Eigentlich müsste Sachsens Umweltminister Wolfram Günther ein geplagter Mann sein. Seit zweieinhalb Jahren dürfen die Grünen in Sachsen mitregieren und ist er Minister in einer Koalition, in der nach wie vor die CDU die Mehrheit hat. Und auf den ersten Blick steckt Sachsen noch immer in den fossilen Energien, klemmt die Mobilitätswende, geht der Artenverlust munter weiter. Und jetzt auch noch der drohende russische Gaslieferstopp. Sind jetzt alle Pläne zum Umsteuern obsolet?
Man könnte fast so denken, wenn man den täglichen Alarmismus in deutschen Medien sieht. Da kommen die Uralt-Forderungen wieder auf den Tisch, die Atomkraftwerke am Netz zu lassen. Da wird von einer Verlängerung der Laufzeiten der Kohlekraftwerke schwadroniert.
Und große deutsche Medien stellen die völlig sinnfreie Frage: „Können wir uns Klimaschutz noch leisten“? Als wenn wir noch im gemütlichen Jahrzehnt Adenauers lebten, als qualmende Schornsteine als Zeichen des Aufschwungs galten und heiße Sommer die Ausnahme waren, nicht die Regel, die auch Sachsen seit 2018 erlebt.
Umsteuern mitten im Klimawandel
Wir stecken mittendrin in den gravierenden Folgen der Klimaerwärmung um bislang erst 1,2 Grad. Was bei 2 oder 3 Grad kommt, kann man sich so langsam vorstellen, wenn auch in Europa die Wälder brennen, die Böden vertrocknen und in den Städten die Hitzebelastung wächst.
Und trotzdem trifft man keinen verzweifelten Minister an. Die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag sind keineswegs Makulatur, sagt Günther. Im Gegenteil: 100 von 139 vereinbarten Maßnahme allein im Umwelt- und Klimaschutz wurden schon angepackt oder auch umgesetzt.
Aber darum geht es eigentlich auch gar nicht. Denn als Günther 2019 sein Amt antrat, fand er vor allem ein zusammengespartes Ministerium vor: 45 Prozent der Personalstellen im alten, CDU-geleiteten Umweltministerium waren im Lauf der rigiden Personalstreichungen ab 2011 abgebaut worden. Das Ministerium verwaltete eigentlich nur noch, gestalten konnte es gar nicht mehr.
Mit der Folge, dass die ersten beiden Jahre vor allem auch der Personalgewinnung dienten. „Und das ist kein leichtes Unterfangen in dieser Zeit“, sagt Günther. Doch ohne Fachleute, die die Materie verstehen, kann man das Umsteuern einer ganzen Landespolitik nicht bewerkstelligen. Das Referat Energie- und Klimapolitik musste völlig neu aufgebaut werden. Das gab es vorher überhaupt nicht. Dessen erstes wichtiges Arbeitsergebnis war das 2021 verabschiedete „Energie- und Klimaprogramm Sachsen 2021“.
Das oberste Ziel: Sachsen so schnell wie möglich komplett auf Erneuerbare Energien umstellen. Denn das, so Günther, sei ja eigentlich seit dem Kohlekompromiss von 2018 klar. Aber voran komme man nur, wenn alle mitmachen. Ein paar Vorzeigeprojekte genügten nicht. Alle müssten an einen Tisch – nicht nur die Ministerien, sondern auch die Wirtschaft und die Kommunen.
Die Strukturen müssen sich ändern
„Es geht um eine Änderung der Struktur“, sagt Günther. Der in den zweieinhalb Jahren auch die Erfahrung gemacht hat, dass die Akteure in Sachsen längst viel weiter sind, als es Medien meist darstellen. Die Wirtschaft sowieso. Denn mit steigenden Energiepreisen hätten die Unternehmen auch schon vor dem Ukraine-Krieg zu tun gehabt. Der Krieg hat die Sache nur noch verschärft und im Ministerium hören die Anfragen nicht auf, wie Unternehmen ihre Energieversorgung schnellstmöglich umstellen können auf Erneuerbare. „Die wollen das wirklich“, sagt Günther.
Und auch in den Kommunen ist die Veränderung im Denken längst spürbar, weiß er. Auch wenn es diesmal der Bund war, der mit seiner neuen Gesetzgebung den Druck erhöht hat. Etwa beim Windkraftausbau. Jetzt müssen die regionalen Planungsverbände nämlich wieder an die Arbeit und in den Regionalplänen die 2 Prozent Fläche für Windkraft ausweisen. Bislang haben sie sich allesamt als Bremser betätigt. Sachsenweit sind nur 0,2 Prozent der Fläche für Windkraftanlagen ausgewiesen. Damit kann sich der Freistaat nicht mal selbst versorgen.
Aber so langsam begreifen auch Landkreise und Gemeinden, dass sie keine Energiezukunft haben, wenn sie nicht endlich die Erneuerbaren vorantreiben. Und es fällt ihnen leichter, weil Günther sie alle in Netzwerke und an Runde Tische holt. „Es ist ein tiefgreifendes Umsteuern auf allen Handlungsfeldern“, stellt er fest.
Und staunt inzwischen selbst, dass das selbst innerhalb der Landesregierung so langsam begriffen wird. Während die üblichen konservativen Regionalmedien noch nach Sparen und Kürzen riefen, einigte sich das Regierungskabinett darauf, die Investitionen für Klima- und Umweltschutz im neuen Doppelhaushalt von 700 auf 900 Millionen Euro zu erhöhen.
