Schlecht qualifiziertes Personal, rechtswidrige Datensammlungen, ein geschasster Behördenchef, mangelhafte Analysen zum Rechtsextremismus – was läuft schief bei den sächsischen Verfassungsschützern? Warum sorgt der Geheimdienst seit Jahren für negative Schlagzeilen? Die „Leipziger Zeitung (LZ)“ hat den Inlandsnachrichtendienst genauer unter die Lupe genommen. Die Auswertung der Personalstruktur zeigt: Diese Behörde kann unsere Verfassung nicht vor ihren Feinden vom rechten Rand der Gesellschaft schützen.
Die allermeisten Mitarbeiter verfügen über keinen Hochschulabschluss; das heißt: Die wenigsten sind für die Anfertigung politikwissenschaftlicher Analysen akademisch qualifiziert. Von dem Sparkurs vergangener Landesregierungen hat sich der Dienst bis heute nicht erholt.
Dass in dem Landesamt zusätzlich juristische Defizite herrschten, beweist der Skandal um den Umgang mit Abgeordnetendaten. Vergangenen Juni war publik geworden, dass die Verfassungsschützer eine rechtswidrige Datensammlung über Abgeordnete der AfD angelegt hatten.
Die Parlamentarische Kontrollkommission hat mittlerweile aufgedeckt, dass der Dienst Weisungen der Fachaufsicht nach Korrektur beharrlich ignorierte. Der Vorgang kostete den umstrittenen Behördenleiter Gordian Meyer-Plath schlussendlich den Job. Zwischenzeitlich wurde durch Nachforschungen einzelner Abgeordneter bekannt, dass alle sächsischen Parlamentarier von der Datensammelwut der Behörde betroffen sein könnten.
Sachsens Verfassungsschutz gab Anfang Dezember überraschend Einblick in seine Personalstruktur. Angaben des Innenministeriums gegenüber dem Landtag liefern Erklärungsansätze für die chronische Analyseschwäche des sächsischen Inlandsgeheimdienstes im Bereich Rechtsextremismus, die Behördenchef Gordian Meyer-Plath vergangenen Juni den Job kostete.
Umstritten war die Analysefähigkeit in den politischen Fachkreisen allerspätestens seit der zufälligen Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Das war im November 2011. Innenminister Markus Ulbig (CDU) hatte deshalb Ende 2012 eine Expertenkommission eingesetzt, die Vorschläge für die Umstrukturierung der Behörde erarbeiten sollte. Diese empfahl in ihrem Schlussbericht im Februar 2013, die Analysefähigkeit der Behörde zu verbessern.
„Hierbei sind einige Verbesserungen erreicht worden, wenn auch die Spielräume wegen des allgemeinen Stellenabbaus (…) ausgesprochen eng sind“, erkannte im Mai 2015 eine Arbeitsgruppe des Innenministeriums. Eine der Positivmeldungen des Abschlussberichts: Durch Gewinnung eines Referenten für das Referat 21 – Rechtsextremismus – habe sich die Analysekompetenz der Auswertung erhöht.
Fünf Jahre später, im Juni 2020, verlautbarten Innenminister Roland Wöller (CDU) und der frisch ernannte Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian unisono: Dem Landesamt fehle in Puncto Rechtsextremismus die Analysefähigkeit. Während Meyer-Plath auf einen unbedeutenden Posten ins Wirtschaftsministerium abgeschoben wurde, soll sein Nachfolger das tun, woran der studierte Historiker gescheitert war – mit demselben Personal, das dieser Aufgabe nur bedingt gewachsen zu sein scheint.
Die Angaben des Ministeriums gestatten einen Blick in die Tiefe, wie er in dieser Form bislang einmalig ist. Wöllers Haus hat dem Landtag die beruflichen Qualifikationen aller sächsischen Verfassungsschützer offengelegt. Hinter der Preisgabe der Interna steckt eine unmissverständliche Botschaft: Seht her. Wir können nicht anders.
Mit Stand 1. November beschäftigte das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) 195 Mitarbeiter. Gut ein Drittel ist mit Verwaltungsaufgaben betraut. 68 Verfassungsschützer arbeiten in Präsidialbüro, Zentralstelle, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und der mit allgemeinen Aufgaben betrauten Abteilung 1. Das nachrichtendienstliche Handwerk findet in den Abteilungen 2 bis 4 statt.
In der Abteilung 2 – „Beschaffung, Observation“ – sind 70 Beschäftigte tätig. Die Auswertung erfolgt seit Ende Februar 2020 nicht mehr in einer, sondern in zwei Abteilungen. Abteilung 4 verantwortet den Rechtsextremismus, Abteilung 3 den Rest.
