Im Grunde hat man seit 2011, seit dem Bekanntwerden des rechtsradikalen โNSUโ, auf so einen Satz aus dem sรคchsischen Innenministerium gewartet: โDer Kampf gegen Rechtsextremismus zรคhlt aktuell zu den grรถรten Herausforderungen fรผr die Sicherheit in unserem Freistaat.โ Aber er kam nicht. Er kam bis zuletzt nicht. Selbst zur Innenministerkonferenz am 3. Dezember meinte Sachsens Innenminister Dr. Roland Wรถller, den Linksextremismus als das groรe Feindbild auf den Tisch packen zu mรผssen. Wer immer mit dem Finger auf die Linksextremen zeigt, muss ja die Rechtsextremen nicht ernst nehmen. Oder? Es sei denn, es gibt Morddrohungen gegen Sachsens Ministerprรคsidenten.
Die gab es dann auf Telegram und eine ZDF-Dokumentation brachte sie an die รffentlichkeit. Mit dem Ergebnis, dass Wรถller sich am 8. Dezember entsetzt zeigte.
Als hรคtte er das den sรคchsischen Rechtsextremen, die nun schon mehrfach mit diversen kriminellen Vereinigungen wie etwa der โGruppe Freitalโ vor Gericht standen, immer noch nicht zugetraut.
Zwรถlfseitiges Papier nach zwei langen Jahren
Augenscheinlich brachte das im sรคchsischen Regierungskabinett Dinge in Bewegung, die bislang nur zรถgerlich angepackt wurden, weil sich gerade die darin vertretenen CDU-Politiker/-innen irgendwie nicht gemeint fรผhlten vom Dauerangriff rechtsextremer Gruppen auf die Demokratie. Man sah das irgendwie immer als Problem der โLinkenโ, die sich mit diesen rechten Drohungen beschรคftigen mussten. Und der Linksextremen, die sich mit den Rechtsextremen kloppten.
Mit den eskalierenden Corona-Protesten, die sich unter Beteiligung sรคchsischer Rechtsextremer immer mehr radikalisierten, ist einmal mehr deutlich geworden, dass das Angriffsziel der Rechtsextremen (nicht nur in Sachsen) die Demokratie selbst mit all ihren Institutionen ist.
Und da erstaunt trotzdem, wie lange es gedauert hat, dass die im Koalitionsvertrag versprochene Entwicklung eines Gesamtkonzepts gegen Rechtsextremismus nach zwei langen Jahren endlich in ein zwรถlfseitiges Papier gegossen wurde. Dieses sieht vor, staatliche Strukturen und zivilgesellschaftliche Initiativen besser aufeinander abzustimmen und insbesondere die prรคventive Arbeit zu stรคrken.
Denn nur wenn alle Zahnrรคder ineinandergreifen, kann diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe gelรถst werden, schreibt selbst das Innenministerium, aus dem man solche Tรถne nun wahrlich noch nicht kennt.
Rechtsradikale Dynamik endlich ernst nehmen
โDer Rechtsextremismus im 21. Jahrhundert hat viele Facetten. Aktuell erleben wir, dass er sich durch eine hohe Dynamik auszeichnet und jeden Strohhalm greift, um gesellschaftsfรคhig zu werden โ wie derzeit die Corona-Proteste. Dem frรผhzeitig entgegenzuwirken, ist enorm wichtigโ, lรคsst sich Innenminister Prof. Dr. Roland Wรถller zitieren, der am Dienstag, 21. Dezember, das Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus im Kabinett vorstellte.
โWir dulden weder heute noch morgen rechtsextremistische Tendenzen sowie Rassismus, Antisemitismus und alle anderen Formen der Hasskriminalitรคt, die unsere Gesellschaft zersetzen. Dazu brauchen wir schlagkrรคftige Sicherheitsbehรถrden im Schulterschluss mit der gesamten Gesellschaft. Wir mรผssen alle an einem Strang ziehen: Sicherheitsbehรถrden, Zivilgesellschaft und Politik.โ
Das Grundsatzdokument des Gesamtkonzepts gegen Rechtsextremismus.
Das Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus wurde vom Sรคchsischen Staatsministerium des Innern in Zusammenarbeit mit dem Kultus-, Justiz-, Sozial-, Kultur- und Wissenschaftsministerium sowie der Staatskanzlei unter breiter zivilgesellschaftlicher Beteiligung erstellt und hat eine Laufzeit von drei Jahren. Kooperationspartner aus dem Landesprogramm โWeltoffenes Sachsenโ, des Landesprรคventionsrates oder kommunaler Verbรคnde haben sich aktiv in die Entwicklung eingebracht.
Entstanden ist ein Gesamtkonzept, das auf drei Sรคulen basiert: Stรคrken, Beraten, Einschreiten. Stรคrken durch allgemeine Demokratie- und Wertebildung, Beraten mit vielfรคltigen Unterstรผtzungsangeboten und Einschreiten durch Beobachten und konsequente Repression.
Ein kleiner Rรผffel von der Justizministerin
โRechtsextremismus wurde in Sachsen lange kleingeredetโ, ging Justiz- und Demokratieministerin Katja Meier am Dienstag kurz auf die langjรคhrigen Versรคumnisse in der Landespolitik ein.
