Es gibt auch in Sachsen viele engagierte Menschen, die etwas tun möchten, damit der Klimawandel endlich gebremst wird, und denen all die zaghaften politischen Schritte viel zu winzig sind, nicht konsequent genug. Mit dem klaren Ziel eines Parteiaufbaus haben einige von ihnen am 16. Januar nun einen Verein gegründet. „Wir sehen uns nicht als Konkurrenz zu den Grünen und möchten auch nicht so wahrgenommen werden“, meinen sie. Aber zu wem dann sonst?

Denn das Vorbild für die jetzt gegründete Klimaliste Sachsen, die zur Bundestagswahl im September erstmals antreten will, sind die Ende 2020 erfolgten Gründungen einer Klimaliste in Baden-Württemberg und Bayern. Und die in Baden-Württemberg hat sich eindeutig als Alternative zu den dort seit 2011 regierenden Grünen gegründet.„Die Grünen haben es selbst zu verschulden, dass es uns gibt“, zitierte die „Zeit“ das dortige Gründungsmitglied Jessica Stolzenberger. Die „Zeit“ weiter: „Bis vor kurzem war sie auf Landesebene für Fridays for Future aktiv. Sie sagt, sie habe das Gefühl gehabt, dass die Grünen sich die Klimaaktivisten zwar ,als Blümchen dranstecken‘ wollen, aber sie eigentlich nicht ernst nehmen. Die Klimapolitik der grün-schwarzen Koalition sei ,absolut visionslos‘. Darum brauche es nun eine zweite, eine wirklich grüne Partei.“

Anders als in Baden-Württemberg sind die Grünen in Sachsen seit 2019 überhaupt erst einmal mit in der Regierung – so wie die SPD als kleiner Koalitionspartner einer nach wie vor übergewichtigen CDU, der es ja selbst in Baden-Württemberg gelingt, Umweltpolitik mit aller Macht auszubremsen.

Die Befürchtung der Grünen ist nicht so ganz abwegig, dass die neu gegründete Klimaliste ihnen wieder wertvolle Prozentpunkte an Wählerstimmen abjagt, die dann im möglichen nächsten Koalitionspoker die Verhandlungsposition schwächen – im Bund genauso wie im Freistaat.

„Effektiver Klima- und Naturschutz hängt, neben dem Verhalten des Einzelnen, zu einem großen Teil von der Vorbildfunktion der Politik im deutschen Bundestag ab“, betont Thorsten Lutsch, Gründungsmitglied der Klimaliste aus Dresden und Ingenieur für Energietechnik.

„Wir müssen endlich im Bundestag auf eine unnachgiebige und konsequente Klimapolitik pochen, um die schädlichen Beharrungstendenzen ins Wanken zu bringen und progressive Ansätze bei der Klimapolitik zu fördern.“ Dabei setzen die Mitglieder der Klimaliste auf Kooperation, sagt Lutsch. „Gemeinsam mit weiteren fortschrittlichen Akteuren wollen wir uns für die Modernisierung und den Umbau der Gesellschaft hin zu einer CO2-neutralen, nachhaltigen Gemeinschaft einbringen.“

Im Vorfeld gab es bereits in Baden-Württemberg Debatten, wie sich die Klimalisten in den unterschiedlichen Bundesländern zu den Grünen positionieren wollen. Das Dresdener Gründungsmitglied Arturas Miller und seine Mitstreiter/-innen sehen es so: „Wir sehen uns nicht als Konkurrenz zu den Grünen und möchten auch nicht so wahrgenommen werden. Mit der Klimaliste Sachsen bieten wir eine notwendige Ergänzung, um den politischen Diskussionsrahmen in eine progressive Richtung zu erweitern und neue Impulse zu setzen.“

„Die für eine lebenswerte Zukunft nötigen Maßnahmen zur Umstrukturierung unserer Gesellschaft und Lebensweise müssen von der Mehrheit akzeptiert und mitgetragen werden. Dafür ist eine soziale, gerechte Politik sowie eine umfassende demokratische Mitbeteiligung der Bürger und Bürgerinnen unerlässlich“, meint Axel Kühn, Gründungsmitglied aus Markkleeberg.

