Das sächsische Regierungskabinett hat am Dienstag, 12. Juli, den Weg für Verhandlungen zur Rückübertragung des Eigentums von insgesamt 262 Objekten der Benin-Sammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) aus den Völkerkundemuseen in Dresden und Leipzig an die Bundesrepublik Nigeria eröffnet.
„Wichtiger Schritt zur Aufarbeitung der Kolonialgeschichte“
Auf Basis der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Nigeria, die am 1. Juli dieses Jahres geschlossen wurde, werden die großen Museen in Deutschland, in Berlin, Hamburg, Köln, Stuttgart und nun auch Sachsen, Gespräche aufnehmen. Das Kulturministerium und die SKD wurden vom Kabinett damit beauftragt, mit der nigerianischen Seite über den künftigen Besitz (Leihgaben und Präsentation in Deutschland) und über weitere Kooperationen zu sprechen.
Vorausgegangen waren lange und intensive Abstimmungen zwischen Bund, Ländern und den betroffenen Museen sowie internationale Verhandlungen zwischen Deutschland und Nigeria.
„Die Rückübertragung des Eigentums der Benin-Bronzen ist ein wichtiger Schritt zur Aufarbeitung der Kolonialgeschichte. Wir stellen uns gemeinsam mit anderen großen deutschen Museen unserer historischen Verantwortung und wollen die Voraussetzungen schaffen, gemeinsam mit nigerianischen Partnern über den künftigen Umgang mit den Benin-Bronzen zu sprechen, die durch einen Raub unrechtmäßig aus dem damaligen Königreich Benin entwendet wurden“, sagt Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch.
„Neben der Frage der Eigentumsrückgabe und der Präsentation eröffnet sich so auch die Chance für neue Kooperationen zwischen sächsischen und nigerianischen Museen. Denn Kultur ist seit Jahrhunderten ein wichtiger Brückenbauer und die Grundlage für unsere Zusammenarbeit.“
Die Geschichte der Benin-Bronzen
Die Bezeichnung „Benin-Bronzen“ ist ein Sammelbegriff für mehrere tausend Objekte aus dem Palast des Königreichs von Benin im heutigen Nigeria. Britische Kolonialtruppen eigneten sich die Objekte durch die gewaltvolle Plünderung des Königspalasts 1897 an und brachten die Objekte nach Großbritannien. Über Versteigerungen oder private Verkäufe in London, aber auch über den Handel auf dem afrikanischen Kontinent gelangten die Objekte dann in großer Zahl in europäische und nordamerikanische Sammlungen, davon ca. 1.100 nach Deutschland.
Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) haben mit 262 Objekten deutschlandweit den zweitgrößten Bestand an Benin-Bronzen in ihren Sammlungen, welche auf diese Plünderung zurückgehen. Die Objekte werden derzeit nicht ausgestellt und befinden sich im Depot. Die Benin-Bronzen befinden sich innerhalb der SKD in Dresden und Leipzig in zwei Museen der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens.
Verhandlungen seit März 2021
Seit März 2021 wurde über die Rückführung der Benin-Bronzen verhandelt und im April 2021 unter Leitung der damaligen Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, eine gemeinsame Erklärung zum Umgang mit den in deutschen Museen und Einrichtungen befindlichen Bronzen verabschiedet. Darin wurde die grundsätzliche Bereitschaft zu substantiellen Rückgaben von Benin-Bronzen festgehalten. Dieser Erklärung hatten sich viele weitere deutsche Einrichtungen angeschlossen.
Nun gibt es eine Einigung mit Nigeria über diese wertvollen Kunst- und Kulturgüter. Deutschland und Nigeria haben sich über den Umgang mit dem kolonialen Raubgut der Benin-Bronzen in deutschen Museen verständigt. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth unterzeichneten am 1. Juli 2022 in Berlin eine gemeinsame Erklärung mit dem nigerianischen Außenminister Zubairo Dada und dem Kulturminister Lai Mohammed.
Diese macht den Weg für die Eigentumsübertragungen der wertvollen Objekte zwischen deutschen Museen und der nigerianischen National Commission for Museums and Monuments frei und trifft weitergehende Vereinbarungen über eine bilaterale Museumskooperation.
Die Aufarbeitung der Herkunft der Benin-Bronzen ist nur ein Aspekt eines umfassenden Prozesses. Die Provenienzforschung ist heute wesentlicher Bestandteil der wissenschaftlichen Forschung an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD). Ziel ist es, Rechtssicherheit über sämtliche Bestände zu erhalten, die Erkenntnisse transparent darzustellen und gegebenenfalls Rückführungen zu veranlassen.
Was steckt noch in den staatlichen Sammlungsbeständen?
Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sind in der Provenienzforschung führend und geben bei entsprechenden Voraussetzungen Kunstwerke an frühere Eigentümer zurück, betont das Staatsministerium für Kultur und Tourismus. So gab es bisher z. B. über 500 Restitutionen aus NS-verfolgungsbedingtem Entzug, fast 3.700 Restitutionen aus den sogenannten „Schlossbergungen“ zu Zeiten der Sowjetischen Besatzungszone und über 1.400 aus Sachverhalten nach Gründung der DDR bis zur Wiedervereinigung.
Léontine Meijer-van Mensch, Direktorin der Staatlichen Ethnografischen Sammlungen (SES) innerhalb der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Leiterin des GRASSI Museums für Völkerkunde zu Leipzig, des Museums für Völkerkunde Dresden und des Völkerkundemuseums Herrnhut, sagt dazu: „Ich freue mich sehr, dass die Unterzeichnung der Erklärung über die Rückgabe von Benin-Bronzen durch die Bundesregierung und die Zustimmung für Verhandlungen zur Rückübertragung des Eigentums an die Bundesrepublik Nigeria durch das sächsische Kabinett erfolgt sind. Damit ist der Weg frei, um konkret über die Zukunft der 262 Objekte aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gemeinsam mit der nigerianischen Seite zu sprechen.“
„Wir hatten die bewusste Entscheidung getroffen, die Benin-Bronzen in Sachsen vor der Unterzeichnung der Erklärung nicht auszustellen. Mit dem heutigen Tag ergeben sich zukunftsgewandte Möglichkeiten der Kollaborationen und neue Ausstellungsformate“, ergänzt Léontine Meijer-van Mensch.
„Schon in der letzten Woche war der Künstler Enotie Ogbebor im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig zu Gast, um die Sammlung als Referenz für eine künstlerische Auseinandersetzung im Rahmen einer Live-Painting- und Musik-Performance zu nutzen. Die entstandenen Werke sollen die vielzähligen Möglichkeiten der Kooperation nach einer Restitution symbolisch aufzeigen.“
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