Wie unbeweglich ist die sächsische Staatsregierung eigentlich bei ihrer Position zum Kohleausstieg? Die Frage konnte man sich wirklich stellen, als Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer am Sonntag, 24. Oktober, in der Sendung „MDR Aktuell“ auf die Einhaltung des „Kohlekompromisses“ pochte.
„Wir haben spezielle Interessen in Mitteldeutschland, dass die Arbeitsplätze nicht einfach verloren gehen und wir einen Schock in der Region bekommen“, sagte er. Und: „Wir brauchen die Jahre bis ’38, um Infrastruktur aufzubauen, um neue Arbeitsplätze anzusiedeln.“„In ihrem Sondierungspapier hatten sich SPD, Grüne und FDP, die zurzeit über die Bildung einer gemeinsamen Bundesregierung verhandeln, unter anderem darauf verständigt, den Kohleausstieg ‚idealerweise‘ bis zum Jahr 2030 zu schaffen und den Ausbau Erneuerbarer Energien deutlich voranzutreiben“, formulierte der „Spiegel“ den Reizpunkt, der nicht nur Kretschmer auf den Plan gerufen hatte.
Eine fest gemauerte CDU-Position
Schon Tage vorher – am 21. Oktober – war es der Wirtschaftsrat der CDU e. V. – Landesverband Sachsen – der vorpreschte und „sich strikt gegen einen noch früheren Kohleausstieg im Jahr 2030“ wandte und von den Ampel-Parteien eine Einhaltung des Kohlekompromisses forderte.
„Das wäre ein rein ideologiegetriebener Wortbruch ohne jede wirtschaftspolitische und strategische Weitsicht“, erklärte Dr. Dirk Schröter, Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates Sachsen.
„Ein erneutes Aufrollen des bereits sehr ambitionierten Kompromisses zum Ausstieg 2038 wäre für die Unternehmen, aber auch die Menschen in den betroffenen Regionen schlicht enttäuschend und würde den Vertrauensvorschuss in die Ampel-Koalition komplett zerstören. Der Kohlekompromiss bedeutet einen komplexen Strukturwandel für ganze Wirtschaftsregionen – falls er nochmals um acht Jahre vorgezogen wird, würde dies die Revierregionen als Wirtschaftsregionen und als Lebensmittelpunkte veröden.“
Der im Ergebnis der Sondierungsgespräche von SPD, FDP und Grünen angestrebte Kohleausstieg „idealerweise“ bereits 2030 stoße in der Wirtschaft in den betroffenen Regionen und Kohlerevieren auf Unverständnis, Enttäuschung und große Besorgnis um die Existenz – nicht nur bei Unternehmen, sondern auch bei vielen Arbeitnehmern, behauptete der Wirtschaftsrat der CDU.
„Es drängt sich förmlich der Eindruck auf, dass die historisch beispiellose Preisexplosion an den Energiemärkten und die bereits jetzt extrem angespannte Situation in den Stromnetzen in den Berliner Gesprächsrunden völlig ignoriert werden“, so Dirk Schröter. „Mit dieser Ignoranz spielen die Ampel-Koalitionäre Russisches Roulette mit Deutschlands Energieversorgungssicherheit.“
Martin Dulig: Es ist Zeit, den Prozess zu beschleunigen
Aber noch am selben Tag meldete sich auch Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) zu Wort und konterte die wilden Behauptungen aus dem CDU-Papier:
„Prinzipiell steht in dem Sondierungspapier der drei künftigen Koalitionspartner im Bund das, was bereits im Kohlekompromiss 2019 beschlossen worden ist. Dort heißt es: Der Ausstieg soll spätestens im Jahr 2038 erfolgen. Zwischenzeitlich soll überprüft werden, ob ein früherer Ausstieg möglich ist. Nun hat man die Zahl 2030 als ‚idealerweise‘ benannt. Das muss in den nun beginnenden Koalitionsgesprächen deutlich konkretisiert werden. Denn dafür müssen weiterhin alle Voraussetzungen stimmen! Darin sind sich alle einig.“
„Das Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP nennt zum Beispiel den deutlich schnelleren Ausbau von Erneuerbaren Energien und die Förderung von Gaskraftwerken als Voraussetzung, um den steigenden Strom- und Energiebedarf in den kommenden Jahren zu wettbewerbsfähigen Preisen zu decken und die Versorgungssicherheit zu garantieren. Auch zur Solidarität mit den betroffenen Regionen bekennt man sich, um alle Maßnahmen weiter zu organisieren bzw. anzupassen. Dies heißt, dass alle beschlossenen Programme und Maßnahmen beschleunigt und vorgezogen werden müssten.“
CDU: Braunkohle bis 2038
Aber das hat beim Koalitionspartner keine Wirkung gezeigt. Im Gegenteil. Am 27. Oktober meldete sich auch der Vorsitzende der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages Christian Hartmann:
