Am Dienstag, 4. Mai, hat Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller den ersten Lagebericht der Koordinierungsstelle für Extremismusprävention und -bekämpfung (KostEx) vorgestellt. Die Stelle wurde zum 1. September des vergangenen Jahres unter anderem mit dem Ziel eingerichtet, einen halbjährlichen Lagebericht zum Ist-Stand sowie zu Entwicklungen und Tendenzen in Bezug auf Extremismus im öffentlichen Dienst zu erstellen.
Und zwar für den gesamten Geschäftsbereich des Sächsischen Staatsministerium des Innern, auch wenn am Ende vor allem Polizeibeamte im Fokus des Berichts stehen. Nicht ganz ohne Grund, wie man ja auch in Aiko Kempens Buch „Auf dem rechten Weg“ nachlesen kann. Auch wenn es just für einen Generalverdacht keinen Grund gibt.Aber er schildert auch sehr genau die Verhaltensweisen, die dazu führen, dass rechtsextremistische und rassistische Verhaltensweisen entweder nicht wahrgenommen oder sogar von den Kollegen gedeckt werden. Meistens ist es ein völlig falsch verstandener Korpsgeist, oft aber auch die Ignoranz von Vorgesetzten.
Immerhin ist die Polizei auch vom Selbstverständnis her eine konservative Behörde und daher attraktiv für Menschen, die besonders konservative Vorstellungen von Ordnung und Sicherheit haben. Was eher links orientierte Menschen vielmehr davon abhält, eine Polizeikarriere zu beginnen, während ein stark konservativ geprägtes Weltbild der Polizei auch dazu führt, eher linke Demonstrationen und Aktionen als Gefahr für den Staat zu sehen und rechtsradikale Entwicklungen oft zu übersehen.
Wohin wendet man sich da als Bürger, wenn man befürchten muss, von der Polizei nicht ernst genommen zu werden?
„Die Koalition hat im Koalitionsvertrag vereinbart, konsequent gegen Verfassungsfeinde im Staatsdienst vorzugehen. Der heute vorgelegte Bericht macht deutlich, dass dies weiterhin mit der notwendigen Entschiedenheit vorangebracht werden muss“, kommentiert Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Sächsischen Landtag, den Bericht.
„Mindestens 39 Fälle, in denen in den letzten vier Jahren dienst- oder arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet wurden, belegen, dass man nicht von Einzelfällen sprechen kann. Die dokumentierten Fälle zeigen deutlich, dass es ein Problem mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in den Sicherheitsbehörden gibt. Zumal dies nur die bekannt gewordenen Fälle sind. Vor diesem Hintergrund erwarte ich von Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller, dass er das Problem von Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden auch klar benennt und dies nicht hinter einer allgemeinen und weiten Extremismusdefinition versteckt.“
Wobei auch der am Dienstag vorgestellte Bericht recht deutlich macht, dass auch Sachsens Polizei nicht wirklich ernst genommen hat, dass Rechtsextreme den Beruf attraktiv finden und natürlich versuchen, in den Polizeidienst zu kommen.
„Auffällig ist die hohe Anzahl der betroffenen Anwärterinnen/Anwärter der Fachrichtung Polizei“, kann man da lesen. „Neben den allgemeinen präventiven Vorkehrungen müssen daher Maßnahmen ergriffen werden, die auf die Besonderheiten dieses Personenkreises eingehen. Für den sensiblen Bereich des Polizeidienstes müssen die Kontrollmechanismen bereits vor der Einstellung einer Polizeianwärterin oder eines Polizeianwärters deutlich verbessert werden.“
Aber auch die Analyse von Aiko Kempen bestätigt sich: In Teilen des Polizeidienstes ist Rassismus virulent. Einige Beamte verhalten sich entsprechend rücksichtslos gerade gegen Ausländer und Migranten: „Bemerkenswert ist ebenso die hohe Zahl der Verdachtsfälle im Zusammenhang mit Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit. Diese Fälle betrafen vor allem Laufbahnbeamtinnen/-beamte. In der Regel stehen die betreffenden Beamtinnen/Beamten fest auf dem Boden der Verfassung.“
Was aber nichts nützt, wenn sie dabei Menschen unterschiedlich behandeln und Minderheiten diskriminieren oder gar erst kriminalisieren. Was letztlich auch Bedeutung für die sächsische Kriminalitätsstatistik hat. Denn wenn Polizeibeamte ihren Verdacht immer wieder „automatisch“ auf Minderheiten richten (Stichwort: racial profiling), tauchen die natürlich vermehrt in der offiziellen Kriminalitätsstatistik auf, wirken also auch für die Öffentlichkeit krimineller als die scheinbar gesetzestreuere Vergleichsgruppe.
