Am Freitag, 10. September, veröffentlichte das sächsische Innenministerium zumindest die Kurzfassung des Berichts zum Diebstahl von mindestens 7.000 Schuss Munition beim Mobilen Einsatzkommando (MEK) beim Landeskriminalamt. Ein Bericht, der zumindest einigen Landtagsabgeordneten ein bisschen zu kurz vorkam. Da fehlte doch was, oder?
Im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen 17 Polizeibeamte des Mobilen Einsatzkommandos Dresden (MEK DD) des Landeskriminalamtes (LKA) wegen u. a. gemeinschaftlich begangenen Diebstahls von mindestens 7.000 Schuss Munition und Verstoßes gegen das Waffengesetz hatte Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller eine unabhängige Expertenkommission mit der Untersuchung der Spezialeinheiten des LKA Sachsen beauftragt.Nach drei Monaten Untersuchungsarbeit übergaben die Kommissionsmitglieder ihren Bericht dem Innenministerium. Demnach waren persönliche Motive der Beteiligten und Mängel in der Dienstaufsicht ursächlich für die begangenen Straftaten. Zudem sieht die Kommission Defizite in der personellen Ausstattung und in der Fortbildung. Aber: Keine Belege gebe es für Verbindungen zu rechtsextremistischen Netzwerken.
„Die Kommission hat Defizite in der Führung sowie in der Dienstaufsicht benannt und klare Handlungsempfehlungen gegeben“, meinte Wöller bei der Vorstellung des Kurzberichts.
„Neben einer transparenten Aufklärung und konsequenten Strafverfolgung kommt es darauf an, dass sich solche Vorgänge im LKA nicht wiederholen können. Daher werden wir die Vorschläge sorgfältig prüfen und entscheiden, welche kurzfristig umsetzbar sind. Gemeinsam mit der neuen LKA-Präsidentin Sonja Penzel ist es Ziel, ein neues MEK aufzubauen, die Spezialeinheiten personell zu stärken und die Demokratiebildung verbindlich zu organisieren.“
Die Kurzfassung des Berichts findet man hier.
Eigentlich lautete der Untersuchungsauftrag auch zu prüfen, ob es Anhaltspunkte für tatsächliche Bezüge zur „Reichsbürger“- oder „Prepper“-Szene oder zu anderen extremistischen Milieus gibt oder gab. Dazu befragten die Kommissionsmitglieder 72 Personen, werteten eine Vielzahl von Daten und Vorschriften aus und analysierten Berichte und Stellungnahmen. Aber genau solche Bezüge will die Kommission nicht gefunden haben.
Ein kleines Schießtraining fürs MEK
Im März 2020 wurde bekannt, dass Beamte des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) Dresden im November 2018 aus ihnen dienstlich zugänglichen Beständen der sächsischen Polizei mindestens 7.000 Schuss Munition entwendet haben sollen. Die Munition sollen sie nachfolgend am Rande einer polizeilichen Ausbildungswoche auf eine private Schießanlage in Güstrow gebracht und als Gegenleistung anstelle einer Bezahlung an die Firma „Baltic Shooters“ für ein nicht-dienstliches Schießtraining übergeben haben.
Am 30. März 2021 fanden in den Diensträumen des LKA und teilweise auch an den Privatadressen von insgesamt 17 beschuldigten Bediensteten des LKA Sachsen Exekutivmaßnahmen statt. Diesen Maßnahmen liegen Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen/INES wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen Diebstahls, des Verstoßes gegen das Waffengesetz und des Verdachts der Bestechlichkeit zugrunde. Das MEK Dresden wurde daraufhin aufgelöst.
Albrecht Pallas: Kommission bestätigt gravierende Mängel bei der Polizei
„Nach einer ersten Einschätzung des Untersuchungsberichtes hat die Kommission, die sich durch die hohe Kompetenz und Erfahrung der Mitglieder auszeichnet, eine ordentliche Arbeit geleistet. Das zeigt sich auch darin, dass sie das Entwenden weiterer 7.500 Schuss Munition feststellen konnte. Bisher waren nur 7.000 Schuss bekannt“, geht Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, auf einen besonderen Aspekt des am Freitag vorgestellten Berichts ein.
„Da der Kommission nicht alle Quellen und Beweise zugänglich sind, muss im weiteren Verlauf das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens gegen die Tatverdächtigen abgewartet werden. Erst dann kann der ganze Sachverhalt hinsichtlich strafbarer Handlungen und möglicher Bezüge zu rechtsextremistischen Netzwerken abschließend bewertet werden.“
Was man durchaus als kleine Kritik am forschen Innenminister verstehen kann: So eindeutig, wie Wöller es sehen wollte, sind die Befunde im Bericht (noch) nicht.
„Bei der Frage, wie es zu dieser Tat kommen konnte und warum sie so lange nicht aufgedeckt werden konnte, bestätigt die Kommission erste Einschätzungen des Innenausschusses nach dessen erster Befassung im April 2021. Demnach gibt es gravierende strukturelle Mängel in der inneren Organisation der Polizei in Bezug auf Fach und Dienstaufsicht“, geht der ausgebildete Polizist Pallas noch einen Schritt weiter.
