2013 stimmte die Linksfraktion im Sächsischen Landtag dagegen. Aus gutem Grund. Schon die Schuldenbremse im Bund hielt sie für ein völlig ungeeignetes Werkzeug, den Haushalt auch in Krisensituationen in Ordnung zu bringen. Doch die Landtagsmehrheit drückte unter Einbezug der SPD, Grünen und Teilen der Linken die Schuldenbremse auch in die Sächsische Verfassung. Und nun drohen die Corona-Hilfen die Haushalte der nächsten Jahre regelrecht abzuwürgen.
Am Freitag, 30. Juli, machte schon SPD-Generalsekretär Henning Homann darauf aufmerksam, dass Sachsen gerade mitten hineinsteuert in eine finanzielle Überlastung, weil die in der Verfassung festgeschriebene Tilgungsfrist von acht Jahren eben auch bedeutet, dass die gerade erst vom Landtag bewilligten 6 Milliarden Euro Corona-Hilfen schon in den nächsten Haushalten mit gewaltigen Tilgungssummen aufschlagen.2013 hatte die SPD-Fraktion im Landtag wenigstens noch Bauchschmerzen bei der Entscheidung, die Schuldenbremse auf diese Weise in die Verfassung zu schreiben und ließ vor ihrem „Ja“ die Mitglieder abstimmen.
Aber deren Mehrheitsentscheidung erzählt eben auch davon, dass selbst überzeugte Sozialdemokraten nicht in der Lage sind, die Folgen einer derartigen Fiskalpolitik ausgerechnet im Krisenfall auch nur zu begreifen.
Denn dann verwandelt sich auch ein steuerfinanzierter Freistaat in einen Schuldner, der sowieso schon weniger Geld in der Kasse hat (weil die Steuereinnahmen durch Corona zurückgehen) und dann noch hunderte Millionen Euro an Kredittilgung berappen muss. Woher nehmen, wenn die Regierenden in Deutschland sogar noch die Steuern der Reichen und Vermögenden senken wollen?
Eigentlich eine aberwitzige Situation, wie Nico Brünler, Sprecher der Linksfraktion für Haushalts- und Finanzpolitik, am Sonntag, 1. August, kommentierte. Auch wenn er wohl zu Recht das Gefühl hat, dass die konservative Landtagsmehrheit nicht wirklich begreift, was die Tilgungsfristen in der Verfassung tatsächlich bedeuten.
Deshalb hat die Linksfraktion die Staatsregierung jetzt mit einem Antrag aufgefordert (Drucksache 7/7337), dem Landtag bis Ende November 2021 ein Gutachten zu den Folgen der Schuldenbremse in Sachsen vorzulegen. Damit soll sie eine fachlich geeignete und hinreichend unabhängige Institution beauftragen. Insbesondere soll untersucht werden, welche Folgen verschiedene Tilgungsfristen bei den Corona-Krediten und die daraus folgenden Ausgaben für die Wirtschaft, das Bildungssystem, den Sozialstaat, die Infrastruktur oder das Gesundheitssystem hätten.
„Am 9. April 2020 hat der Landtag die Staatsregierung ermächtigt, Kredite von bis zu sechs Milliarden Euro aufzunehmen – damit soll die Notsituation bewältigt werden, in der sich unser Land infolge der Corona-Pandemie befindet. Artikel 95 der Landesverfassung bestimmt sowohl das Neuverschuldungsverbot als auch die Ausnahmeregelungen, vor allem aber ist dort festgelegt, dass die Kredite binnen acht Jahren zu tilgen sind“, geht Nico Brünler auf das 2013 vom Landtag selbst produzierte Problem ein.
„Diese Klausel erweist sich nun als enorme Gefahr für die Handlungsfähigkeit des Freistaates. Insbesondere notwendige Investitionen in Soziales, Gesundheit und Infrastruktur müssten unterbleiben, wenn die Vorgabe umgesetzt wird.“
Und Sachsen ist ja gerade erst in der Kreditaufnahme.
„Wir erwarten, dass dieser Kreditrahmen komplett ausgeschöpft werden wird. Zur Tilgung müssten dem Staatshaushalt dann ab 2023 jährlich 750 Millionen Euro entzogen werden, wenn die 8-Jahre-Regel bestehen bleibt“, so Brünler.
