In Sachsen regieren seit 2002 die Finanzminister. Es ist fast egal, wer gerade Ministerpräsident ist. Es gibt kein anderes Bundesland, in dem die Finanzminister eine derartige Macht haben. Was zwei aktuelle Beispiele sehr deutlich machen. Beide sorgen für gehörigen Ärger im Landtag. Und eins davon erzählt davon, dass Finanzminister eher nicht aufs Geld schauen, wenn sie schöpferisch tätig werden.
Der erste Ärger dreht sich um das sogenannte Steinbeis-Gutachten, das sich Sachsens aktueller Finanzminister Hartmut Vorjohann 2020 bestellt hat, um den kommunalen Finanzausgleich neu zu gewichten.Der MDR berichtete darüber am 2. September 2020 – also noch vor Beginn der Haushaltsverhandlungen zum Doppelhaushalt 2020/2021. Schon damals sorgte das Gutachten für Aufsehen, weil es die sächsischen Mittelstädte in den Verhandlungen um den künftigen Finanzausgleich deutlich schlechter stellte. Sie halten in der Regel all jene Infrastrukturen vor, die auch die kleinen Gemeinden in den Landkreisen brauchen, sich aber selbst nicht leisten können.
Nun sollen zwar die kleinen Gemeinden mehr Geld bekommen. Aber augenscheinlich fehlt in Sachsens Regierung die entscheidende Instanz, die diese Umverteilung auch unter demografischen Aspekten betrachtet. Denn warum ziehen die jungen Sachsen und Sächsinnen nach wie vor scharenweise weg aus ihren Geburtsorten im ländlichen Raum? Das hat eine Menge mit genau den Angeboten zu tun, die schon in den vergangenen 20 Jahren massiv gekürzt und geschlossen wurden.
Das hat mit dem zweiten Ärger zu tun, der da in Dresden gerade kocht.
Aber erst einmal zum Gutachten-Ärger.
Der Ärger um das Steinbeis-Gutachten
In der Debatte um das unlängst beschlossene Finanzausgleichsgesetz spielte eben auch das Gutachten eine Rolle, das die Staatsregierung beim Steinbeis-Forschungszentrum Regionalwirtschaft, Innovationssysteme und Kommunalfinanzen in Greifswald in Auftrag gegeben hatte. Das Papier mit dem Titel „KOMMUNALER FINANZAUSGLEICH IM FREISTAAT SACHSEN AB 2021“ empfiehlt unter anderem, mittelgroße Kommunen zugunsten kleinerer Kommunen zu benachteiligen.
Aber völlig unklar ist, welchen Arbeitsauftrag das Finanzministerium dem beauftragten Institut gegeben hat. Denn Gutachten werden nicht „einfach so“ erstellt. Sie sollen stets einen Aspekt unter dem gewünschten Blickwinkel des Auftraggebers beleuchten. Um einen wirklich gerechten Finanzausgleich ging es dabei genauso wenig wie um einen Finanzausgleich, der die demografischen Probleme im Freistaat wirklich gelöst hätte.
Steckte vielleicht etwas völlig anderes dahinter?
Das jedenfalls vermutet der Vorsitzende der Linksfraktion im Landtag, Rico Gebhardt. Er hat das Finanzministerium nach den Konditionen der Auftragserteilung befragt. Und die Auskunft, die er gerade zu diesem zentralen Punkt bekam, liest sich ziemlich seltsam: „Mit dem Gutachten sollten die aufgeworfenen Fragen in der dem Vertrag zugrunde liegenden Leistungsbeschreibung beantwortet werden und auf Basis von Modellrechnungen geeignete Anpassungsvorschläge als Orientierungshilfe und Entscheidungsgrundlage für den Gesetzgeber unterbreitet werden.“
„Von der Übermittlung des gesamten Wortlauts der Auftragsbeschreibung (sog. Leistungsbeschreibung) wird abgesehen. Die Leistungsbeschreibung zur Erarbeitung eines finanzwissenschaftlichen Gutachtens zum kommunalen Finanzausgleich im Freistaat Sachsen ist Teil der Aktenführung durch die Staatsregierung. Aus dem Fragerecht des Abgeordneten aus Artikel 51 der Verfassung des Freistaates Sachsen folgt kein Recht auf Übermittlung von Unterlagen, Dokumenten oder Akten.“
Hier will Finanzminister Hartmut Vorjohann ganz offensichtlich keine Auskunft geben.
