Ist der Milchunternehmer Theo Müller tatsächlich so etwas wie ein Schweizer Botschafter für den Freistaat Sachsen? So klingt das jedenfalls, wenn die Sächsische Staatskanzlei dem fragenden Abgeordneten der Linken, Rico Gebhardt, erklärt, warum Ministerpräsident Michael Kretschmer Anfang 2020 auf die Idee kam, dem aus Steuergründen in die Schweiz Übergesiedelten den Sächsischen Verdienstorden angedeihen zu lassen

Aber vielleicht erzählt der Vorgang, der seit dem Spätsommer den Landtag beschäftigt, auch nur vom sehr eigen- und altertümlichen Wirtschaftsverständnis der CDU, die nur zu gern ihre Wirtschaftskompetenz betont, dabei aber unternehmerisches Handeln nur zu leicht mit Engagement für die Allgemeinheit verwechselt. Als wenn es ohne Theo Müllers Einstieg in die sächsische Milchwirtschaft hier keine milchverarbeitenden Betriebe gegeben hätte.Kleinere höchstwahrscheinlich, kein marktdominierendes Unternehmen wie das Müller-Milch-Konglomerat. Größe bedeutet aber nicht, dass dahinter ein besonders Engagement für die Region steckt. Sie bedeutet in der Regel vor allem Marktdominanz. Und die allein ist auch nach Auskunft der Staatskanzlei kein Grund, jemandem den Sächsischen Verdienstorden umzuhängen.

„Nach dem sächsischen Stiftungserlass muss es sich um außergewöhnliche Leistungen handeln, die über einen längeren Zeitraum für die Allgemeinheit erbracht wurden“, stellt auch Thomas Popp im Namen der Sächsischen Staatskanzlei fest.

Thomas Popp. Foto: SK
Thomas Popp. Foto: SK

Und er erklärt in der Antwort an den Linke-Fraktionsvorsitzenden Rico Gebhardt dann aber doch: „Theo Müller wurde für seine Investitionen in den Standort Sachsen geehrt. Mit der Übernahme der Sachsenmilch AG in Leppersdorf startete er eines der größten Investitionsprojekte seiner gesamten Unternehmensgruppe. Seit 1994 hatte das Unternehmen ca. eine Milliarde Euro in Gebäude, Produkte und Entwicklung investiert.“

„Das Werk bietet 2.800 Menschen Arbeit in der Region. Gezielt fördert er die persönliche Weiterentwicklung seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Sein Unternehmen bildet junge Menschen in einer Vielzahl von Berufen aus. Über 90 % der Auszubildenden bekommen nach ihrer Ausbildung auch die Chance, im Unternehmen zu arbeiten. Diese Investition in Sachsen sichert vielen Menschen den Arbeitsplatz und die Existenz und gibt zukünftigen Generationen auch eine Perspektive.“

Müllers Liebe zur Blasmusik

Ein Unternehmer wird also doch einfach dafür geehrt, dass er handelt wie ein Unternehmer? In Sachsen vielleicht sogar ein verständlicher Grund, wo es an großen, hier ansässigen Unternehmen bekanntlich immer noch mangelt. Aber es verträgt sich dennoch nicht mit einem Unternehmer, der seine Steuern durch den Wegzug in die Schweiz „optimiert“ hat. Etwas, was die 2.800 Angestellten des Unternehmens in Sachsen nicht machen könnten. Und auch viele hier tätige KMU-Unternehmer nicht.

Also hat die Staatskanzlei dann doch noch nach einem irgendwie fürs Allgemeinwohl anrechenbaren Punkt gesucht und sogar einen gefunden, so Popp: „Darüber hinaus wurde Theo Müller aber auch für seine jahrelange großzügige Unterstützung des Sächsischen Blasmusikverbandes e. V. ausgezeichnet. Dank seines großzügigen finanziellen Engagements durch seine Stiftung zur Förderung, Pflege und Ausbildung von Instrumentalmusik konnten Instrumente angeschafft, eine CD produziert oder auch der Aufbau eines Jugendblasmusikorchesters angeschoben werden.“

Im Juli bekam übrigens auch der „Präsident der ersten Stunde und jetzige Ehrenpräsident“ des Sächsischen Blasmusikverbandes e. V. Dr. Rolf Jähnichen den Verdienstorden, ein CDU-Urgestein. Einst Landrat in Borna, war Rolf Jähnichen ab 1994 Landtagsabgeordneter und von 1990 bis 1998 Sächsischer Staatsminister für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten. Da fiel die „Ansiedlung“ von Müller Milch in Leppersdorf damals auch in sein Ressort.

