Das war abzusehen, dass sich auch der Freistaat Sachsen eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) einfangen wรผrde. Am Montag, 13. September, meldete die DUH, dass sie gemeinsam mit Kindern und jungen Erwachsenen neue Klimaklagen gegen fรผnf weitere Landesregierungen eingereicht habe. Die Beteiligten fordern die Verabschiedung von Landesklimaschutzgesetzen, die dem Pariser Klimaschutzabkommen und dem Grundgesetz entsprechen.
Die vor dem Bundesverfassungsgericht eingereichten Beschwerden richten sich gegen die Landesregierungen von Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Keines der Lรคnder hat bisher ein Landesklimaschutzgesetz. In Sachsen wurde im Juli 2021 erst der Entwurf eines Klimagesetzes im Landtagsausschuss abgelehnt. Denn dummerweise hatte ihn wieder โnurโ die Opposition eingereicht, in diesem Fall die Linksfraktion.Drei Kinder und junge Erwachsene reichten in Sachsen Verfassungsbeschwerde gegen die Landesregierung ein. Denn das gerade erst verรถffentlichte โEnergie- und Klimaprogramm Sachsen 2021โ enthรคlt weder relevante Zielstellungen noch besteht Rechtsschutz fรผr die Beschwerdefรผhrenden, mit dem sie zum Erhalt ihrer Freiheitsrechte auf Nachbesserung drรคngen kรถnnten, kritisiert die DUH in ihrer Mitteilung.
โDurch die Klimakatastrophe wรคchst die soziale Ungleichheit in Deutschland und der Welt. Mir ist absolut unbegreiflich, wieso Sachsen keine Plรคne fรผr sozial-gerechten Klimaschutz vorzeigen kannโ, sagt Tristan Runge, Beschwerdefรผhrer aus Sachsen. โMein Bundesland lenkt mich und alle kรผnftigen Generationen in eine Katastrophe. Groรdemonstrationen und die Wรผnsche der jungen Generation sind wohl nicht ausreichend, um die Regierenden zum Handeln zu bringen. Deshalb ziehe ich vor das Bundesverfassungsgericht.โ
Sachsens Umweltminister Wolfram Gรผnther: Die Klage kann nicht รผberraschen
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โDas Bundesverfassungsgericht hat im April festgestellt, dass die mangelnden Klimaschutzbemรผhungen des Bundes die Grundrechte kommender Generationen gefรคhrden. Klimaschutzziele und -maรnahmen gibt es auch in den Bundeslรคndern. Weder im Bund, noch in den Lรคndern dรผrften diese heute bereits wirklich kompatibel mit einem Paris-konformen CO2-Budget seinโ, kommentierte am Montag Sachsens stellvertretender Ministerprรคsident, Energie- und Klimaschutzminister Wolfram Gรผnther, die Klageeinreichung der DUH.
โMit Unterstรผtzung durch die Deutsche Umwelthilfe wurden deshalb auch bereits mehrere Bundeslรคnder beim Bundesverfassungsgericht verklagt. Die neue Klagerunde gegen weitere Bundeslรคnder vor dem Bundesverfassungsgericht kann deshalb nicht รผberraschen.โ
Bereits der historische Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum nationalen Klimaschutzgesetz habe in der in Sachsen regierenden CDU/Grรผne/SPD-Koalition eine intensive Diskussion zum Ambitionsniveau des sรคchsischen Energie- und Klimaprogramms (EKP) ausgelรถst, wรคhrend noch daran gearbeitet wurde.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat der schlieรlich verabschiedeten Zieldefinition des EKP Rรผckenwind gegeben, betont Gรผnther: โDer Freistaat orientiert sich in allen Sektoren an den Bundeszielen und leistet zusรคtzlich einen รผberdurchschnittlichen Beitrag im Kohleausstieg.โ
Aber das EKP ist erst einmal nichts anderes als ein Rahmen. Der dazugehรถrende Maรnahmenkatalog fehlt noch. Und einklagbar sind die darin niedergeschriebenen Ziele auch nicht. Das wรคren sie erst, wenn sie Teil eines richtigen Klimagesetzes in Sachsen werden.
โDie Klage ist eine Aufforderung an die gesamte Staatsregierung, den Weg zur Klimaneutralitรคt noch konsequenter und vor allem verbindlich zu gehen. Die Klage ist neuer Rรผckenwind auf diesem Weg โ รผbrigens auch fรผr die im Koalitionsvertrag beschlossenen Ausbauziele fรผr die Erneuerbarenโ, so Gรผnther, der als Umweltminister sehr wohl merkt, wie stark gerade die CDU innerhalb der Koalition die Energie- und Klimawende ausbremst.