Was hat der Finanzminister beauftragt?
„Der Finanzminister weigert sich, uns den Gutachterauftrag zur Verfügung zu stellen. Die Staatsregierung gibt mehr als 100.000 Euro aus für ein Gutachten und die Abgeordneten, die das Regierungshandeln kontrollieren sollen, dürfen den Auftrag nicht sehen? Wo leben wir denn? Da scheint doch wohl etwas sehr im Argen zu liegen, was die Achtung der Staatsregierung vor dem Parlament angeht. Soll hier etwas verheimlicht werden?“, fragt Gebhardt.
„Die Finanzbeziehungen zwischen den Kommunen und dem Freistaat sind ein seit Jahren heiß debattiertes, komplexes Thema. Schon deshalb sollten Abgeordnete, Kommunen und die Öffentlichkeit nachvollziehen können, was hier in Auftrag gegeben worden ist, um den kommunalen Finanzausgleich vermeintlich zu ,reformieren‘. Finanzminister Vorjohann mauert allerdings.“
Was zumindest ahnen lässt, wer in Sachsen tatsächlich Politik gestaltet. Denn das passiert nun einmal über die Finanzen. Und seit Georg Milbradt ist zumindest ein arg obrigkeitliches Gnadendenken über die Finanzen des Freistaats im Finanzministerium eingezogen, das auch anderen Ministerien immer wieder deutlich macht, wer eigentlich Herr im Hause ist und dass sich politische Gestaltungsspielräume nur mit dem jeweiligen CDU-Finanzminister finden lassen, niemals gegen ihn.
Ganz abgesehen von veritablen Projekten, in denen Sachsens Finanzminister ihre Machtposition gewaltig verstärkt haben – vor den Augen des versammelten Landtags, der die Entmachtung geradezu freudig auch noch begrüßte. Das war beim Engagement bei der Sächsischen Landesbank der Fall, das die sächsischen Steuerzahler am Ende über 1,5 Milliarden Euro kostete. Das war beim Neuverschuldungsverbot der Fall, das mit der Landtagsmehrheit in die Sächsische Verfassung aufgenommen wurde – im Corona-Jahr aber stillschweigend aufgehoben wurde, weil es Krisenpolitik schlichtweg unmöglich macht.
Das war bei der Einführung des Generationsfonds der Fall, mit dem jährlich eine halbe Million Euro aus dem Landeshaushalt abgezweigt wird, um damit die künftigen Pensionslasten des Freistaats zu finanzieren. 8,7 Milliarden Euro wurden so dem sächsischen Haushalt inzwischen entzogen. Und es sind nicht nur die Kommunen, die das Fehlen dieser Gelder schmerzlich spüren.
Völlig im Nebel: das Standortekonzept von 2011
Und dabei ist ein wirklich teures Projekt noch nicht einmal vollendet: Das im Jahr 2011 von Finanzminister Georg Unland forcierte Standortekonzept, das letztlich nur ein teurer Verschiebebahnhof sächsischer Behörden war, damals dem Landtag mit der Behauptung verkauft, dass es binnen kurzem massive Einsparungen von über 800 Millionen Euro bringen werde.
Aber das Geld werden schon allein all die an neuen Standorten geplanten Gebäude verschlingen, während eine Evaluation dieses „Sparvorhabens“ bis heute aussteht. Denn oft ziehen lokal fest etablierte Behörden einfach nur um in eine andere Stadt, an ihren Aufgaben aber ändert sich nichts. Und dieser Umzugszirkus trägt dazu bei, dass in vielen Landkreisen auf einmal wichtige Ankerpunkte fehlen.
