Ein altes Sprichwort – um nicht noch ein schärferes zu benutzen – lautet: „Wie der Herre, so’s Gescherre.“ Normalerweise müsste man es nicht auf einen sächsischen Polizeiapparat anwenden. Aber im gegenwärtigen Sachsen muss man es doch. Denn wenn Minister nicht das Format haben, Posten nach Eignung und Qualifikation zu besetzen, dann wird ein Apparat dysfunktional. Und die Mäuse tanzen auf dem Tisch.

Und natürlich ist deftige Kritik aus der Opposition normal. Das ist ihr Job. Und so kann man es einfach wegrauchen, wenn der Vorsitzende der Linksfraktion im Sächsischen Landtag am 14. April fragt: „Wie lange noch, Herr Ministerpräsident?“

Womit er sich auf die umstrittenen Personalentscheidungen von Innenminister Roland Wöller bezog, die in den letzten Tagen für medialen Wirbel sorgten. So die Stellenbesetzung der Polizei-Hochschule in Rothenburg, davor die Besetzung der Stabsstelle „Kommunikation“ bei der sächsischen Polizei.

Dazu dann noch die Versetzung des ehemaligen Präsidenten des Landeskriminalamtes (LKA), Petric Kleine, der seinen Job 2021 loswurde, nachdem der Skandal um die verschwundene Munition beim MEK des LKA öffentlich wurde.

Seltsame Aufnahmerituale

Und mit dem Mobilen Einsatzkommando (MEK) geht es ja dieser Tage munter weiter, nachdem am 13. April die seltsamen Aufnahmerituale im MEK publik wurden.

„Die Berichte über gewaltsame ‚Aufnahmerituale‘ bei den Mobilen Einsatzkräften sind erschreckend. Sie offenbaren erneut ein problematisches Führungs- und Corpsverständnis in den Spezialkräften der Polizei. Nach dem Munitionsskandal beim MEK Dresden ist nun der nächste Skandal bei den Mobilen Einsatzkommandos öffentlich geworden. Dies lässt tief auf die jahrelangen Missstände in den Spezialkräften blicken. Offenbar haben über Jahre hinweg bei den Mobilen Einsatzkommandos im LKA Sachsen Zustände geherrscht, die von absoluter Verselbstständigung und Selbstherrlichkeit zeugen.“

„Dass es zu solchen Exzessen kommen konnte, ist Ausdruck eines massiven Führungsversagens. Mit Blick auf die nun bekannt gewordenen Vorfälle war die Entlassung führender Köpfe des LKA im April 2021 richtig“, kommentierte das Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Sächsischen Landtag.

Wobei er tatsächlich noch hofft, dass die schon 2021 eingesetzte Untersuchungskommission an den Zuständen etwas ändert.

„Die durch die unabhängige Untersuchungskommission Spezialeinheiten der Polizei letztes Jahr vorgelegten Empfehlungen müssen weiter und konsequent umgesetzt werden. Wir Bündnisgrüne setzen uns für ein Führungsverständnis innerhalb der sächsischen Polizei ein, welches sich demokratischen Werten und gesellschaftlicher Offenheit verpflichtet und solche Vorkommnisse in den eigenen Reihen nicht toleriert. Dies stärkt nicht zuletzt das Vertrauen der Bürger/-innen in die Polizeiarbeit. Die nun bekannt gewordenen Vorfälle belegen überdies erneut, dass es notwendig ist, eine wirklich unabhängige Beschwerde- und Kontrollstruktur in der Polizei sowie einen Whistleblowerschutz zu etablieren“, sagte er am Mittwoch.

„Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller muss im Innenausschuss umfassend über die Vorfälle informieren. Vor allem erwarte ich Informationen dazu, warum die Vorfälle erst jetzt bekannt wurden und welche weiteren Schritte unternommen wurden, um aufzuklären, ob derartige Aufnahmerituale auch in anderen Spezialkräften stattfanden.“

Kein gutes Personal mehr zu finden?