โIm Juni haben wir mit dem neuen EKP in Sachsen endlich eine รผberfรคllige Richtungsentscheidung durchgesetzt. Davor war Klimaschutz viel zu lange kein prioritรคres Thema im Freistaat.โ
Eigentlich war er nur ein Feigenblatt, wรคhrend die konservative Regierung vor allem fossile Branchen und Unternehmen fรถrderte und protegierte โ die Kohlekonzerne genauso wie den Frachtflughafen Leipzig. Logisch, dass von Ambitionen im Klimaschutz auch beim groรen Koalitionspartner CDU bisher wenig zu spรผren war.
Was Gรผnther ziemlich deutlich anspricht, wenn er sagt: โNiemand wird gerne verklagt. Einer gerichtlichen Bewertung der Ambitionsniveaus, die die Koalitionspartner in ihren aus dem EKP abgeleiteten Maรnahmen festschreiben, bietet Chancen, schneller als bisher vereinbar beim Klimaschutz voranzukommen. Der Klage und ihrer Begrรผndung sehe ich mit Interesse entgegen.โ
Seit diesem Sommer arbeiten nun alle sรคchsischen Ministerien in einer Arbeitsgruppe am Maรnahmenprogramm zum EKP, teilte er am Montag mit.
โEs besteht jetzt also die Chance, Ambitionsniveau und Verbindlichkeit der Ziele und Maรnahmen so zu gestalten, dass sie zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts passen. Nutzen wir diese Chance nicht, kรถnnte der Freistaat genau dazu verurteilt werden. Wenn Sachsen jetzt nicht gestaltet, wird es gestaltet. Entscheidend ist nicht die Frage, ob die Ziele in einem Gesetz oder einem Kabinettsbeschluss stehen. Entscheidend ist, ob Ziele und konkretes Handeln verbindlich sind und ausreichen.
Dazu gehรถren Kontrollierbarkeit und Einklagbarkeit von Maรnahmen zum Klimaschutz. Deshalb kรถnnen die Maรnahmen auch in gesetzlichen Neuregelungen bestehen, in einem Klimapaket, das vom sรคchsischen Landtag zu beschlieรen ist. Auch das ist im Koalitionsvertrag bereits in Form eines Klimaschutzgesetzes als Artikelgesetz vorgesehen. In jedem Fall mรผssen die Maรnahmen zum Klimaschutz so umgesetzt werden, dass die Generationengerechtigkeit gewahrt wird.โ
Daniel Gerber: Sachsen muss zum klimaneutralen Energieland werden
โDie Klage ist fรผr uns in Sachsen eine erneute Aufforderung, den Weg zur Klimaneutralitรคt konsequenter und vor allem mit hoher Verbindlichkeit zu beschreiten. Dafรผr braucht es ein geschlossenes Handeln der gesamten Staatsregierungโ, kommentiert Dr. Daniel Gerber, klimapolitischer Sprecher der Fraktion Bรผndnis 90 / Die Grรผnen im Sรคchsischen Landtag, die Klageeinreichung.
โBereits im April dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht in einer richtungsweisenden Entscheidung festgestellt, dass die mangelnden Klimaschutzbemรผhungen des Bundes die Freiheitsrechte kommender Generationen gefรคhrden. Dass die Deutsche Umwelthilfe nun auch die Klimaschutzmaรnahmen und -ziele in den Bundeslรคndern in den Blick nimmt, ist aus meiner Sicht folgerichtig.โ
Auรerdem erklรคrt Gerber: โFรผr uns Bรผndnisgrรผne ist der Aufbau eines klimaneutralen Energielandes Sachsen ein zentraler Baustein, um echten Klimaschutz zu ermรถglichen und den Freistaat und seine Wirtschaft in eine nachhaltige Zukunft zu fรผhren. Mit dem Beschluss des Energie- und Klimaprogramms (EKP) hat Sachsen im Sommer dieses Jahres einen ersten wichtigen Schritt gemacht. Das EKP-Maรnahmenprogramm gibt dem Freistaat die Chance, รผber alle Sektoren, wie etwa Verkehr, Landwirtschaft, Gebรคudesanierung und Verwaltung, ambitionierte Maรnahmen zu definieren, die mit dem vรถlkerrechtlich bindenden Pariser Klimaabkommen in Einklang stehen.
Die Klage ist Ansporn und Rรผckenwind fรผr unsere Arbeit in der Koalition zugleich. Nun gilt es, die entsprechenden Maรnahmen zur CO2-Reduktion, insbesondere den Ausbau von Windkraftanlagen, engagiert voranzutreiben. Dabei hat die รถffentliche Hand eine Vorbildwirkung, beispielsweise bei Fรถrderprogrammen oder Investitionsvorhaben, wie etwa dem Flughafenausbau Leipzig/Halle, auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu achten.โ
Marco Bรถhme: Die Linke hat ein Klimaschutzgesetz vorgelegt
โWir haben ausdrรผcklich vor einer Klage gewarnt, wenn Sachsen sich nicht endlich ein verbindliches Klimaschutzgesetz gibt, und einen Entwurf vorgelegt (Drucksache 7/4895, Eckpunkte). Erst im Juli haben die Regierungskoalition und Rechtsauรen unseren Vorschlag abgelehntโ, kommentiert sagt Marco Bรถhme, Sprecher der Linksfraktion fรผr Klimaschutz und Mobilitรคt, den Vorgang.