So gesehen sind die Vermutungen gerechtfertigt, dass auch dieser Bericht nur die Spitze des Eisbergs zeigt. Und etliche der Fälle sind mitnichten harmlos, wie man lesen kann: „Die Anzahl der Bediensteten, bei denen Sachverhalte mit extremistischem Bezug geprüft wurden, nimmt seit 2017 jährlich zu“, steht da zum Beispiel als deutliche Warnung. Und zu den Zahlen: „Bei den 39 Sachverhalten mit extremistischem Bezug wurden 43 Verfahren zur Prüfung dienst- oder arbeitsrechtlicher Maßnahmen eingeleitet. Dabei umfassten zwei Sachverhalte jeweils zwei Verfahren und ein weiterer Sachverhalt drei Verfahren.“
Woraus das Innenministerium dann die Meldung machte: „Im Betrachtungszeitraum wurden 39 Sachverhalte mit extremistischen Bezügen geprüft, die sich auf 40 Personen beziehen. Dies entspricht insgesamt 0,23 Prozent aller Bediensteten. Die Sachverhalte wurden fast ausschließlich in der sächsischen Polizei erfasst.“
Innenminister Roland Wöller ließ sich mit den Worten zitieren: „Jeder Sachverhalt ist einer zu viel. Damit müssen wir uns aktiv auseinandersetzen. Auf der anderen Seite zeigt der Bericht, dass die überwältigende Mehrheit von über 99 Prozent unserer Bediensteten pflichtbewusste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind.“
Aber eben das besagt der Bericht nicht. Er umfasst nun einmal nur die angezeigten Fälle, die ohne die Einrichtung der Koordinierungsstelle für Extremismusprävention und -bekämpfung (KostEx) wahrscheinlich gar nicht publik geworden wären.
„Im Ergebnis wurden bei den abgeschlossenen dienst- und arbeitsrechtlichen Verfahren in 16 von 18 Verfahren Disziplinarmaßnahmen oder sonstige dienst- bzw. arbeitsrechtliche Maßnahmen ergriffen. Mehr als die Hälfte der dienst- und arbeitsrechtlichen Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. Von den Verfahren, die noch nicht abgeschlossen sind, sind 14 Verfahren aus dem Jahr 2020. Bei fünf weiteren offenen Verfahren ist eine Klage beim Verwaltungsgericht anhängig.“
Nur in zwei Fällen wurde das Verfahren wieder eingestellt, weil sich der Verdacht nicht bestätigte. Sechs Beamte aber mussten entlassen werden. Das heißt: Die 2020 endlich eingerichtete Koordinierungsstelle war überfällig und wird auch in Zukunft benötigt, möglichst erweitert um weitere Möglichkeiten der Hinweisplattform, wie Lippmann fordert:
„Insbesondere sollte die anonyme Hinweisplattform schnellstmöglich für alle Behörden des Freistaates Sachsen eingerichtet werden und dabei auch andere rechtswidrige Betätigungsfelder von Bediensteten des Freistaates umfassen. Beispielsweise sollte die Hinweisplattform auch zur Korruptionsbekämpfung genutzt werden können. Zudem rege ich an, die Untersuchungen jährlich fortzuschreiben und auf alle Behörden des Freistaates auszudehnen.“
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