Zuletzt meldete sich auch Verkehrsminister Martin Dulig zu Wort, der es einfach sinnfrei findet, dass das zu seinem Ministerium gehörende Landesamt für Straßenbau und Verkehr (LASuV) von Chemnitz nach Zschopau umziehen soll. Aber kurz zuvor hatte Finanzminister Hartmut Vorjohann Druck gemacht, das alte Standortekonzept weiter durchzuziehen, obwohl es zeitlich schon völlig aus der Spur ist und niemand die tatsächlichen Kosten vorliegen hat.
Grüne fordern die vereinbarte Evaluation
Zur Diskussion um das Standortekonzept für die Verwaltungssitze im Freistaat Sachsen erklärt deshalb Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Sächsischen Landtag: „Das Standortkonzept der schwarz-gelben Regierung aus dem Jahr 2011 sah eine Reihe von Schließungen und Umsiedlungen von Behördenstandorten im Freistaat Sachsen vor. Wir Bündnisgrünen haben dieses Konzept abgelehnt. Wir haben den Verlust an bürgernaher Verwaltung und die erheblichen Kosten, die damit einhergehen sollten, kritisiert. Zudem fehlte es schon 2011 und bis heute an einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung. Die haben wir Bündnisgrünen seither unter anderem mit Anträgen im Landtag regelmäßig eingefordert.“
Vor diesem Hintergrund hätten sich die Grünen dann auch in den Koalitionsverhandlungen für eine Evaluierung des Standortkonzepts eingesetzt und im Koalitionsvertrag vereinbart: „Wir stehen für eine bürgernahe Verwaltung. Das Standortekonzept werden wir daher mit Blick auf die Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger, eine ausgewogene Verteilung von Standorten, insbesondere im ländlichen Raum, die Kosten und die Umsetzung des Personalkonzepts unter Einbeziehung der Personalvertretungen evaluieren.“
Das war 2019. Und dass der Finanzminister jetzt wieder Druck macht, erzählt so einiges davon, wie die Machtverhältnisse in der Regierung nach wie vor sind. Natürlich ist das eine Machtprobe: Knicken die beiden kleinen Koalitionspartner wieder ein oder halten sie diesmal dagegen?
„Diese Evaluierung wurde, soweit wir wissen, noch nicht begonnen. Das Ganze ist intransparent und das ist nicht hinnehmbar“, stellt Lippmann fest. „Dass das Finanzministerium nunmehr ohne Vorlage der vereinbarten Evaluierung und ohne Kabinettsbefassung Tatsachen schaffen will und von Investitionen in das Finanzamt in Annaberg unter Entscheidung des Erhalts von Außenstellen in Schwarzenberg und Stollberg abweicht, läuft der politischen Zielsetzung der Koalition zuwider.“
Die Grünen fordern deshalb die Zurückstellung einer solchen Entscheidung bis zur Vorlage der Evaluierung des gesamten Standortkonzepts.
„Gerade mit Blick auf eine ausgewogene Verteilung von Standorten, die bereits erfolgte Umsetzung der Standortkonzeption, die Entwicklung des Personals und die Kosten des Standortkonzepts ist eine breite Diskussion in Regierung, Landtag, den Kommunen und den Personalvertretungen dringend erforderlich. Ein Alleingang des Finanzministeriums per Federstrich ist auch mit Blick auf die bereits umgesetzten Schließungen – etwa des Amtsgerichts Annaberg – nicht akzeptabel“, sagt Lippmann.
„Erst in Ansehung des Ergebnisses dieser Evaluierung und des ebenfalls zu erarbeitenden Personalkonzepts sind wir bereit, in breiter Diskussion mit allen Betroffenen, über Behördenstandorte zu diskutieren und notwendige Korrekturen transparent vorzunehmen.“
Auch so kann man versuchen, Macht zu demonstrieren, wie es der Finanzminister hier tut: Einfach die vereinbarte Evaluation unterlassen und weitermachen wie bisher. Auch wenn kein Mensch weiß, was diese gewaltigen Investitionen, die sich am Ende nicht nur auf 500 Millionen Euro belaufen werden, eigentlich gebracht haben.
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