„Der Plan von SPD, Grünen und FDP in Berlin, deutlich früher aus der Braunkohle auszusteigen als im Kohlekompromiss mit allen Beteiligten vereinbart, ist ein Vertrauensbruch auf dem Rücken der betroffenen Regionen und Unternehmen! – Für uns als CDU steht fest, dass schon der Ausstieg aus der Braunkohle im Jahr 2038 sehr ambitioniert ist. Dabei gilt es drei Dinge im Blick zu behalten: Die Energiesicherheit muss gewährleistet sein, der Strom muss bezahlbar bleiben und es braucht tragfähige Perspektiven für die tausenden Arbeitnehmer in den Revieren. Diese Aufgaben muss die Politik lösen und nicht ständig über Ausstiegszeitpunkte diskutieren.“
„Wir haben in Sachsen einen Koalitionsvertrag, der eindeutig formuliert, dass ‚der Kohlekompromiss gilt‘. Wir erwarten vom Sächsischen Wirtschaftsminister, dass er sich an die gemeinsamen Vereinbarungen hält. Die Staatsregierung muss gemeinsam mit allen Beteiligten an einer soliden Zukunft der Kohleregionen arbeiten. Für die CDU-Fraktion ist das Bekenntnis zum Braunkohlekompromiss eine zentrale Grundlage für die Arbeit der Koalition im Freistaat Sachsen.“
Aber woher kommen diese Töne? Versucht die CDU Sachsen tatsächlich den Crash-Kurs und will auf Biegen und Brechen allein die Kohleverstromung bis 2038 aufrechterhalten?
Kohle-Musik auf sächsisch
Wer ein bisschen sucht, findet den Auftakt zu diesem Lamento auf der Homepage der LEAG, die schon am 19. Oktober die Musik vorgab.
„In den ostdeutschen Revieren wird befürchtet, dass sich die Koalitionsparteien auf ein deutlich vorgezogenes Ausstiegsdatum, ohne vorherige sachliche Überprüfung, festlegen wollen“, ließ sich da der LEAG-Vorstandsvorsitzende Dr. Helmar Rendez zitieren.
Und warnte auch gleich: „Es darf nicht sein, dass der mühsam errungene gesamtgesellschaftliche Kompromiss zum Kohleausstieg bis Ende 2038, der den Menschen in den Bergbauregionen bereits schwere Einschnitte zumutet und Lasten aufbürdet, für den politischen Konsens einer neuen Regierungskoalition geopfert wird. Die Menschen in den Kohlerevieren müssen darauf vertrauen können, dass das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz, das den geordneten und sozialverträglichen Ausstieg regelt, auch mit einer neuen Bundesregierung Bestand hat.“
Schnellerer Ausbau? Ja, bitte!
Wäre es nur das, hätte man hier den Konzertmeister vor sich, der in Sachsen die Melodie zum Kohleausstieg vorgibt. Und weiter scheinen weder der CDU-Wirtschaftsrat noch Fraktionsvorsitzender noch Ministerpräsident gelesen zu haben.
Denn wer weiter liest, merkt, dass Rendez sehr wohl weiß, dass der Kohlekompromiss einen früheren Kohleausstieg überhaupt nicht ausschließt. Im Gegenteil: den Kraftwerksbetreibern ist sogar offengelassen, früher die Öfen auszumachen.
Und während Sachsens CDU einen eklatanten Verstoß gegen den Kohlekompromiss sehen will und damit genau die Einwohner wieder in Angst und Schrecken versetzt, die vom Ausstieg betroffen sind, deutete Rendez schon mal an, dass die LEAG längst schon einen Umbau hin zu alternativer Energieerzeugung im Plan hat.
Rendez im Original:
„Nutzen Sie vielmehr den Rahmen und die Instrumentarien, die das KVBG bereits bietet! Unterstützen Sie die betroffenen Regionen und Unternehmen dabei, die notwendige Strukturentwicklung aktiv zu betreiben! Erleichtern Sie den schnelleren Ausbau von Erneuerbaren Energien und den Aufbau von nachhaltigen, tragfähigen und wirtschaftlichen Wertschöpfungsketten für die energetische Nutzung von Wasserstoff!
Geben Sie Investitionen in die Zukunft der Bergbauregionen eine Chance und sorgen Sie für eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren! Forcieren Sie den Ausbau von Speichern und Netzen! Lassen Sie sich und uns die vom KVBG vorgesehene Zeit, um den Wandel erfolgreich zu gestalten und zukunftsorientierte Arbeitsplätze zu schaffen!“
Natürlich hat er recht: Genau diese Möglichkeit bietet das KVBG, das wir landläufig als Kohlekompromiss bezeichnen. Genau diesen früheren Ausstieg zu prüfen und deutlich schneller die alternative Energieerzeugung auszubauen. Aber da hängt ja der Freistaat Sachsen heillos hinterher.
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