerung. Niemand versteht, warum diese Familie nach 35 Jahren abgeschoben werden soll.

Niemand versteht, warum Menschen, die integriert sind und schon lange in Deutschland leben, nicht die Chance bekommen, hier auch dauerhaft und ohne Angst vor Abschiebungen bleiben zu können. Niemand versteht, warum die CDU nicht bereit ist, über ihren Schatten zu springen. Schon jetzt können auch sächsische Behörden Ermessensspielräume nutzen. Das sollten sie unserer Auffassung nach auch endlich tun.“

Auch er verweist auf die Planungen der Ampel-Regierung, das Aufenthaltsrecht anzupassen.

„Das Bundeskabinett hat die Änderungen schon beschlossen. Jetzt noch bittere Fakten zu schaffen, ist unmenschlich!“, sagt Pallas. „Ich appelliere an die CDU und ihren Innenminister, ihre Haltung zu überdenken und diese Abschiebepraxis zu ändern.“

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