Vize-Landrat und Landratskandidat 2022 Udo Witschas (CDU) gab gestern in Bautzen vor rund 600 Demonstrant/-innen bekannt, dass es „mit uns“, also ihm und Landrat Michael Harig, keine Durchsetzung des Bundesgesetzes zur branchenbezogenen Impfpflicht geben wird. Bereits 24 Stunden später ist klar, dass es sich bei dieser Ankündigung eines Rechtsbruchs um eine Bautzener Posse handelt. Das zeigen das Zurückrudern des CDU-Politikers am heutigen Tag, das Einschreiten der Landesdirektion Sachsen sowie die Daten einer Umfrage zum Impfstatus bei Pflege- und Krankenhausmitarbeiter/-innen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zur branchenbezogenen Impfpflicht. So liegt laut DKG „der Anteil der Mitarbeiter, die mindestens zweimal gegen COVID-19 geimpft sind, bei jeweils rund 90 %. Besonders hoch ist die Durchimpfung im Pflegedienst mit rund 95 %“. Hat Bautzen also ein besonderes Problem?
Offenkundig ja, denn wie Udo Witschas Vorgesetzter und Landrat Michael Harig (CDU) ja gestern an Ministerpräsident Michael Kretschmer schrieb, sei ein Verlust von 10 Prozent Personal unverkraftbar. Damit geht also der Landrat des Landkreises Bautzen von wenigstens 10 Prozent der Mitarbeiter/-innen aus, die nach seinen Beratungen mit den örtlichen Krankenhäusern diese bis zum 16. März 2022 verlassen werden.Doch über die Ursachen dafür wird noch bis zum 15. März 2022 ebenso zu streiten sein, wie über die richtigen Lösungen.
Denn die Auswertung einer repräsentativen Blitzumfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) unter bundesweit 246 Krankenhäusern ab 50 Betten zeigt auf den ersten Blick ein sehr positives Bild. In der Umfrage im Krankenhaus-Pool des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) gaben die Krankenhäuser Impfquoten beim eigenen Personal von bis zu 95 Prozent an.
So läge „in den patientennahen wie den patientenfernen Bereichen (…) der Anteil der Mitarbeiter, die mindestens zweimal gegen COVID-19 geimpft sind, bei jeweils rund 90 %. Besonders hoch ist die Durchimpfung im Pflegedienst mit rund 95 %“, so die DKG in einer aktuellen Meldung vom 24. Januar 2022.
Zwar zeigt die Umfrage im Weiteren auf, dass es nicht einfach werden wird, die branchenbezogene Impfpflicht ab dem 16. März 2022 auch in der Praxis umzusetzen. Doch zwei Probleme tauchen in der Umfrage neben der generell und bekanntermaßen dünnen Personaldecke auf, die in Bautzen ähnlich sein dürften. Und ein Lösungsvorschlag, welcher eine Menge Druck aus dem System auch in Bautzen nehmen könnte.
Krankenstand und Bürokratie
Denn „aktuell berichten fast drei Viertel der Krankenhäuser von höheren krankheitsbedingten Personalausfällen in ihren patientennahen Bereichen als sonst um diese Zeit üblich. Hier sind derzeit in 12 % der Krankenhäuser die Ausfälle deutlich höher (20 % oder mehr Mitarbeiter erkrankt als üblich) und in 60 % der Einrichtungen höher als üblich (5 % und 20 % mehr erkrankt). Etwa jede vierte Klinik kann dagegen keinen nennenswerten Unterschied (+/- 5 %) im Krankenstand bei ihren patientenversorgenden Mitarbeitern feststellen“, so die DKG weiter.
Was erst einmal bedeutet, dass die zwei Jahre der Pandemie ihre Spuren hinterlassen haben und auch COVID-19-Erkrankungen den Krankenstand offenbar zusätzlich nach oben treiben. Genau hier bei den langwierigen COVID-19-Erkrankungen könnten Impfungen vorab helfen, neben der Schwere auch die Zeit der Erkrankung zu senken.
Zudem zeigen die Zahlen, dass das System mal Luft statt noch mehr Belastungen bräuchte, wie sie ja eventuell ausscheidende ungeimpfte Kräfte darstellen würden.
Dazu schlägt DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß jedoch nicht etwa eine Aussetzung der Impfverpflichtung für die eh bereits weit über dem deutschen Bevölkerungsschnitt geimpften Mitarbeiter/-innen vor, sondern fordert eine drastische Entlastung des Arbeitsalltages.
„Die Personalausfälle sind aktuell ein deutlich größeres Problem als in normalen Jahren. Das zeigt, dass wir die verbleibenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Patientenbehandlung bestmöglich entlasten müssen, um die Versorgung aufrechterhalten zu können. Dazu braucht es einen Bürokratie-Lockdown, der alle Dokumentationen, die nicht medizinisch-pflegerisch notwendig sind, aussetzt.“
So gehörten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „ans Krankenbett zu den Patientinnen und Patienten und nicht an die Schreibtische oder in Prüfungen des Medizinischen Dienstes“.
