Es sind auch die großen Regionalzeitungen in Sachsen, die dazu beigetragen haben, dass im Freistaat nicht mehr wirklich über Zukunftslösungen diskutiert wird. Und konservative Bremser wie der CDU-Finanzminister eine Bühne für eine Finanzpolitik bekommen, die schon seit Jahren den sozialen Zusammenhalt zerstört. Dass die Coronaproteste mit der „Schuldenbremse“ der CDU etwas zu tun haben könnten, scheint man nicht mal bei der „Sächsischen Zeitung“ verstanden zu haben.

Die hat am Samstag, 4. Dezember, ein Interview mit Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann (CDU) geführt, das schon im Titel etliche Leser/-innen vor den Kopf gestoßen haben dürfte: „Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt“. Eigentlich eine schallende Ohrfeige für Billiglöhner, prekär Beschäftigte, eigentlich ganze Regionen, die aufgrund einer rigiden Sparpolitik der CDU-geführten Landesregierungen regelrecht abgehängt wurden.Kommunen und Landkreise geraten immer öfter an die Grenze genehmigungsfähiger Haushalte. Infrastrukturen fehlen oder können nicht repariert werden. Aber das „Sparschwein“ der jeweiligen Finanzminister, der sogenannte Generationenfonds, wächst Jahr um Jahr um mehrere hundert Millionen Euro, hat längst die 9-Milliarden-Euro-Grenze hinter sich gelassen. Geld, das dem sächsischen Haushalt direkt entzogen wurde. Die Landesbediensteten und Minister in der Regierung sind ganz bestimmt nicht die, die unter diesem Sparkurs gelitten haben.

Meint Vorjohann mit „wir“ also eigentlich nur all die Personen, die aus dem Generationenfonds ihre Altersbezüge bekommen werden? Zumindest hat er mit keinem Gedanken an die Millionen Sachsen und Sächsinnen gedacht, die jetzt schon wissen, dass sie mit mageren Altersrenten auskommen müssen.

Sachsen als Land, „das über seine Verhältnisse gelebt hat“? Das klingt nicht nur Henning Homann, dem Co-Vorsitzenden der sächsischen SPD, wie blanker Hohn.

Die Schuldenbremse muss gelockert werden

Dabei hat auch längst die CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag angekündigt, dass sie bereit ist, die seit 2013 in der Verfassung festgeschriebene Schuldenbremse zu lockern und die Tilgungsfrist für die Corona-Kredite, die das Land aufgenommen hat, von 8 auf 15 Jahre zu verlängern.

Ob auch SPD und Grüne den CDU-Vorschlag annehmen, ist offen. Das soll erst am heutigen Dienstag, 7. Dezember, in der Haushaltsklausur der Koalition geklärt werden. Jede Fristverlängerung entspannt die sächsischen Haushaltszwänge ab 2023 und eröffnet Spielräume, die Vorjohann im SZ-Interview einfach negierte. Spielräume, die in Sachsen dringend gebraucht werden, wenn nicht auch noch der letzte Rest von gesellschaftlichem Zusammenhalt den Bach runtergehen soll.

Mit Blick auf die Haushaltsklausur der Koalition am heutigen Dienstag geht Henning Homann, Co-Vorsitzender der SPD Sachsen, sehr kritisch auf das Interview von Finanzminister Vorjohann in der Sächsischen Zeitung ein: „Die SPD hat ein Konzept für die Zukunft Sachsens erarbeitet. Es geht dabei nicht um ‚Spaß und Spiel‘, sondern um sichere Arbeitsplätze und sozialen Zusammenhalt. Wir wollen heute in den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft mit sicheren Arbeitsplätzen, moderne Schulen, Digitalisierung und moderne Verkehrsinfrastruktur investieren.“

Ohne Investitionen keine Zukunft

Aber wer investieren will, braucht Geld, Geld, das aber nach den Vorstellungen Vorjohanns ab 2023 nicht mehr zur Verfügung steht, weil er es für wichtiger hält, den kreditgebenden Banken schleunigst ihre Kredite zurückzuzahlen. Aus der so wichtigen Corona-Hilfe, die der Landtag mit bis zu 6 Milliarden Euro beschlossen hat, würde dann nach Auslaufen der Pandemie auf einmal ein Finanzkorsett werden, in dem der Landtag seine finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten verliert.

Die Änderung der Schuldenbremse in der Verfassung ist also zwingend notwendig, wie Homann feststellt.

„Dafür wollen wir durch eine Reform der Verfassung die Voraussetzung schaffen. So bekommen Kommunen, Wirtschaft und Vereine Planungssicherheit“, sagte er am Montag und kritisierte den Finanzminister gleichzeitig für seine Unfähigkeit, Lösungen zu entwickeln, die dem Freistaat ab 2023 nicht sämtliche Handlungsoptionen nehmen.

„Wir erwarten vom Finanzminister Vorschläge, wie wir in Sachsen das wirtschaftlich Vernünftige und sozial Notwendige auf den Weg bringen können. Das polemische Abbügeln aller Lösungsansätze außer eigener Kürzungsfantasien reicht nicht. Wir erwarten von einem sächsischen Finanzminister daher, dass er Probleme nicht nur benennt, sondern auch löst.“

Wer über das Geld verfügt, regiert

Andererseits ist das Vorjohann-Interview auch eine Machtdemonstration des Finanzministers, der in der sächsischen Regierung deutlich mehr Macht hat als der Vize-Ministerpräsident. Denn in Sachsen wird mit Geld regiert. Und wer über die Gelder, Förderinstrumente und Regionalisierungsmittel verfügt, bestimmt, was im Land möglich ist und was nicht. Bis dahin, dass andere Ministerien ihre Konzepte nicht umsetzen können, weil ihnen schlicht der Etat dazu fehlt.

Das hat in Sachsen auch jahrzehntelang die Machtposition der CDU in den ländlichen Räumen gestärkt. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Stimmung dort nach und nach gekippt ist und sich ganze abgehängte Regionen begannen zu radikalisieren.

Die breite Wählerbasis der AfD ist ein direktes Ergebnis dieser Entwicklung, die immer auch mit einem Rückzug des Staates aus der Fläche einherging – Abbau von Polizeistationen, Schließung von Krankenhäusern und Schulen, Schließung vom Verwaltungszentren und Ausdünnung des ÖPNV … Eine Kette mit fatalen Folgen.

„An Sachsens Zukunft zu sparen, können wir uns nicht leisten“, sagt Homann. „Der Ansatz, gerade jetzt in die Zukunft zu investieren, wird von zahlreichen Ökonomen unterstützt. Auf Kosten der Sächsinnen und Sachsen kopf- und ideenlos zu sparen, wird es mit der SPD jedenfalls nicht geben.“

Jetzt kann man gespannt sein, welches Ergebnis die beiden kleineren Koalitionspartner heute in der Kabinettssitzung erreichen, ob es vielleicht sogar mehr Jahre zur Kreditrückzahlung werden, als die CDU vorgeschlagen hat.

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