„Die im Jahr 2020 bereits aufgenommenen Kredite in Höhe von reichlich 1,75 Milliarden Euro verursachen schon jetzt eine Tilgungsverpflichtung von fast 300 Millionen Euro im Jahr. Das ist mehr als das Doppelte dessen, was der Freistaat bisher jährlich in die Bildungsinfrastruktur von Kindergärten und Schulen investiert! Mit den dann notwendigen Kürzungen käme Sachsen nicht aus der Krise, sondern stürzte gleich in neue Krisen.“
Über die schon 2020 ausgereichten Mittel zur Bewältigung der Coronakrise berichtete am 21. Juni Finanzminister Hartmut Vorjohann. Nach seinem Bericht wurden 2020 aus dem Corona-Vorsorge-Fonds schon 1,478 Milliarden Euro ausgezahlt – der größte Teil davon, 775 Millionen Euro, zur Stabilisierung von Wirtschaft und Landwirtschaft. 392 Millionen Euro flossen zur Stärkung der Kommunen, die ja allesamt mit massiven Steuerausfällen zu kämpfen haben. 192 Millionen Euro flossen in das Gesundheitswesen, 45 Millionen Euro in die Rettung der Kultur.
Was aber auch heißt: Es wurden nicht die kompletten 1,755 Milliarden Euro ausgegeben, die der Freistaat auf Grundlage des Landtagsbeschlusses am Kreditmarkt aufgenommen hat.
Trotzdem muss der Freistaat, wenn der Landtag den Artikel 95 der Landesverfassung nicht ändert, die aufgenommenen Kredite „spätestens innerhalb von acht Jahren“ wieder tilgen.
Und Vorjohann hat mit seinem Bericht für das Jahr 2020 auch schon einmal aufgelistet, wie das passieren wird. Denn ab 2023 hat er schon einmal die Tilgungsverpflichtungen für die schon aufgenommenen 1,755 Milliarden Euro ausgerechnet: knapp 292 Millionen Euro. Jedes Jahr von 2023 bis 2028. Und da sind die kommenden Verpflichtungen für die noch offenstehenden Kreditaufnahmen noch nicht dabei.
Denn bis zu 6 Milliarden Euro darf der Freistaat ja aufnehmen, um die Corona-Folgen abzufedern. Und das, während ihm gleichzeitig rund 1 Milliarde Euro pro Jahr an Steuereinnahmen aufgrund der Pandemie fehlen. Wo sollen da eigentlich die Tilgungsraten herkommen, wenn man nicht massiv in den Haushalt eingreifen will?
Und das alles ohne äußeren Zwang. Andere Bundesländer arbeiten mit Tilgungszeiträumen bis zu 30 Jahren, wohl wissend, dass man nicht mitten in der Bewältigung der Krise auch noch die Haushalte zusammenstreichen darf.
„Für uns steht fest: Die Landesverfassung muss geändert werden, damit mehr Zeit für die Tilgung bleibt“, sagt Brünler.
„Die 8-Jahre-Regel muss weg, damit Sachsen aus seinen Schulden herauswachsen kann. Die Staatsregierung sollte jetzt unabhängig analysieren lassen, welche Schäden andernfalls drohen. Außerdem sollte sie eine gesellschaftliche Debatte anstoßen, an der nicht nur Kommunen, Gewerkschaften, Wissenschaft, Kirchen, Wirtschaft und zivilgesellschaftliche Verbände mitwirken. Die Frage lautet: Ist die Schuldenbremse noch zeitgemäß? Wir sagen: Nein.“
Die Schuldenbremse war schon 2013 nicht zeitgemäß. Sie ist nichts anderes als ein Alibi für eine falsche Steuerpolitik, die schon vorher unterfinanzierte Kommunen und Landeshaushalte zur Folge hatte, während die Vermögenden in Deutschland mit niedrigen Steuersätzen beschenkt wurden.
Hinweis der Redaktion: In einer vorherigen Fassung war die Rede davon, dass die Schuldenbremse in Sachsen im Jahr 2013 mit der Mehrheit im Landtags ua. gegen de Stimmen der Linken durchgedrückt wurde. Dies stimmte nur bedingt.
Zur verfassungsändernden Mehrheit von 88 Stimmen im Landtag Sachsens war die damals größte Oppositionsfraktion zwar nicht gebraucht worden, wurde aber durch die CDU/FDP-Regierung, auf Druck der Grünen und der SPD, in die Verhandlungen zur „Schuldenbremse“ einbezogen. Zuvor hatte die Linke noch im Jahr 2012 erwogen, einen Volksentscheid in Sachsen wegen dieser Frage zu initiieren. Dies fand nicht statt.
Bei der Abstimmung im Jahr 2013 stimmten dann jeweils 11 Abgeordnete der der Linksfraktion für und gegen die Schuldenbremse, fünf enthielten sich, wie auch die damalige NPD-Fraktion. Linke, SPD und Grünen holten nach der Abstimmung zusätzlich die Zustimmung ihrer jeweiligen Landesverbände ein.
Die Schuldenbremse in Sachsen gilt offiziell seit dem 1. Januar 2014.
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