Gaß weiter zu den durchaus beeindruckenden Potenzialen, welche hier im Alltag pro Mitarbeiter/-in lägen: „Krankenpflegekräfte müssen etwa drei bis vier Stunden ihrer täglichen Arbeitszeit mit Dokumentation und anderen bürokratischen Arbeiten verbringen. Ein Großteil davon ist für medizinische und pflegerische Belange der Patienten nicht relevant.“
Statt Lösungssuche eine Teilkapitulation in Bautzen
Es ist demnach wohl eher an der Zeit, dass sich verantwortungsbewusste Politiker/-innen nun dafür einsetzen, einen sofortigen und womöglich nachhaltigen Bürokratieabbau in den Kranken- und Pflegeeinrichtungen voranzutreiben, statt vor einem Landratsamt den Volkstribun zu geben, wie am Abend des 24. Januar 2022 Udo Witschas. Um die Stimmung zu beruhigen, wie er heute meint – bei wem genau, ließ er offen.
Seine unisono so verstandene, krude Idee, auf Kreisebene mal eben mindestens indirekt die Umsetzung der bundesweiten Impfpflicht für das Kranken- und Pflegepersonal auszusetzen, durfte er schon heute in einem Brief an die Landesdirektion erklären.
Da klingt es auch bei Witschas schon deutlich anders, als wie er gestern ausführte: „Wenn Sie mich danach fragen, was das Gesundheitsamt des Landkreises Bautzen machen wird ab dem 16.03., dann werden wir unseren Mitarbeitern im Pflege- und im medizinischen Bereich kein Berufsverbot, kein Betretungsverbot erteilen.“
Die indirekte Zusicherung an die letzten Impfunwilligen, dass am 16. März 2022 im Landkreis Bautzen erst einmal gar nichts passiert. Ein Missverständnis, es sei ihm nur um die Versorgungssicherheit gegangen.
In seinem Schreiben an Landesdirektions-Präsidentin Regina Kraushaar stellt nun Witschas selbst fest, dass auch seine „Kreisverwaltung an Recht und Gesetz gebunden ist. Die durch den Bundestag am 10. Dezember 2021 beschlossene einrichtungsbezogene Impfpflicht nach § 20a IfSG kann nicht durch den Landkreis Bautzen aufgehoben oder ausgesetzt werden.“
Die Aussetzung sei jedoch davon unabhängig eine „politische Forderung“, geboren aus der „Impflücke“, welche man bei der Abfrage in den Einrichtungen im Landkreis festgestellt hätte. Dennoch könne er das Betretungsverbot für auch dann noch ungeimpfte Mitarbeiter/-innen ab dem 16. März 2022 nicht durchführen, da sonst auch angesichts der gleichzeitig laufenden Omikronwelle ein Versorgungsnotstand drohe.
Genaue Zahlen dazu nennt Udo Witschas auch in diesem der LZ vorliegenden Schreiben nicht. Der Lösungsvorschlag von DKG-Vorstandsvorsitzendem Dr. Gerald Gaß taucht ebenfalls nicht auf. Witschas schildert faktisch eine scheinbar unlösbare Situation, wobei er Zahlen und Fakten verschweigt, alternative Lösungen ausklammert oder nicht kennt.
Um im gleichen Schreiben zu betonen, dass man sich weiterhin um höhere Impfquoten bemühen will.
Rückzug oder Impfpflicht für alle?
Ob der Kandidat für die im Juni 2022 stattfindende Landratswahl dabei den wirklichen Willen der Mehrheit der in Deutschland in den Krankenhäusern und Pflegediensten arbeitenden Menschen vertritt, ist angesichts der abschließenden Forderung der DKG mehr als fraglich.
In dieser fordert Dr. Gerald Gaß als Fachmann praktisch das Gegenteil. „Dass Rechtsklarheit hergestellt wird und die Gesundheitsämter nach dem 15. März einheitlich und mit angemessenen Übergangsfristen das weitere Verfahren umsetzen. Und wir brauchen neben dem politischen Bekenntnis nun auch die umgehende Umsetzung einer allgemeinen Impfpflicht.“
Es sei „den Beschäftigten am Krankenbett auf Dauer kaum vermittelbar, warum sie selbst einer Impfpflicht unterliegen, gleichzeitig aber der weitaus größte Teil der Patienten, um die sie sich kümmern müssen, die Impfung leichtfertig nicht genutzt hat“.
Denn – und das wird ja immer gern vergessen in der aktuellen Debatte – es sind die freiwillig ungeimpften Menschen auch in Sachsen, die ohne oder mit ungenügendem Impfschutz zu über 70 Prozent der COVID-19-Patienten in den Krankenhäusern stellen. Und das, obwohl sie nur noch 25 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung darstellen.
Was auch für die Mehrbelastung sorgt, unter der nun seit zwei Jahren das Gesundheitssystem und die Mitarbeitenden in den Krankenhäusern leiden.
Apropos Leid: Zwei Drittel der befragten Krankenhäuser gehen von Einschränkungen in der Patientenversorgung wegen nicht geimpfter Mitarbeiter aus, wenn sich die Impfquoten nicht weiter verbessern. Bei Impfquoten unter 95 % der Mitarbeiterschaft erwarten sogar rund 80 % der Krankenhäuser entsprechende Einschränkungen.
Das wären also die Auswirkungen, welche dann die ungeimpften Mitarbeiter/-innen zu verantworten hätten. Und eine Politik, die sich von wenigen erpressen und gegen eine Mehrheit in Stellung bringen lässt, statt an Lösungen zu arbeiten.
Die DKI-Blitzumfrage der DKG zur Impfquote und Personalausfälle vom 24.01.2022 (PDF). Quelle: DKG
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