Am 1. Juni stellte Umweltminister Wolfram Günther das neue Energie- und Klimaprogramm des Freistaats Sachsen vor, das vom Regierungskabinett an diesem Tag beschlossen wurde. Aber wer erwartet hatte, das die Staatsregierung darin beschreibt, wie sie den Freistaat in den nächsten zehn Jahren klimaverträglich machen will, der wurde enttäuscht. So wie Marco Böhme, Sprecher für Klimaschutz und Mobilität der Linksfraktion.
Und mittlerweile auch stark angefeindet von Politikern bürgerlicher Parteien, die sein Engagement bei der Besetzung eine Ausfahrt des Flughafens Halle/Leipzig für ungesetzlich halten.So wie der CDU-Innenpolitiker Rico Anton: „Solche Blockaden sind nicht vom Versammlungsrecht gedeckt. Hier handelt es sich um eine strafbare Nötigung. Statt den Diskussionsprozess im Parlament konstruktiv zu begleiten, stellt sich der Linken-Abgeordnete Böhme außerhalb des Rechts. Dabei gab es erst am Dienstag im Landtag auf Antrag seiner Fraktion eine öffentliche Anhörung zum geplanten Flughafenausbau Leipzig/Halle. Als verantwortlicher Versammlungsleiter sollte der Linken-Abgeordnete Marco Böhme die Konsequenzen tragen und für den wirtschaftlichen Schaden aufkommen.“
Sollte Anton recht haben – was man so aus dem sowieso schon restriktiven Sächsischen Versammlungsgesetz nicht herauslesen kann – wären öffentliche Proteste gegen klimaschädliche Wirtschaftsaktivitäten wie am Frachtflughafen Leipzig/Halle praktisch unmöglich. Was natürlich auch ahnen lässt, wie sehr sich die gemächliche Politik der sächsischen CDU mittlerweile mit dem rasant fortschreitenden Klimawandel beißt.
Eigentlich hätte Sachsens Regierung längst einen radikalen Umbauplan für das komplette Land vorlegen müssen, damit es wenigstens bis 2030 die eigenen Klimaziele erreicht. Im Energie- und Klimaprogramm des Freistaats steht das nämlich noch nicht. Dort findet man erst auf Seite 35 den Hinweis:
„Der Weg zum Maßnahmenplan: Im Anschluss an den Kabinettsbeschluss zum EKP 2021 wird die Sächsische Staatsregierung einen Plan erstellen, um die vereinbarten Ziele und Strategien in konkrete Maßnahmen zu übersetzen. Der Maßnahmenplan enthält auch eine Abschätzung der Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen beziehungsweise von Maßnahmenpaketen in Bezug auf die angestrebten Ziele sowie zu den voraussichtlichen Kosten. Wir planen, Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft bei der Erstellung des Maßnahmenplans zu beteiligen.“
Sachsen spielt noch immer auf Zeit
Das wird noch einmal richtig viel Zeit kosten, während Deutschland sein fiktives CO2-Budget schon in den nächsten neun Jahren aufgebraucht haben wird.
Dass Sachsen seit Jahren stagniert und nichts wirklich Einschneidendes passiert, um die enormen Treibhausgasemissionen zu senken, zeigt die Grafik mit den Treibhausgasemissionen, die in den letzten 20 Jahren nicht zurückgegangen sind, sondern eher noch leicht gestiegen sind.
Im Bundesvergleich wird das Problem noch deutlicher: Hat sich das bundesweite Pro-Kopf-Aufkommen bei Treibhausgasen seit 1990 von 15 auf 10 Tonnen verringert (was immernoch eine klimaschädliche Größenordnung ist), so hat Sachsen die Pro-Kopf-Last an Treibhausgasen nur von 25 Tonnen auf knapp unter 15 Tonnen gesenkt. Und das auch nur in den 1990er Jahren, als die klimazerstörende Energieversorgung der DDR abgewrackt wurde.
Aber Sachsen hat mit aller Macht an seinen Kohlekraftwerken festgehalten, die den Löwenanteil an den 8 Tonnen Treibhausgasen pro Kopf allein durch die Energiewirtschaft ausmachen. Und der Blick auf den Anteil der Mobilität (zu der auch der Flughafen Leipzig/Halle gehört) dürfte auch zeigen, dass Sachsen auch hier schmutziger unterwegs ist als der Bundesdurchschnitt.
Wohin Sachsen kommen muss, hat ja mittlerweile der Bund definiert, der seine Klimaschutzmarken deutlich verschärft hat. So steht es auch im Klimaprogramm: „Im Zuge dieses Beschlusses und der Zielverschärfungen auf EU-Ebene (siehe Kap. I.2.3) hat der Bund entschieden, das Klimaschutzgesetz umgehend anzupassen.
Mit dem Gesetzentwurf vom 12. Mai 2021 werden die zulässigen Jahresemissionsmengen ab dem Jahr 2023 bis zum Jahr 2030 abgesenkt, sodass bis zum Jahr 2030 eine Minderung der THG-Emissionen von mindestens 65 % gegenüber 1990 erreicht werden soll.