โHeute hat die Staatsregierung den Rechtsextremismus als vordringliches Problem anerkannt. Mit dem Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus liegt nun erstmals ein Maรnahmenpaket vor, das nicht nur einzelne Symptome in den Blick nimmt, sondern dem Problem in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen begegnen will. Uns muss allerdings bewusst sein, dass das heute beschlossene Gesamtkonzept erst ein Anfang ist, der fortgeschrieben und weiterentwickelt werden muss.โ
Erstmals soll eben auch die Verfolgung rechtsextremer Straftaten intensiviert werden.
โWir brauchen einen gut geschulten Blick in den Ermittlungsbehรถrden, der demokratiefeindliche und rechtsextremistische Motivlagen erkennt. Und wir mรผssen personell und technisch in der Lage sein, konsequent gegen Hass im Netz vorzugehenโ, sagt Katja Meier dazu.
Wรถller: Demokratie ist wehrhaft
โMit dem Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus setzen wir ein starkes Zeichen gegen menschenverachtende Einstellungen, Propaganda und Gewaltโ, betonte Prof. Dr. Roland Wรถller.
โUnsere Demokratie ist wehrhaft. Doch dafรผr mรผssen wir im Gesprรคch bleiben und alle demokratischen Bestrebungen bรผndeln. Diese Brรผcke zwischen staatlichen und zivilgesellschaftliche Akteuren schlagen wir mit dem Konzept und sorgen so fรผr ein von Vielfalt geprรคgtes Miteinander, das mit klaren Antworten Rechtsextremismus begegnet. Unsere Werteordnung beruht auf Meinungsfreiheit und Toleranz. Wir dรผrfen nicht zulassen, dass ewig Gestrige und verblendete Extremisten Einfluss auf unser Zusammenleben erlangen und unser aller Leben negativ beeinflussen.โ
Was steckt alles drin im Paket?
Fรผr die praktische Umsetzung stรผtzt sich das Konzept auf insgesamt mehr als 50 Maรnahmen in den einzelnen Handlungsfeldern, die ineinandergreifen und sich gegenseitig verstรคrken. Fรผr jedes Handlungsfeld wurde ein Anlagenband erstellt, dem Beschreibungen, Meilensteine und Umsetzungsstand der einzelnen Maรnahmen entnommen werden kรถnnen.
Das Gesamtkonzept soll bis Mitte 2024 umgesetzt werden. In diesem Zeitraum soll regelmรครig รผberprรผft werden, inwieweit die Maรnahmen realisiert wurden und welche Anpassungsbedarfe, etwa aufgrund neuer Entwicklungen, entstanden sind.
Einmal jรคhrlich soll zudem dem Kabinett und dem Landtag ein Sachstandsbericht vorgelegt werden โ erstmals im Jahr 2022. Zum Abschluss erfolgt dann eine Bilanzierung der umgesetzten Maรnahmen, auf Basis dieser ein Abschlussbericht sowie ein programmatischer Ausblick erstellt wird.
Die Schwerpunkte des sรคchsischen Innenministeriums im Rahmen des Gesamtkonzepts liegen unter anderem auf der verstรคrkten Bekรคmpfung von Hass im Netz durch die Zentrale Meldestelle fรผr Hasskriminalitรคt im Internet sowie auf Maรnahmen der Frรผherkennung durch den Verfassungsschutz als Frรผhwarnsystem fรผr verfassungsfeindliche Entwicklungen und der konsequenten Verfolgung von rechtsextremistischen Straftaten durch die Polizei.
Weitere Eckpfeiler bilden die Unterstรผtzung von Kommunen beim Umgang mit rechtsextremistischen Veranstaltungen sowie Maรnahmen zur Verfassungstreue im รถffentlichen Dienst.
Die spรคte Wiederauferstehung der Soko Rex
Der Freistaat Sachsen hat seine Maรnahmen gegen Rechtsextremismus in den letzten Jahren wieder verstรคrkt, nachdem sie zur Jahrtausendwende deutlich zurรผckgefahren wurden und auch die Soko Rex aufgelรถst worden war. Was fรผr ein fataler Fehler das war, wurde 2011 deutlich, als bekannt wurde, dass jahrelang der rechtsterroristische NSU in Sachsen Unterschlupf finden und ungehindert seine Morde und รberfรคlle organisieren konnte.
Im Jahr 2019 wurde dann die Soko Rex unter dem Dach des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums (PTAZ) im Landeskriminalamt wieder eingerichtet, um Straf- und Gewalttaten mit rechter Motivation im Freistaat Sachsen Einhalt zu gebieten.
Zudem wurde eine weitere Verstรคrkung der Beobachtung des Rechtsextremismus durch das Landesamt fรผr Verfassungsschutz Sachsen beschlossen. Um die Anstrengungen in diesem Phรคnomenbereich zu bรผndeln und auch das zusรคtzliche Personenpotenzial aus der Szene der Reichsbรผrger und Selbstverwalter, die Gefahren des Rechtsterrorismus sowie die sogenannte โNeue Rechteโ beobachten zu kรถnnen, wurde im April 2020 die neue Abteilung 4 โ โAuswertung Rechtsextremismusโ im Landesamt fรผr Verfassungsschutz eingerichtet.
Sie wird seitdem kontinuierlich aufgebaut und an aktuelle Herausforderungen angepasst, sie arbeitet bei der Beobachtung des Rechtsextremismus eng mit den Staatsschutzdienststellen der sรคchsischen Polizei zusammen. Erkenntnisse und Lagebilder werden regelmรครig ausgetauscht und abgestimmt.
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