Ende 2020 hat das Sächsische Finanzministerium auch mal wieder seine mittelfristige Finanzplanung vorgelegt. Ein nicht ganz zufällig gewählter Zeitpunkt, denn der Landtag diskutierte gerade heftig über den Doppelhaushalt 2021/2022. Und man diskutiert natürlich anders, wenn der Finanzminister warnt: Ab 2023 wird's knapp mit dem Geld, da müssen wir den Gürtel enger schnallen.
So hat er das natürlich nicht gesagt. Er spricht lieber von „Repriorisierung der Aufgaben“, ganz so, als hätte der Freistaat die letzten Jahre die falschen Prioritäten gesetzt. Also Lehrer und Polizisten eingestellt und derlei Zeug. Das Personal ist ganz bestimmt ein Thema. Denn die Gehälter im öffentlichen Dienst sind der Posten, der über die Jahre am deutlichsten wächst.Und das weniger durch die Neueinstellungen, als durch die blanke Höhe der Tarife im öffentlichen Dienst, wo Gehaltssteigerungen um bis zu 6 Prozent etwas völlig anderes bedeuten als – sagen wir mal – bei Hartz-IV-Sätzen. Deutsche Finanzminister lieben Prozentrechnungen.
Und sie lieben die vierteljährlich aufschlagenden Prognosen der Bundesregierung und auch der diversen Forschungsinstitute, die so gern in die Zukunft schauen und orakeln, wie sich die Wirtschaft und die Steuereinnahmen entwickeln werden.
Etwas anderes hat auch Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann nicht, wenn er nun mit der Mittelfristigen Finanzplanung versucht vorauszusagen, wie viel Geld der Freistaat ab 2023 zur Verfügung haben könnte. An den Zahlen von 2021/2022 kann er nichts mehr ändern, die hat die Staatsregierung mittlerweile vorgegeben. Sie sind Grundlage des Doppelhaushalts. Und die möglichen Finanzierungslücken, die durch coronabedingte Steuerausfälle entstehen, sollen durch den 6-Milliarden-Euro-Corona-Fonds ausgeglichen werden.
„Im Unterschied zum Haushaltsplan, der vom Landtag in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren verabschiedet wird, ist die Mittelfristige Finanzplanung ausschließlich ein Planungs- und Informationsinstrument der Staatsregierung. Sie entfaltet keine unmittelbare Rechtswirkung und hat kein Präjudiz für kommende Haushalte. Sofern sich aus der Finanzplanung Handlungsbedarfe ergeben, bleibt es dem Haushaltsgesetzgeber vorbehalten, die entsprechenden Weichenstellungen vorzunehmen“, warnt das Papier zur mittelfristigen Finanzplanung deshalb vorsichtshalber.
Aber wenig später wird das Finanzministerium dann doch konkreter, denn die 6 Milliarden Euro Vorsorge-Fonds wurden ja nicht grundlos beschlossen: „Die zusätzliche Haushaltsbelastung ist ohne Kreditaufnahme nicht umsetzbar. Der Freistaat Sachsen hat daher am 9. April 2020 einen Nachtragshaushalt 2020 beschlossen und das Sondervermögen ,Corona-Bewältigungsfonds Sachsen‘ errichtet. Über das Sondervermögen werden bis Ende 2022 alle Einnahmen und Ausgaben mit Bezug zur COVID-19-Pandemie nachgewiesen. Der Sächsische Landtag räumte dem Sondervermögen, gestützt auf Art. 95 Abs.5 SächsVerf eine Kreditermächtigung von bis zu 6 Mrd. Euro ein, die mit einem Tilgungsplan bis 2030 verknüpft wurde.“
Und dann kommt der Satz, mit dem der Finanzminister den drei Koalitionären in der Regierung schon mal die Instrumente zeigt: „Die COVID-19-Pandemie wird den Staatshaushalt im Zeitraum dieses Finanzplans maßgeblich prägen. Künftige Tilgungslasten und das Auslaufen der kreditfinanzierten Kompensation von Steuermindereinnahmen werden eine Repriorisierung aller Ausgaben erfordern.“
Die Steuermindereinnahmen kennt freilich auch der Finanzminister noch nicht, denn er greift dabei auch nur auf die Ergebnisse des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ beim Bundesfinanzministerium zurück, in diesem Fall auf die Novemberschätzung 2020, die zwar deutlich unter der Schätzung aus dem Vorjahr lag, aber wieder deutlich über der Schätzung aus dem Frühjahr. Statt 16,4 Milliarden Euro könnte der Freistaat Sachsen vielleicht noch 14,9 Milliarden Euro aus „Steuern und steuerinduzierten Einnahmen“ in die Kasse bekommen. Wobei man betonen muss: Die 14,9 Milliarden waren eher die normalen Einnahmen der vergangenen Jahre. Die 16,4 Milliarden wären eine neue Rekordeinnahme gewesen.