„Auch im Bereich des Personals stellte die Kommission Defizite fest, welche sich im Innenausschuss ebenfalls schon angedeutet hatten. So hat die Polizei einen erheblichen Mangel an Führungskräften, der unverzüglich behoben werden muss.“
Am 16. September wird sich der Innenausschuss des Sächsischen Landtags jetzt mit den Feststellungen und Empfehlungen der Kommission befassen.
„Der SPD-Fraktion ist dabei eine schnelle Beseitigung struktureller Mängel, eine bessere Aufsicht und Kontrolle, insbesondere im Umgang mit Waffen und Munition, sowie die Verbesserung polizeilicher Führung und von Aus- und Fortbildung besonders wichtig“, so Pallas. „Das Innenministerium ist in der Verantwortung, die Empfehlungen schnellstens umzusetzen.“
Valentin Lippmann: Jetzt gehört das Leitbild der Polizei auf die Agenda
„Die festgestellten persönlichen Motive der Beteiligten, die gruppendynamischen Prozesse und die Mängel in der Dienstaufsicht ziehen einen akuten Handlungsbedarf beim Landeskriminalamt und der Polizei nach sich“, bestätigt auch Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Sächsischen Landtag, die Analyse von Albrecht Pallas.
„Neben den dringend notwendigen Änderungen in der Dienst- und Fachaufsicht halten wir Bündnisgrüne vor allem eine effektive Korruptionsbekämpfung für essenziell. Dazu gehört insbesondere ein wirksamer Whistleblower-Schutz mit der Möglichkeit, sich an eine Vertrauensanwältin oder einen Vertrauensanwalt für Korruptionsverhütung zu wenden. Auch über die Einrichtung eines elektronischen Systems zur anonymen Kommunikation mit Whistleblowern muss erneut diskutiert werden.“
Die grundlegenden Handlungsempfehlungen der Kommission gehen aber weit über das MEK hinaus und betreffen das Selbstverständnis der Polizei als Ganzes, stellt Lippmann fest: „Das in der Koalition vereinbarte Leitbild der Polizei, das diese Fragen verbindlich beantwortet und falsch verstandenem Korpsgeist entgegenwirken soll, steht nunmehr umso dringender auf der Agenda. Die entsprechenden Mittel stehen dazu im Haushalt bereits zur Verfügung. Ziel muss eine moderne Polizei sein, die demokratischen Werten, gesellschaftlicher Offenheit und Transparenz verpflichtet ist.“
Aber ein Befund im Bericht stört ihn trotzdem noch: „Auch wenn die Kommission keine Belege für Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken gefunden hat, muss dies weiterhin Gegenstand der Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft bleiben. Den Mitgliedern der Kommission danke ich ganz herzlich für ihre Arbeit und den umfassenden Bericht.“
Kerstin Köditz: Wöller teilt erneut zu wenig mit
Und denselben Zweifel hegt auch Kerstin Köditz, zuständig für Innenpolitik bei der Fraktion Die Linke.
„Die Kommission bestätigt, was bislang bekannt war: 17 Beamte des – inzwischen aufgelösten – Mobilen Einsatzkommandos (MEK) Dresden des LKA Sachsen haben im November 2018 an einem Schießtraining bei der Firma ,Baltic Shooters‘ in Güstrow teilgenommen. Dieses Training war nicht genehmigt, die Beteiligten sollen sich darüber hinweggesetzt haben. Als ‚Bezahlung‘ sollen mehrere tausend Schuss Polizei-Munition verwendet worden sein. Empfänger war mit Frank T. ein mutmaßlicher Anhänger des extrem rechten ‚Nordkreuz‘-Netzwerks“, zählt Köditz auf.
Und sieht hier eine ziemliche Leerstelle im Bericht. „Darüber hätte die Öffentlichkeit gerne endlich mehr erfahren. Doch der zuständige Innenminister Roland Wöller (CDU) hat heute lediglich eine dürre, verstümmelte PR-Fassung des vermutlich wesentlich umfangreicheren und viel detaillierteren Kommissions-Berichts vorgelegt. Das ist absolut unverständlich und unzureichend, denn der Fall schlug hohe Wellen und wirft Fragen nach der Integrität der Polizei insgesamt auf.
Darauf zu antworten, als handle es sich lediglich um personelle und organisatorische Fehlentwicklungen in einem kleinen Teilbereich, wird dem Thema nicht gerecht. Es ist auch nicht dadurch abgeschlossen, dass die Kommission ‚keine Belege‘ für ‚Verbindungen zu rechtsextremistischen Netzwerken‘ gefunden habe – denn die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft gehen weiter.“
Und die Befugnisse der Kommission waren nun einmal keine staatsanwaltlichen. Sie konnte keine Hausdurchsuchungen anordnen oder Medien beschlagnahmen und auswerten.
„Jetzt erwarte ich, dass im zuständigen Innenausschuss des Sächsischen Landtages zügig der vollständige Bericht erörtert wird“, sagt Köditz. „Und ich gehe davon aus, dass Innenminister Wöller es nicht dabei belässt, die Vorschläge der Kommission ‚sorgfältig zu prüfen‘ – sondern sie auch zügig umzusetzen. Es ist schließlich der Innenminister selbst, der jene Fehlentwicklungen politisch verantwortet, mit denen sich die Untersuchungskommission mehrere Monate lang befasst hat.“
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