Aber dass der Blick nach unten zu den außer Rand und Band geratenen Mannschaften möglicherweise der falsche ist, machte tags drauf Rico Gebhardt, Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, deutlich, als er fragte: „Wie lange noch wird der Ministerpräsident an seinem unfähigen Innenminister festhalten? Mehrfach hat er unter Beweis gestellt, dass er seiner Aufgabe in keiner Weise gewachsen ist, weder inhaltlich, noch menschlich. Seit Monaten jagt eine Panne die nächste. Nun vermehren sich Personalentscheidungen, die immer mehr Kopfschütteln hervorrufen, nicht nur bei der Opposition, sondern auch innerhalb des Ministeriums.“

Ist also Roland Wöller ein Pannenminister?

Natürlich. Er kann gar nicht anders.

Auch wenn es eigentlich um ein sehr ernstes Amt geht, wie Gebhardt noch anmerkte: „Mir könnte das eigentlich nur recht sein – ist es aber nicht, schließlich geht es um das wichtigste Ministerium mit den Zuständigkeiten Sicherheit, Bevölkerungsschutz, Kommunen und Sport. Dafür ist mehr nötig, als ein Minister, dem es nur um sein eigenes Image zu gehen scheint. Ein funktionierendes Ministerium mit kompetenten Mitarbeiter/-innen ist dafür unabdingbar.  Wenn Sie, Herr Ministerpräsident, aus alter Verbundenheit und Freundschaft weiter an diesem Innenminister festhalten, dann wird er Ihrer Freundschaft einen Bärendienst erweisen und der Freistaat Sachsen wird langfristig Schaden davontragen. Ihre Loyalität gegenüber Innenminister Wöller sollte angesichts der jüngsten Skandale endlich vorbei sein!“

Nur: Das Problem ist nicht Wöller.

Wenn Innenpolitik zu Parteipolitik wird

Jedenfalls nicht allein. Das Problem ist die seit 32 Jahren ununterbrochen in Sachsen regierende CDU, die seitdem auch sämtliche Innenminister gestellt hat, Innenminister, die eben nicht nur ihr Amt prägten und die Law & Order-Politik in Sachsen, sondern auch den Geist in ihrem Haus.

Und das Problem sind natürlich auch die Wähler, die über Politik falsch denken. Bis heute. Und dass sich das nicht ändern wird, dafür sorgen schon die Lehrpläne in Sachsens Schulen, die den jungen Leuten eines auf jeden Fall nicht beibringen: Worum es bei Gewaltenteilung eigentlich geht.

Denn nicht ohne Grund sind – rein theoretisch – Legislative (der Gesetzgeber), Exekutive (die Verwaltung) und Judikative (das Gerichtswesen) voneinander getrennt und werden Staatsbeamte auch nicht auf die gerade regierende Partei eingeschworen, sondern auf die Verfassung.

Was natürlich heißt, dass dem Gesetzgeber unbenommen ist, das Land politisch zu prägen und Richtungsentscheidungen zu beschließen.

Aber Macht macht dumm, wenn man sie zu lange in Händen hält. Und blind sowieso. Und seit mehr als zehn Jahren haben wir an dieser Stelle darüber berichtet, wohin es führt, wenn eine Regierungspartei meint, auch die Innenpolitik politisch instrumentieren zu müssen.

Nämlich über ihre Innenminister, die eben auch verantwortlich dafür sind, ob eine Polizei funktionsfähig ist (man denke nur an die fatale „Polizeireform 2020“) und welche Ermessensspielräume sie bekommt – da darf man an die vielen Überwachungsskandale von Dresden 2011 bis zur „Antifa-Sportgruppe“ in Leipzig denken.

Führungspersonal bestimmt das Klima im Haus

Und es ist ja nicht nur die politische Instrumentalisierung der Polizei, die so eklatante Fehlschläge mit sich bringt. Denn ganz offensichtlich haben die zuständigen Minister diesen politischen Willen, auch in der Sicherheitspolitik politisch Flagge zu zeigen, auch in der Stellenbesetzung zur Tat gemacht und so einige Leute in entscheidende Positionen befördert, die dafür nicht geeignet waren.