Natürlich muss das trotzdem eingepreist werden in den Doppelhaushalt. Und an dieser Stelle entstehen die rund 1,5 Milliarden Euro Deckungslücke, die durch den Corona-Fonds ausgeglichen werden sollen.
Ein ähnliches Loch sieht der Finanzminister auch 2021, wo statt 16,8 Milliarden Euro vielleicht nur 15,5 Milliarden in die Kasse kommen. 2022 könnte der Corona-Bewältigungsfonds noch reichen, so das Finanzministerium. Denn da wäre eine prognostische Lücke zwischen 16,2 Milliarden Euro Steuereinnahmen und Erwartungen von 17,2 Milliarden Euro zu schließen.
Ab 2023 aber sieht das Finanzministerium dann eine Lücke von 1 Milliarde Euro aufklaffen, was es in seiner Haushaltsplanung dazu bringt, Einnahmen und Ausgaben jeweils von 21 auf 20 Milliarden Euro abzusenken. Und „die Aufgaben zu priorisieren“, was immer das heißen soll. Bei den Zuweisungen an die Gemeinden (immerhin 3,3 Milliarden Euro) wird niemand rütteln können, sonst gibt es richtig Ärger mit Landräten und Bürgermeistern. Beim ÖPNV stehen über 500 Millionen Euro in der Tabelle, aber auch die gehören qua Zweckbindung in die regionalen Nahverkehrsverbünde. Und bei den Personalausgaben kann auch nicht gekürzt werden. Immerhin geht es da um rund 5 Milliarden Euro.
Plus die Gelder, die der Freistaat jedes Jahr in den „Generationenfonds“ schiebt. Und da diese Rücklagen direkt an die Personalausgaben gekoppelt sind, fließen jedes Jahr über 800, bald 900 Millionen Euro in diesen Fonds.
Da fragt man sich natürlich: Sind Sachsens Pensionäre denn schon so teuer?
Sind sie nicht. Auch wenn die Aufwendungen für diese Pensionsversorgung gerade kräftig ansteigen, weil jetzt so nach und nach all die Beamt/-innen in den Ruhestand gehen, die der Freistaat ab 1990 eingestellt hat. Also steigen die Ausgaben hier von knapp 400 auf über 500 Millionen Euro ab 2023.
Wobei gleichzeitig immer wieder auch eine Erstattung aus dem „Generationenfonds“ zurückfließt, um die Pensionen abzufedern. 2020 waren das 130 Millionen Euro, 2021 werden es wohl 155 Millionen Euro. Auch da kann man davon ausgehen, dass der auf Sicherheit bedachte Finanzminister hier wohl nicht die Schere ansetzt oder gar Teile des „Generationenfonds“ zurückfährt.
Denn die 912 Millionen Euro Zuführung ab 2023 ähneln verblüffend dem Fehlbetrag, den der Finanzminister im Jahr 2023 ausgemacht hat: „Zur Kompensation der pandemiebedingten Steuermindereinnahmen erhält der Kernhaushalt in den Jahren 2020 bis 2022 Zuweisungen aus dem Corona-Bewältigungsfonds Sachsen in Höhe des Differenzbetrags der Einnahmeerwartungen vom Oktober 2019 und der jeweiligen Ist-Steuereinnahmen. Ab 2023 können die Steuermindereinnahmen nach aktueller Rechtslage nicht mehr kompensiert werden, was gegenüber der vorherigen Finanzplanung allein im Jahr 2023 Mindereinnahmen von 923 Mio. Euro bedeuten.“
Man würde also den sächsischen Haushalt für eine Weile sehr gut ausgleichen können, wenn man dem längst auf über 8 Milliarden Euro angewachsenen Generationenfonds ein paar Jahre lang mal keine neuen Gelder zuführt und damit die Ausgaben der Gegenwart finanziert.