Den Flüssen wieder Raum zum Leben geben
Etliches von diesen Geldern wird zum Beispiel in die Sanierung von Flüssen und Bächen fließen, für die ja bis 2019 ebenfalls galt: Hochwasserschutz geht vor Gewässerqualität.
Aber 2026 muss Sachsen der EU beweisen, dass der Freistaat tatsächlich angefangen hat, die Gewässerqualität wieder zu verbessern. Als Wolfram Günther sein Amt antrat, hatten gerade einmal 7 Prozent der sächsischen Fließgewässer eine gute Wasserqualität. Was nicht nur heißt, dass möglichst keine Schadstoffe drin schwammen (wie Pestizide oder ausgeschwemmte Nitrate aus der Landwirtschaft), sondern die Flüsse auch wieder natürliche Auen hatten, sich regenerieren konnten und ihre typische Artenvielfalt aufwiesen.
Die Leipziger Flüsse sind ja ein markantes Beispiel für völlig degradierte Flüsse, in denen die Brühe schäumt und das Wasser durch Kanäle durch die Stadt fließt, während der Auwald auszutrocknen beginnt. Das Leipziger Auenrevitalisierungsprojekt ist ein Teil der Sanierungsprogramme, welche die Landestalsperrenverwaltung jetzt umsetzen muss, nachdem sie 20 Jahre lang fast nur Hochwasserschutz betrieben hat. „Das musste sie auch erst lernen“, sagt Günther.
Und deshalb sehe man nicht so viel von seiner Arbeit. Denn das Meiste ist Umbauen, Umstrukturieren und das Handeln alter Institutionen ändern. Nur manchmal kommt er dann auch zu einer medienträchtigen Eröffnung wie am 6. Juli zur Inbetriebnahme des neu gebauten Wehrs Kleinliebenau II, mit dem jetzt das Wildbett der Luppe wieder Wasser bekommen kann. Günther: „Das war vorher so auch nicht möglich.“
Wenn Forst- und Landwirtschaft sich grundlegend ändern müssen
Und während die Landestalsperrenverwaltung lernt, Flüsse wieder zu renaturieren, lernen die sächsischen Bauern, wie man wieder richtigen Artenschutz betreibt.
„Das Thema bedrohte Biodiversität sehen wir mit derselben Wichtigkeit wie die Klimakrise“, sagt Günther. Denn auch in Sachsens Fluren geht das Artensterben munter weiter. Bauern und Forstleute müssen umdenken. Wobei die Waldbesitzer schon ein Stück weiter sind, so Günther. Die Dürre und das Sterben der alten sächsischen Nadelwaldplantagen („Die wir ererbt haben“) haben die Waldbesitzer wachgerüttelt. Gefördert werden in Sachsen sowieso nur noch Mischwaldstrukturen, möglichst mit natürlicher Waldverjüngung.
„Von wegen Widerstand“, sagt Günther. Die Waldbesitzer wissen, dass sie nicht mehr weitermachen können wie bisher.
Und so hat auch der Staatsbetrieb Sachsenforst umgedacht, sagt er. Und ist gleich beim nächsten Thema: der Abfallwirtschaft. Die ist in Sachsen auf kommunaler Ebene organisiert und die Kommunen setzten jahrzehntelang auf die alte Deponiewirtschaft. Aber nicht nur in Leipzig wird inzwischen über die Zero-Waste-Stategie diskutiert.
Inzwischen begreifen auch die regionalen Abfallzweckverbände, dass man wertvolle Ressourcen nicht einfach nur entsorgen und verbrennen kann. Sie machen sich inzwischen alle Gedanken darüber, wie man Zero-Waste-Strategien umsetzen kann. Wobei Günther ein anderes Wort bevorzugt: Kreislaufwirtschaft. Denn es geht nicht um „keinen Müll“, sondern darum, dass alle wertvollen Rohstoffe im Stoffkreislauf bleiben.
Und manche sollen auch gar nicht erst zu „Müll“ werden, sondern repariert und wiederverwendet. In Leipzig ja schon erfolgreich ausprobiert, mit dem „Reparaturbonus“.
„Jetzt wissen wir, wie es funktioniert“, meint Günther. Und kündigt an, dass es den Reparaturbonus bald landesweit geben wird.
Schritt für Schritt
Und das alles in einer Zeit, in der sich die Medien geradezu überbieten in Krisengeschrei. Und irgendwie stimmt es ja: Seit die schwarz-grün-rote Regierung in Sachsen ihre Arbeit aufnahm, kam eine Krise nach der anderen: Corona, Dürre, Afrikanische Schweinepest, Borkenkäfer, Ukraine-Krieg. Jede einzelne, so Günther, völlig ausreichend, ein Ministerium immerzu zu beschäftigen.
Und trotzdem habe man die Trendwende eingeleitet, sagt er. Oder auch den Transformationsprozess. „Wir müssen alle Themen verstetigen“, betont Günther. Denn den Freistaat wirklich nachhaltig zu machen, das werde dauern. Die meisten Projekte haben einen jahrelangen Vorlauf, bevor sie umgesetzt werden können – ob das Flussrenaturierungen sind oder neue Windkraftparks. Dafür brauche es Strukturen, die selbstständig arbeiten. Und das macht Günther zuversichtlich: „Stück für Stück kommen wir auf dem Weg voran.“
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