Scheitert der Strukturwandel in Sachsen am Ende an der Bรผrokratie? Zumindest kรถnnte er sich dadurch deutlich verlangsamen. Auch wenn es 2018 ganz schnell gehen sollte, so schnell, dass eine Bรผrgerbeteiligung bei der Suche nach wirklich guten Strukturwandelprojekten nicht mรถglich war und die Kommunen einfach alles zusammenkehrten, was als Idee seit Jahren in den Schubladen schlummerte. Aber nun hรคngen die Projekte in den Genehmigungsschleifen fest.
Die Regionalen Begleitausschรผsse fรผr den Strukturwandel im Mitteldeutschen und Lausitzer Revier geben Empfehlungen รผber die Vergabe und Priorisierung von Projekten im Strukturwandel ab. In den ersten Sitzungen der beiden Ausschรผsse im Juni 2021 wurden 56 kommunale Projekte zur Umsetzung empfohlen. Den Stand dieser Projekte hat jetzt die Linksfraktion erfragt (Drucksache 7/8182) und die ziemlich ausweichende Antwort aus dem Regionalministerium bekommen.โVon den 56 kommunalen Projekten, die in den ersten Regionalen Begleitausschรผssen im Juni beschlossen wurden, ist bislang kein einziges durch die Sรคchsische Aufbaubank bewilligt worden. Damit kann keines dieser Projekte umgesetzt werden. Im Gegenteil: Das Regionalministerium rechnet sogar damit, dass nicht alle von den Begleitausschรผssen beschlossenen Projekte auch Realitรคt werdenโ, kommentiert Antonia Mertsching, Lausitzer Abgeordnete und Sprecherin der Linksfraktion fรผr Umwelt, Wald und Ressourcenwirtschaft, die Antwort aus dem Regionalministerium.
โDies ist ein Schlag ins Gesicht fรผr alle am Prozess Beteiligten! Die Regionalen Begleitausschรผsse betreiben mit groรem Aufwand die Projektbewertung, ohne dass die ehrenamtlichen Mitglieder bislang eine Aufwandsentschรคdigung erhalten. Ihre Beschlรผsse sind nicht bindend, sondern kรถnnen vom Land oder Bund gekippt werden. Und nun zeigt sich: Selbst dann, wenn ihren Empfehlungen gefolgt wird, heiรt das noch lange nicht, dass die beschlossenen Projekte auch umgesetzt werden. Dies zeigt, dass das bisherige Verfahren zum Scheitern verurteilt ist.โ
Bewilligung wurde bisher fรผr keines der Projekte erteilt โฆ
Die konkrete Aussage von Regionalminister Thomas Schmidt (CDU) dazu lautet: โFerner ist hierzu anzumerken, dass fรผr alle kommunalen Projekte, die im Rahmen der 1. Regionalen Begleitausschรผsse bestรคtigt wurden, ein entsprechender Fรถrdermittelantrag bei der Sรคchsischen Aufbaubank โ Fรถrderbank โ (SAB) durch den Projekttrรคger gestellt wurde und sich diese demnach dort in der Qualifizierung zur Bewilligungsreife befinden. Eine Bewilligung wurde bisher fรผr keines der Projekte erteilt.โ
Und dabei sitzen die Kommunen wie auf glรผhenden Kohlen, wollen losbauen โ so auch Leipzig, das jetzt endlich den letzten Teil des Elstermรผhlgrabens freilegen will. Dazu gehรถren auch zwei Brรผcken, die fรผr die Strukturmittel angemeldet wurden und eigentlich ab 2022 gebaut werden sollen. Auch das neue Naturkundemuseum im ehemaligen Bowlingtreff und die Berufsfachschule St. Georg wurden vom regionalen Begleitausschuss schon bestรคtigt. Rund 51 Millionen Euro sind fรผr die Leipziger Projekte geplant.
Aber das positive Votum der Regionalausschรผsse zรคhlt erst einmal gar nichts, hat Schmidt mitgeteilt. Denn jetzt sind erst einmal mehrere Landesinstanzen dazwischengeschaltet, die jetzt ihrerseits erst einmal die Fรถrderfรคhigkeit prรผfen.