Leute, mit denen sich auch das Klima in solchen Ämtern und Abteilungen verändert. Denn Untergebene merken sehr genau, „woher der Wind weht“, was sie unter ihrem Vorgesetzten dürfen – und was der überhaupt nicht goutiert.

Heißt im Klartext: Ein verantwortlicher Minister beginnt das Machtspiel mit willfährigen Leuten erst gar nicht, sondern sorgt dafür, dass jeder frei werdende Posten mit dem kompetentesten Mann, der kompetentesten Frau besetzt wird, die man bekommen kann. Nur haben es diese Personen meist sehr schwer, überhaupt in die engere Wahl zu kommen, wenn „das Klima nicht danach ist“. Oder Parteifarbe verlangt wird.

Politische Willfährigkeit aber hat in der Innenpolitik eines Landes nichts zu suchen. Das Malen von Feindbildern übrigens auch nicht. Man erinnere sich nur an die legendäre „Hufeisentheorie“, die in Sachsens konservativer Elite bis heute gehegt und gepflegt wird.

Organisierte Verantwortungslosigkeit

Wer Sicherheitspolitik nicht neutral definiert, sondern in politischen Farben, bekommt genau das, was jetzt so schöne mediale Geschichten ergibt. Mit den Worten von Kerstin Köditz, zuständig für Innenpolitik bei der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag:

„Das ist kein verantwortungsloses Schulhofverhalten, sondern der jetzt bekannt gewordene Vorfall spricht für organisierte Verantwortungslosigkeit: Hier muss sofort eingeschritten werden – um den Vorfall aufzuklären, um eine Wiederholung unbedingt zu verhindern und um nicht noch weiteres Vertrauen in die Polizei zu verspielen. Jetzt ist Innenminister Wöller gefragt – er sollte sich nicht hinter seiner LKA-Präsidentin verstecken! Nach dem vorangegangenen Munitionsskandal um das MEK Dresden erwarte ich, dass er es nicht schon wieder dabei belässt, Bauernopfer zu suchen.“

Dass sich die CDU da lieber um das entstehende „falsche Bild“ sorgt, sagt eigentlich alles.

„Archaische Aufnahmerituale passen nicht zu einer professionellen Polizei. An dieser Stelle ist umfassende Aufklärung notwendig“, meinte am Donnerstag der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Rico Anton. „Wenn sich bewahrheiten sollte, dass Beamte die Verletzung ihrer Kameraden billigend in Kauf genommen oder sogar absichtlich herbeigeführt haben, dann können sie nicht weiter in der sächsischen Polizei Dienst tun. Das Verhalten ist auf das Schärfste zu verurteilen und wirft ein falsches Bild auf die vielen Polizeibeamten in Sachsen, die ordentlich ihre Arbeit machen.“

Ehrlich?

Die Vielzahl der Vorfälle erzählt nicht von ein paar außer Rand und Band geratenen Beamten, sondern von einer Führungskultur, die so nicht funktionieren kann.

Partei- oder Staatsdiener?

Die Frage steht ja wirklich: Wem dienen eigentlich Staatsdiener? Der gerade regierenden Partei? Oder den Bürgern, die sie beschützen sollen? Die jahrelangen, manchmal völlig abwegigen Diskussionen um die Unabhängige zentrale Vertrauens- und Beschwerdestelle für die Polizei (UVBP) haben ja gezeigt, dass das in den Köpfen etlicher Politiker einfach nicht klar ist, dass sie glauben, die Polizei gehöre ihnen, weil sie schon so lange regieren dürfen. Und die Beamten wären über jede Kritik erhaben.

Bei einem großen Teil der Wählerschaft funktioniert diese Argumentation. Denn sie korrespondiert mit dem herrlichen Gefühl, dass man als braver Bürger niemals in Konflikt mit der Polizei gerät, wenn man nur immer schön den Kopf einzieht und polizeiliche Ansammlungen weitgehend meidet. Aber das ist ein sehr fatales Bild vom Bürgersein. Funktioniert aber in Sachsen ganz gut.

Wer also sollte Wöller ersetzen? In der CDU bietet sich kein einziger Kandidat an, der das Format zu einem wirklich selbstbewussten Innenminister hätte.

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