Es ist also irgendwie auch noch das Sachsen der frühen Biedenkopf-Ära, das hier noch einmal mit Orden behängt wird.

Hat Sachsen jetzt einen Botschafter in der Schweiz?

Aber Popps Antwort suggeriert eben auch, dass Theo Müller aus Sicht der Staatskanzlei eine Art Türöffner für den Freistaat in der Schweiz spielen könnte, auch wenn mit keinem Wort erwähnt wird, bei welcher Kontaktanbahnung er wirklich tätig wurde.

„Die Einleitung des Ordensprüfverfahrens erfolgte auf Initiative des Ministerpräsidenten zu Beginn des Jahres 2020. Wie üblich, wurden im Laufe des Verfahrens verschiedene Einrichtungen zur Stellungnahme aufgefordert und angehört“, teilt Popp mit.

Das Wirtschafts- und das Umweltministerium äußerten wie bekannt ihre Bedenken und empfahlen keineswegs eine Ordensvergabe an Müller. Wie groß Müllers Engagement beim Sächsischen Blasmusikverbandes e. V. tatsächlich war, erfährt man ebenso wenig, weshalb Rico Gebhardt dazu eine neue Anfrage gestartet hat.

Um welche Größenordnung es da geht, erfährt man zumindest aus einem Beitrag des bayerischen „Kurier“: „Seit der Einweihung des Müller-Milch-Standortes im sächsischen Leppersdorf im Jahr 1995 wird auch der Sächsische Blasmusikverband (SBMV) aus den Stiftungsmitteln gefördert. Weil das Stiftungskapital (600.000 Euro) in der anhaltenden Null-Zins-Phase keine Erträge mehr abwirft, hat Theo Müller die Fördermodalitäten kurzerhand geändert: 25 Jahre lang stellt er für die Förderung der Blasmusik und des musikalischen Nachwuchses jedes Jahr 50.000 Euro zur Verfügung.“

In diese 50.000 Euro teilen sich mehrere vor allem bayerische Musikkapellen und eben der Sächsische Blasmusikverbandes e. V.

Dass Kretschmer Müller den Orden bei einer Schweiz-Reise umhängen würde, war – so wie es aussieht – von Anfang an klar. Da war kein Zufall dabei. Und es ist auch nicht ersichtlich, was Michael Kretschmer anders hätte machen können, außer auf diese Ehrung des über 80-jährigen ausgewanderten Milchunternehmers zu verzichten.

„Im Rahmen der im Jahr 2020 stattfindenden Auslandsreiseplanung für das Jahr 2021 wurde eine Reise des Ministerpräsidenten in die Schweiz vorgesehen. Der Freistaat Sachsen ist bei Delegationsreisen regelmäßig bestrebt, politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Beziehungen zu dem jeweiligen Gastland weiter auszubauen und gleichzeitig den Standort Sachsen zu präsentieren“, heißt es in der Antwort aus der Staatskanzlei.

„Die Ausrichtung von Empfängen bzw. Abendessen des Ministerpräsidenten ist bei Delegationsreisen ins Ausland daher üblich. Für den Besuch des Ministerpräsidenten in Zürich wurde durch die Staatskanzlei gemeinsam mit der WFS ein hochwertiger Investorenabend geplant, um potenzielle schweizerische Investoren vom Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Sachsen zu überzeugen. Die Ordensverleihung wurde im Rahmen dieses Investorenabends geplant, um die sehr guten Kontakte von Theo Müller in der Schweiz zu nutzen sowie ihn gleichzeitig aufgrund seiner Erfahrungen in Sachsen als Botschafter für Investitionen im Freistaat einzusetzen.“

Was eben nicht danach klingt, als wäre Theo Müller vorher schon als „Botschafter für Investitionen im Freistaat“ eingesetzt worden, sondern erst an diesem sehr speziellen Abend.

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Stellt euch vor, Amazon würde seinen Hauptsitz nach Sachsen verlegen.

Aber da wäre was los. Bezos würde mit Ehrungen überschüttet werden.

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