Denn wer die Welt immer nur aus der Sicht des Kassenwarts betrachtet, sieht immer nur überall Löcher und Fehlbeträge, sieht aber nicht, dass Geld nicht in ein Loch gekippt wird, wenn man es ausgibt, sondern immer weitere Wirtschaftskreisläufe füttert. Die Staatsbediensteten kaufen damit ein, bezahlen ihre Mieten und Energierechnungen.
Die Kommunen betreiben damit Schulen und Theater, bauen Kitas, Straßen, Radwege. Die Verkehrsunternehmen sanieren damit ihre Gleise, kaufen neue Fahrzeuge und bezahlen die teuren Trassen, sodass auch die Bahn hübsch was verdient. Hinter jedem, der Geld ausgibt, steht eine Schlange von Leuten und Unternehmen, die das Geld einnehmen und selbst wieder ausgeben. Außer es landet in Fonds, wo es für Jahre vor sich hinmümmelt und nichts Gescheites anstellt.
Aber so denken die Finanzminister in der Regel nicht. Und sie gehen auch nicht rüber zum Innenminister und sagen, er soll mit seinen irrsinnigen Abschiebungen aufhören, denn die Leute, die er in kaputte Länder abschiebt, werden dringend gebraucht in Sachsen – nicht nur als Pfleger/-innen, Fahrer/-innen. Bauarbeiter/-innen oder Physiotherapeut/-innen, sondern auch als Steuerzahler/-innen und – ja, auch als simpler Kopf.
Denn der Freistaat nimmt ja nicht nur Steuern ein, er bekommt auch Zuweisungen vom Bund. Und die berechnen sich nach der Einwohnerzahl.
Der Finanzminister hat das zumindest begriffen: „Sachsens Anteil an der Bevölkerung in Deutschland könnte von 5,08 % in 2010 über 4,90 % in 2019 bis auf 4,76 % in 2030 zurückgehen. Gleichzeitig schreitet insgesamt die Alterung der Bevölkerung weiter voran, wobei insb. in den Kreisfreien Städten Dresden und Leipzig zugleich auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren zunächst wieder ansteigt.“
Und damit sinken die Bundeszuweisungen an den so langsam sich leerenden Freistaat, während innerhalb Sachsens die Geldverteilung immer mehr zugunsten der Großstädte Leipzig und Dresden passiert. Denn auch die Zuweisungen im Landesfinanzausgleich gibt es pro Kopf.
Was ja schon längst ganze Landkreise auf die Barrikaden gebracht hat, weil sie das ungerecht finden. Obwohl es nicht ungerecht ist, denn die Großstädte sind der Wirtschaftsmotor des Landes. Hier entstehen die neuen Arbeitsplätze, während die Landkreise ihre Einwohner verlieren und trotzdem die Kosten für die Infrastrukturen haben. Da wird es noch harte Verteilungskämpfe geben. Wäre ich Ministerpräsident, hätte ich längst ein Demografieministerium gegründet, das sich mit dieser Unwucht ganz zentral beschäftigt. Bin ich aber nicht.
Und die Frage bleibt: Wird das nun alles unfinanzierbar? Das hätte man auch nach den Mittelfristigen Finanzplanungen von Vorjohanns Amtsvorgängern sagen können. Die endeten im Grunde alle mit dem diskreten Wunsch nach „Ausgabenrepriorisierungen“. Und jedes Mal stellte sich heraus, dass am Ende doch mehr Steuern in die Kasse kamen als erwartet. Vielleicht ist das mit Corona diesmal etwas anders, weil die harten Auswirkungen auf die Wirtschaft mindestens bis zum Frühsommer zu spüren sein werden.
Im Bericht heißt es aber trotzdem: „Insgesamt steigen die Einnahmen aus Steuern und steuerähnlichen Abgaben infolge der erwarteten gesamtwirtschaftlichen Erholung nach der COVID-19-Pandemie (…) von 12,3 Mrd. Euro in 2020 auf 15,1 Mrd. Euro in 2024.“
Wobei auch die 12,3 Milliarden Euro für 2020 noch nicht die Endabrechnung sind, sondern nur die Vermutung aus dem Dezember. Es würde nicht überraschen, wenn es am Ende doch mehr werden.
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