Auszug aus der LEIPZIGER ZEITUNG, Ausgabe 87, ab 29. Januar 2021 im Handel: Die Corona-Pandemie stellt Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in vielen Bereichen vor große Herausforderungen – im Jahr 2021 auch in einem ganz zentralen: bei Wahlen. Dieses Jahr stehen unter anderem die Bundestagswahl und mehrere Landtagswahlen an. Für die Bundestagswahl ist der 26. September als Termin angesetzt. Sofern die Bundesregierung bei ihrer Prognose richtig liegt und spätestens im Sommer alle Impfwilligen ein entsprechendes „Angebot“ erhalten können, wäre anzunehmen, dass die Wahl in halbwegs normalen Verhältnissen stattfinden kann.
Doch schon vorher stehen wichtige Entscheidungen an. Beispielsweise müssen die Parteien entscheiden, welche Politiker/-innen sie ins Rennen schicken – um die Direktmandate mit der Erststimme und auf den Landeslisten über die Zweitstimme.In Leipzig sind diese Entscheidungen teilweise schon gefallen. So nominierte die CDU bereits im vergangenen Oktober ihre Kandidat/-innen für die Direktmandate: Jens Lehmann und Jessica Heller. Die FDP war mit René Hobusch und Peter Jess im September sogar noch schneller. SPD, Grüne und Linke hingegen mussten ihre geplanten Parteitage absagen, da die Inzidenzwerte gegen Jahresende immer weiter nach oben geklettert waren.
Leipzigs Sozialdemokrat/-innen wollten ihre Wahlkreiskonferenz eigentlich am 16. Januar unter freiem Himmel durchführen – auf der Tribüne der Galopprennbahn Scheibenholz. Doch wenige Tage vor der Veranstaltung signalisierte die Bundespartei, dass die Kandidierenden notfalls per Brief- und Urnenwahl aufgestellt werden könnten.
Die entsprechenden Voraussetzungen müssten laut SPD der Bundestag und das Bundesinnenministerium schaffen. Die Leipziger/-innen verzichteten deshalb auf die Wahlkreiskonferenz. Aktuell gibt es drei Bewerbungen für die zwei Direktmandate: Nadja Sthamer in Wahlkreis 153 sowie Stadtrat Andreas Geisler und der Stadtvorsitzende Holger Mann in Wahlkreis 152.
Die Grünen teilten auf Anfrage der „Leipziger Zeitung (LZ)“ mit, dass ihre Wahlversammlung im April stattfinden soll – sofern es das Infektionsgeschehen zulasse. Auch eine Online-Mitgliederversammlung wäre denkbar, sofern die rechtlichen Voraussetzungen dafür vorliegen.
Bei den Grünen sind es aktuell fünf Kandidat/-innen, die sich um die beiden Plätze im Kampf um das Direktmandat bewerben: Katharina Krefft und Paula Piechotta im Süden sowie Carina Flores, Marie Müser und Hagen de la Motte im Norden.
Die beiden Bewerber/-innen im Leipziger Süden wollen zudem auf Platz 1 der Landesliste Sachsen.
Auch bei der Linkspartei ist vieles noch unklar. Der aktuelle Plan sieht vor, am 6. März die Direktkandidat/-innen und am 24. April die Landesliste zu wählen. Kampfkandidaturen um die Direktmandate gibt es nach aktuellem Stand nicht: Sören Pellmann will im Süden antreten, Nina Treu im Norden.
Beide Parteien sehen auch beim Wahlkampf noch einige Fragezeichen. Inwiefern große Veranstaltungen auf Marktplätzen, Plakatieren, Infostände und Hausbesuche dann möglich beziehungsweise verantwortungsvoll sein werden, ist derzeit vollkommen unklar. Grüne und Linke richten sich deshalb auf einen verstärkten Online-Wahlkampf ein.
ÖDP, Humanisten, PARTEI, Piratenpartei und weitere unter Zugzwang
Bereits am 14. Januar hatte der Bundestag auf Antrag der Koalitionsparteien CDU und SPD festgestellt, „dass die Durchführung von Versammlungen im Zusammenhang mit der Aufstellung von Wahlbewerbern nach allen vorliegenden Informationen auf absehbare Zeit ganz oder teilweise unmöglich ist“.
Das Innenministerium hat daraufhin einen Entwurf für eine Verordnung erarbeitet, die es ermöglicht, die Wahl der Kandidat/-innen online durchzuführen. Die Abstimmung im Bundestag war für Donnerstag, den 28. Januar, angesetzt – nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe.
Ebenfalls am 14. Januar hatte der fraktionslose Bundestagsabgeordnete Mario Mieruch einen Antrag gestellt, der keine Zustimmung erhielt. Der Ex-AfDler hatte ein echtes Problem erkannt und beantragt, auch festzustellen, dass man in Pandemie- und Lockdownzeiten keine Unterschriften auf der Straße sammeln kann.
Das ist aber existenziell für jene Parteien, die beispielsweise in Sachsen erst einmal 2.000 Unterstützerunterschriften benötigen, um überhaupt zur Wahl zugelassen zu werden. Parteien wie ÖDP, Humanisten, Die PARTEI und Piratenpartei befinden sich nun unter Zugzwang.