โDie Staatsregierung bรผgelte unseren Entwurf mit der Begrรผndung ab, dass das Energie- und Klimaprogramm (EKP) aktualisiert worden sei. Dies geschah allerdings mit einem Jahr Verspรคtung โ vor allem aber gibt es bis heute keine verbindlichen Klimaschutzziele und kein konkretes Maรnahmenprogramm. Unseren Gesetzentwurf hatten wir nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Bundesklimaschutzgesetz noch einmal verschรคrft. Verlangt werden vor allem fรผr die nรคchsten 15 Jahre drastische Treibhausgasemissionseinsparungen und soziale Ausgleichsmaรnahmen. Klimaschutzmaรnahmen dรผrfen nicht zu mehr sozialer Ungleichheit fรผhren. Wer wenig Geld hat, besitzt weniger Mรถglichkeiten als reiche Menschen, sich klimafreundlich zu verhalten.โ
Die Deutsche Umwelthilfe verweise dementsprechend darauf, dass das โEnergie- und Klimaprogramm Sachsen 2021โ weder relevante Zielstellungen enthalte, noch bestehe Rechtsschutz fรผr die Beschwerdefรผhrenden, mit dem sie zum Erhalt ihrer Freiheitsrechte auf Nachbesserung drรคngen kรถnnten. Zudem seien die im EKP und im Koalitionsvertrag genannten Ausbauziele fรผr die Nutzung erneuerbarer Energietrรคger zwar ambitioniert โ der Zubau von vier Terawattstunden bis zum Ende der Legislatur wรผrde 200 neue Windrรคder bedeuten.
โAllerdings geschieht nichts dafรผr, dass dieses Ziel auch erreicht werden. Im Gegenteil: In Sachsen gibt es derzeit einen massiven Rรผckbau von Windenergieanlagen, die Regionalplรคne weisen schon jetzt zu wenige Flรคchen aus und werden durch die angekรผndigte 1.000 m-Abstandsregel noch zusรคtzlich beschrรคnkt. Auch das von den Grรผnen gefรผhrte Umweltministerium versagt beim Klimaschutz in Sachsen!โ, findet Bรถhme.
โWenn es im Landtag keine Mehrheit fรผr ambitionierten Klimaschutz gibt, muss der Freistaat eben gerichtlich dazu gezwungen werden, die Lebensgrundlagen der kรผnftigen Generationen zu schรผtzen. Die Regierungskoalition hรคtte die Blamage vermeiden kรถnnen, verklagt zu werden โ sie hรคtte lรคngst ein Klimaschutzgesetz erarbeiten oder dem unsrigen Entwurf zustimmen kรถnnen. Stattdessen leugnen immer wieder Politiker wie der CDU-Arbeitskreisleiter fรผr Umwelt und Klimaschutz, Andreas Heinz, dass die Klimaerhitzung menschengemacht ist.โ
Grรผne Jugend Sachsen fordert sรคchsisches Klimaschutzgesetz
โDie sรคchsischen Klimaziele und Maรnahmen sind bislang weder ausreichend noch einklagbar. Vรถllig zu Recht haben deshalb junge Menschen Verfassungsbeschwerde eingereichtโ, sagte am Montag Charlotte Henke, Landessprecherin der Grรผnen Jugend Sachsen.
โWir sagen: es braucht ein sรคchsisches Klimaschutzgesetz, das wirkliche Verbindlichkeit schafft und Klimaschutz einklagbar macht. In einem solchen Klimaschutzgesetz mรผssen die notwendigen Maรnahmen und Ziele zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze verbindlich festgeschrieben und mit konkreten Einsparzielen unterlegt sein. Die heutigen Klimaschutzmaรnahmen entscheiden maรgeblich รผber den Erhalt unserer Lebensgrundlagen und der Freiheit zukรผnftiger Generationen.โ
Und Jonathan Gut, Landessprecher der Grรผnen Jugend Sachsen, ergรคnzt: โEntscheidend ist, dass die Ziele und konkreten Maรnahmen nicht nur ausreichend sind, sondern auch schnell und konsequent umgesetzt werden. Solange dies nicht passiert, mรผssen die Maรnahmen einklagbar werden. Gerade vor dem Hintergrund, dass die CDU genauso wie die SPD noch immer die Dimension der Klimakrise ignorieren und sich dem notwendigen Klimaschutz verweigern, ist die Verfassungsbeschwerde nur richtig. Solange sie nicht von selbst bereit sind, ihre Blockadehaltung aufzugeben, braucht es die konsequente Ausschรถpfung des Rechtsweges.โ
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