„Diese Herausforderungen können nur von allen gemeinsam gemeistert werden. Nur wenn den Menschen Verantwortung übertragen wird, kann von ihnen auch erwartet werden, dass sie sich verantwortlich für sich und ihre Kinder verhalten. Eines unserer Kernanliegen ist daher auch die Einbindung junger Menschen in alle wichtigen Entscheidungen über die zukünftige Ausrichtung der Politik, denn sie müssen am längsten mit deren Konsequenzen leben.“

Aber genau diese Argumentation würde doch bedeuten, dass man eine Partei stärken müsste, die schon in den Landtagen und im Bundestag sitzt, sollte man meinen.

Dass ein tiefes Bedürfnis da ist, dass die Reaktion der Politik schneller und klarer erfolgt, ist nur zu verständlich. Aber seit 2005 haben die Deutschen immer wieder Regierungskonstellationen gewählt, die am Bestehenden möglichst nichts ändern. Und das, obwohl eine Mehrheit der Deutschen durchaus bereit ist, Einschränkungen hinzunehmen, um die Klimaerwärmung zu stoppen.

Eine Umfrage des BUND aus dem Dezember zeigt es sehr nachdrücklich: „86 Prozent der Deutschen sind demnach zu deutlichen Einschränkungen ihres Lebensstils bereit, um das Klima zu schützen. Rund 85 Prozent würden dies tun, um das Artensterben zu stoppen, und 87 Prozent für den Kampf gegen die Umweltverschmutzung. Die Zustimmung ist in allen drei Bereichen sehr hoch, wobei jüngere eine noch größere Bereitschaft zur Änderung des Lebensstils bekunden als ältere Menschen. Frauen können sich Einschränkungen eher vorstellen als Männer.“

„Die Klimakrise ist aber mittlerweile so drängend geworden, dass ein weiter wie bisher nicht mehr möglich ist“, betont Claudia Szargan, Sprecherin der Klimaliste Sachsen aus Leipzig. „Wir können uns nicht länger nur mit dem zufriedengeben, was in den letzten Jahren politisch ‚machbar‘ erschien, sondern wir fordern das zwingend Notwendige zum Schutz einer lebenswerten Zukunft!“

Nur wurde das „Machbare“ bislang von konservativen Politikern bestimmt. Ob sich das ändert, wenn es eine weitere grüne Partei gibt, die etwas radikaler als das ursprüngliche Original ist, dürfte eher fraglich sein. Denn auch diese Partei wird es mit den schwerfälligen Aushandlungsprozessen in den Parlamenten und Regierungen zu tun bekommen.

Für gravierende Änderungen braucht es große Mehrheiten und wirksame Bündnisse – auch über Parteigrenzen hinweg. Im Leipziger Stadtrat ja gut zu beobachten, wo es seit 2019 tatsächlich eine für Umweltthemen sensibilisierte Mehrheit gibt. In Bund und Freistaat deuten Wahlumfragen keineswegs in diese Richtung.

„Mit der Klimaliste wollen wir nicht nur mit Nachdruck die Unterschreitung der 1,5°-Grenze einfordern, sondern die hierzu notwendigen Maßnahmen auch in konkrete Politik überführen“, sagt Gründungsmitglied Arturas Miller. Aber das schafft nur eine Partei, die nicht nur Teil der künftigen Regierung wird, sondern auch stark genug, alle Schlüsselpositionen für diese Veränderung zu besetzen.

Aber das wird nur gelingen, wenn in den Köpfen der Wähler/-innen auch die Einsicht Platz greift, dass man nicht nur mental bereit sein muss für Veränderungen – man muss sie auch wählen. Keine Wahlumfrage deutet jedoch darauf hin, dass die verwöhnten Deutschen dazu tatsächlich bereit sind.

Was auch wieder mit der Arbeit von Medien zu tun hat, von denen viele ihren Lesern und Zuschauern nur zu gern suggerieren, dass ihr Leben im Dauerkonsum auf diese Weise noch ewig so weitergehen kann.

Ein Dilemma, das wahrscheinlich mit der Gründung neuer, etwas radikalerer Parteien nicht zu lösen sein wird.

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