Die Leipziger Stadträte Thomas Köhler (Piraten) und Marcus Weiss (Die PARTEI) kennen das Problem der Unterschriftensammelei seit Bestehen ihrer Parteien. Und Köhler wittert ein bisschen Absicht, wenn er sagt: „Makaber erscheint hier, dass eine Aussetzung dieser Regelung vom Deutschen Bundestag beschlossen werden müsste, was im Rechtswesen einer Befangenheit gleichkäme. Parteien, die bereits im Parlament vertreten sind, sollen über die Zulassung ihrer Konkurrenz beschließen.“
Die Zeit drängt: Wahlvorschläge können nur bis 69 Tage vor der Bundestagswahl eingereicht werden. Am 20. Juli ist also Schluss und wie lange die Pandemie noch dauert, weiß aktuell niemand. Während sich also die „Großen“ wie zuletzt beim 33. CDU-Bundesparteitag am 15. und 16. Januar über multimediale Aufmerksamkeit freuen können, fehlt den kleineren Bewerbern ein Basismittel – die Straße.
Dabei ginge es also nicht einmal nur um „,neue Parteien‘, manche sind in kommunalen Parlamenten und im Europaparlament vertreten“, so Köhler und Weiss in einem nun verfassten Aufruf, die kleinen Parteien mit selbst ausgedruckten Unterschriftslisten und Einsendungen per Post zu unterstützen.
Während es für die bekannteren Parteien um Regierungsverantwortung oder Opposition geht, steht für jene, die noch bei der letzten Bundestagswahl 2017 immerhin fünf Prozent als „Sonstige“ holten, die Existenz auf dem Spiel.
Denn „einen Anspruch auf staatliche Finanzmittel haben nur Parteien, die bei der letzten Bundestagswahl oder der letzten Europawahl mindestens 0,5 Prozent oder bei einer letzten Landtagswahl mindestens ein Prozent der gültigen Zweitstimmen erhalten haben“, so das deutsche Parteienfinanzierungsgesetz.
Noch schlimmer als jene 0,5 Prozent nicht zu erreichen ist also nur noch, ganz vom Wahlzettel zu verschwinden.
Thüringen und Sachsen-Anhalt im Superwahljahr 21
Neben der Bundestagswahl stehen 2021 auch einige Landtagswahlen an. Aus ostdeutscher Perspektive sind vor allem jene in Thüringen und Sachsen-Anhalt interessant. Letztere soll am 6. Juni stattfinden. Aktuell bilden CDU, SPD und Grüne eine Koalition. Sofern sich die Christdemokraten nicht noch zur AfD orientieren, läuft es laut aktuellen Wahlumfragen darauf hinaus, dass diese Koalition ihre Arbeit fortsetzt.
Da die Grünen ihr Wahlergebnis von fünf auf zehn Prozent verdoppeln könnten und die beiden Koalitionspartner offenbar stabil bleiben, könnten die Parteien eventuell sogar mit einer noch größeren Mehrheit regieren.
Etwas komplizierter ist die Situation in Thüringen. Dort wurde bekanntlich im vergangenen Februar der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. Es folgten wütende Proteste, eine kleine Staatskrise und letztlich doch die Wiederwahl des linken Bodo Ramelow. Dieser regiert seitdem gemeinsam mit SPD und Grünen, aber ohne Mehrheit. Die CDU duldet die Koalition.
Eigentlich sollte die vorgezogene Neuwahl bereits am 25. April stattfinden. Doch wegen der Corona-Pandemie haben sich die vier Parteien darauf verständigt, die Wahl auf den 26. September zu verschieben – sie soll dann also gleichzeitig mit der Bundestagswahl stattfinden.
Die aktuellen Wahlumfragen legen nahe, dass es danach extrem komplizierte Mehrheitsverhältnisse geben könnte. Das liegt vor allem an der Stärke der Linken, die auf 33 Prozent kämen, und der AfD, die mit 22 Prozent rechnen können. Ohne eine der beiden Parteien wäre keine Mehrheit möglich.
Dass die CDU mit der AfD koaliert, ist nach wie vor unwahrscheinlich. Linkspartei, SPD und Grüne würden eine Mehrheit nach aktuellem Stand aber knapp verfehlen. Die Alternative zu erneuten Neuwahlen und einer weiteren Minderheitsregierung wäre dann nur eine Koalition aus Linkspartei, SPD und Grünen – und CDU oder FDP.
Der Aufruf von Thomas Köhler und Marcus Weiss
„Wir rufen die sächsischen BürgerInnen auf, die noch nicht im Bundestag vertretenen Parteien, wie: ÖDP, Die Humanisten, Die PARTEI, Piratenpartei und andere demokratische Parteien, bei der Sammlung von Unterschriften zur Wahlzulassung zu unterstützen.
Wer sich unsicher ist welche Partei man unterstützen sollte, wir empfehlen den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politisch Bildung.
Es geht einfach: Vordruck herunterladen (z.B. Piratenpartei oder Die PARTEI, für die anderen Parteien deren Websiten aufsuchen) ausdrucken, bitte Informationen zum Datenschutz auf die Rückseite drucken. Ausfüllen und abschicken – an die Geschäftsstelle der entsprechenden Partei oder (in Sachsen) den Landeswahlleiter.
Der Versand ist im digitalen Zeitalter leider nur per Post möglich. Mit der Unterstützerunterschrift ist selbstverständlich keine Wahlverpflichtung verbunden. Die politische Landschaft in Deutschland kann von frischem Wind im Parlament und längeren Wahlscheinen nur profitieren.“
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