Die Umstrukturierung diente nach Angaben des Ministeriums „der Umsetzung des Koalitionsvertrags und der dort verstärkten Berichterstattung (…) über Akteure, Strukturen und Aktivitäten im Bereich Rechtsextremismus“. Das klingt in Politikerohren auf den ersten Blick erfreulich. Jedoch setzt sich die neue Abteilung „im Wesentlichen“ aus 27 Mitarbeitern in drei Referaten zusammen, die im bisherigen Referat 21 mit dem Phänomenbereich betraut waren.
Auffällig ist, dass die wenigsten Auswerter einen Hochschulabschluss in der Tasche haben. Unter den 57 Mitarbeitern der beiden Analyseabteilungen befanden sich am 1. November drei Geisteswissenschaftler mit Abschlüssen in den Fächern Geschichte, Politik und Islamwissenschaft. Keine Soziologen, keine Medienwissenschaftler, keine Historiker. Dafür einige Laufbahnabsolventen, drei Volljuristen und nochmal so viele Diplomingenieure.
Tiefgreifende sozial- und politikwissenschaftliche Analysen zum politischen Extremismus in all seinen Schattierungen, wie sie von Politikern und Teilen der Öffentlichkeit seitens der Dienste erwartet werden, kann dieses Personal sicher nicht in der Breite abliefern. Zwar besuchen alle Verfassungsschützer nach Einstellung eine Basisausbildung und Fortbildungslehrgänge der Akademie für Verfassungsschutz in Köln. Diese können jedoch kein mehrjähriges Hochschulstudium ersetzen.
Man sollte sich keineswegs der Illusion hingeben, alle diese 57 Verfassungsschützer wären rund um die Uhr mit Auswertungen und Analysen befasst. Verfassungsschutz ist in erster Linie ein Papiertiger. Denn Nachrichtendienste obliegen umfangreichen Dokumentations- und Berichtspflichten. Akten wollen geführt, Lagebilder geschrieben, Datenbanken gepflegt werden.
Die 70 Beschaffer der Abteilung 2 müssen tagtäglich abwägen, an wessen Fersen sie sich heften. Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung aller gewaltbereiten Extremisten können und wollen die Dienste nicht gewährleisten. Die Analysten können aber bloß das Material auswerten, das die Beschaffer ihnen zuarbeiten. Infolge der gewollten Trennung von Beschaffung und Auswertung, die der inhaltlichen Kontrolle dienen soll, führen operative Schwächen notwendigerweise zu lückenhaften Analysen.
Der Evaluationsbericht von 2015 merkt kritisch an, dass ausgerechnet die überalterte Observationsgruppe von drei auf zwei Trupps verkleinert werden musste. Hier wirke sich – insbesondere aufgrund des geltenden Stellenabbaus – die mangelnde Möglichkeit, junge Beamte neu für die Observationsgruppe zu gewinnen, zunehmend problematisch aus. Ob sich an der brisanten Situation zwischenzeitlich etwas geändert hat? Geheimsache.
Meyer-Plath sah sich damals vor der Aufgabe, das Personal von vormals 187 Planstellen bis 2020 auf 175 zu reduzieren. „Perspektivisch als besonders schwierig erweist sich die Umsetzung derjenigen Empfehlungen, die eine Verbesserung der Personalstruktur des LfV zum Ziel hatten. Stellenabbau, kaum vorhandene Möglichkeiten der Höherqualifizierung von Mitarbeitern und die sich abzeichnende Überalterung der Bediensteten im operativen Bereich engen die Möglichkeiten einer positiven Personalentwicklung deutlich ein“, mahnten die Verfasser seinerzeit.
Wolle man dem Ziel einer nachhaltigen Steigerung nicht nur der organisatorischen Effizienz, sondern auch der Arbeitsergebnisse des Landesamtes näherkommen, müsste eine deutliche Verbesserung der Möglichkeiten bei der Personalentwicklung erreicht werden. „Diese liegen allerdings zum erheblichen Teil nicht allein in der Hand des LfV.“ Deutlicher hätte der Wink ans Innen- und Finanzministerium kaum sein können. Inzwischen ist der rigide Sparkurs passé. Durchgreifende Veränderungen in der Personalstruktur sind trotzdem nicht in Sicht.
Zwar sieht der Haushaltsentwurf für 2021/22 die Schaffung einiger zusätzlicher Planstellen vor, davon zehn im höheren Dienst. Ansonsten bleibt alles beim Alten. In welchen Abteilungen die neuen Verfassungsschützer eingesetzt werden sollen, ist streng geheim. „Zu internen Organisationsfragen und Personalangelegenheiten nimmt das LfV Sachsen öffentlich nicht Stellung“, teilte Behördensprecherin Patricia Vernhold lapidar mit.
„Verfassungsschutz: Nur bedingt analysefähig“ erschien erstmals am 29. Januar 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 87 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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