Thomas Schmidt: โNach Abschluss der Vorprรผfung durch die Landkreise oder die SAS wird die Fรถrderfรคhigkeit und Fรถrderwรผrdigkeit der Projektvorschlรคge anhand der in der RL InvKG genannten Vorgaben geprรผft beziehungsweise die Vorschlรคge einer weiteren Qualifizierung unterzogen. Mit Bestรคtigung der grundsรคtzlichen Fรถrderfรคhigkeit werden die Projektvorschlรคge entsprechend durch die SAS bewertet (Scoring-Verfahren zur Projektauswahl).โ
โIm Anschluss werden die als fรถrderfรคhig eingestuften Projektvorschlรคge dem Sรคchsischen Staatsministerium fรผr Regionalentwicklung (SMR) รผbermittelt, welches die jeweils zustรคndigen Geschรคftsbereiche der Staatsregierung fรผr eine Stellungnahme einbindet. Die fachlichen Stellungnahmen werden dann im Rahmen einer interministeriellen Arbeitsgruppe (IMAG) unter Leitung des SMR behandelt, welche eine abschlieรende Stellungnahme abgibt.โ
Ist die Agentur fรผr Strukturentwicklung nur ein Feigenblatt?
So hat der mรคchtige Regionalminister am Ende wieder die Entscheidungshoheit darรผber, welche Strukturprojekte die Kommunen umsetzen dรผrfen โ und welche nicht. Ergebnis: Ein langer Genehmigungsweg, auf dem nicht nur Monate, sondern Jahr verloren werden, bevor die dann eventuell genehmigten Projekte angepackt werden.
โDie Ursache liegt laut Staatsministerium daran, dass die beschlossenen Projekte nicht qualifiziert genug seien, sprich: die Qualitรคt lasse zu wรผnschen รผbrig. Diese Einschรคtzung wirft ein schlechtes Licht auf die Arbeit der Sรคchsischen Agentur fรผr Strukturentwicklung โ wurde sie doch eigens gegrรผndet, um Projektantrรคge der Kommunen zu qualifizieren!โ, stellt Mertsching fest. Und statt vom Freistaat echte Unterstรผtzung bei der Qualifizierung der Planungen zu bekommen, geraten die Projekte in eine elend lange Genehmigungsschleife.
โDen Kommunen fehlt es immer noch an Personal, um nachhaltige Projekte zu entwickeln. Finanziell schwache Kommunen kรถnnen bei den Sprints um die Fรถrdermittel nicht mithaltenโ, stelt Mertsching fest.
โPlanungskosten werden bislang nicht รผbernommen, sodass die klammen Kommunen Gefahr laufen, darauf sitzenzubleiben, sollte ein Projekt nicht umgesetzt werden. Und stรคndig droht, dass man nicht mehr in den Genuss von Fรถrdermitteln kommt, wenn man sich jetzt nicht beeilt und mitmacht beim Windhundrennen um die Strukturhilfen. Da ist es nachvollziehbar, dass erst einmal weniger ausgereifte Projekte eingereicht werden, um รผberhaupt eine Chance zu haben.โ
Weshalb die Linksfraktion in Landtag jetzt mit einem Antrag erreichen will (Drucksache 7/8460), dass Planungskosten in vollem Umfang รผbernommen werden und den Kommunen Personal fรผr die Projektentwicklung bekommen.
โEs ist richtig und wichtig, dass die Projekte zum Strukturwandel vor Ort entstehenโ, sagt Mertsching. โDie Kommunen mรผssen die Mรถglichkeit und ausreichend Zeit bekommen, Ideen zu entwickeln und Bรผrgerinnen und Bรผrger zu beteiligen.โ
Wobei es dafรผr nach dem wilden Aufgalopp mit den eiligst eingesammelten Vorschlรคgen eigentlich fast zu spรคt ist. Denn Strukturwandel braucht Visionen. Die holt man nicht einfach aus der Schublade. Und bevor die dann auch noch von einer konservativ ausgerichteten Landespolitik akzeptiert werden, dรผrften noch Jahre vergehen.
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