Das klimapolitische Ziel des EKP 2021 berücksichtigt diese Entwicklungsrichtung bereits. Bis zum Jahr 2040 zielt der Gesetzentwurf auf eine Emissionsminderung von mindestens 88 %. Bereits ab dem Jahr 2045 soll Treibhausgasneutralität erreicht werden. Die Gesamtemissionen nach 2030 müssen dabei gleichmäßig jährlich sinken, an diesem Anspruch wird sich auch der weitere Emissionsminderungspfad für den Freistaat Sachsen orientieren.“
Die 65 Prozent bis 2030 bedeuten: Sachsen muss den Pro-Kopf-Schnitt auf 9 Tonnen absenken. Das wird ohne frühere Abschaltung mehrerer Kohlekraftwerke nicht klappen. Und ob ein Ausbau des Frachtflughafens da hineinpasst, ist äußerst fraglich. Die Menschen, die die Flughafenzufahrt blockiert haben, haben nun einmal dafür demonstriert, dass wir auch für unsere Kinder und Enkel endlich den Hals aus der Schlinge ziehen.
Regierungskoalition übernimmt linken Gesetzvorschlag nicht
Und Zeit zum Umsteuern hat Sachsen nach 20 Jahren Trödelei und Nix-Merken nicht mehr. Weshalb die Linksfraktion im Landtag für sich entschied, selbst einen Vorschlag für ein sozial-gerechtes Klimaschutzgesetz vorzulegen.
Das Klimaschutzgesetz wird voraussichtlich am 21. Juli 2021 zur Plenarsitzung des Landtages abgestimmt. Im Umweltausschuss wurde es erst einmal abgelehnt. Sächsische Klima- und Umweltgruppen mobilisieren für den Tag zu einer Kundgebung vor den Sächsischen Landtag, um Druck für mehr Klimaschutz auszuüben.
„Die Ablehnung unseres Klimaschutzgesetzes macht deutlich, dass die Regierungskoalition die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat“, kommentiert das Marco Böhme. „Klimaschutz muss endlich auch in Sachsen für alle gelten und Gesetzeskraft besitzen. Ein grün angepinseltes „Weiterso“ mit rechtlich unverbindlichen Zielen, wie sie zuletzt im Energie- und Klimaprogramm verkündet wurden, reicht nicht aus. Dies zeigt einmal mehr die Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht, die jüngst gegen das Land Brandenburg angestrengt wurde. Gleiches droht Sachsen auch, wenn wir nicht deutlich mehr für den Klimaschutz tun.“
Es steckt auch ein gehöriger Zweifel darin, ob es mit der CDU in der Regierung überhaupt einen Maßnahmenplan geben wird, der wirklich den Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft forciert und die Lasten des Ausstiegs aus der Fossil-Wirtschaft nicht auf die eh schon schlechter verdienenden Erwerbstätigen umlegt.
Das befürchtet Böhme nämlich: „Klimaschutzmaßnahmen dürfen nicht zu mehr sozialer Ungleichheit führen. Wer wenig Geld hat, besitzt weniger Möglichkeiten als reiche Menschen, sich klimafreundlich zu verhalten. Einfach das Autofahren teurer zu machen, hilft nicht dem Klima, sondern schadet vor allen denjenigen, die auf das Auto angewiesen sind. Stattdessen sind klimafreundliche Alternativen nötig: mehr Verbindungen mit Bus und Bahn, die Wiederinbetriebnahme stillgelegter Zugstrecken und günstigere Ticketpreise. Zudem fordern wir eine Klimafolgenhilfe für ärmere Haushalte, mit der Mehrkosten abgefedert werden können – all das legen wir in unserem Gesetz fest.“
Nach dem Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts müsse auch Sachsen größere Anstrengungen unternehmen und seinen Beitrag zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius leisten, fordert Böhme. „Der Freistaat sollte als Vorbild vorangehen und die Verwaltung bis 2030 klimaneutral aufstellen.“
Aber auch da lohnt sich der Blick ins „Energie- und Klimaprogramm Sachsen 2021“, das ja auch die geballte Kompetenz des Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie nutzen konnte. Und dort weiß man seit Jahren, dass Sachsen den 1,5-Grad-Pfad schon lange verlassen hat. Nicht nur durch eigene Schuld, denn die Messwerte gelten ja ebenso für die Nachbarländer, wo sich die Temperaturen seit den 1980er Jahren ebenso ungebremst erhöhten.
Das, was wir heute erleben, ist im Grunde die Ernte eines rücksichtslosen Wirtschaftens im 20. Jahrhundert. Aber wenn Länder wie Deutschland nicht die Vollbremsung hinbekommen, muss man vom 1,5-Grad-Ziel nicht mehr reden, dann werden sich die Durchschnittstemperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts um 4 bis 5 Grad erhöhen.
„Zeichen der Zeit“ nennt es Böhme.
Hinweis der Redaktion in eigener Sache
Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.
Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.
Vielen Dank dafür.
Keine Kommentare bisher