Flughafenanwohner wissen es schon, dass sie sich wegen nächtlichen Fluglärms beschweren können. Dass auch Stadtbewohner, die nachts durch den Lärm patrouillierender Polizeihubschrauber um den Schlaf gebracht werden, sich beschweren dürfen, ist noch nicht so bekannt. Aber die Zahl der Beschwerden steigt. Denn der Einsatz von Polizeihubschraubern auch über dem Leipziger Stadtgebiet ufert mittlerweile aus.

Und weder die Leipziger Polizei noch die Bundespolizei geben umgehend Auskunft darüber, warum wieder ein Polizeihubschrauber überm Stadtgebiet kreiste – so wie in der Nacht vom 27. zum 28. November. Oft ist es der Versuch, Graffiti-Sprayern auf die Spur zu kommen, manchmal ein Vermissteneinsatz. Ob das Mittel eines Hubschraubers mitten in der Nacht angemessen ist, wird dabei selten überlegt.

Logisch, dass die Landtagsabgeordnete der Linken Juliane Nagel da ein paar Fragen an die Sächsische Landesregierung zur Verhältnismäßigkeit dieser polizeilichen Mittel hatte.

„Insbesondere in der Stadt Leipzig, aber beispielsweise auch in Görlitz, gab es in den vergangenen Monaten öffentliche Debatten um den Einsatz von Hubschraubern der Polizei und die damit verbundene Lärmbelästigung“, hatte Juliane Nagel festgestellt.

Immerhin hatten auch diverse Anfragen zuvor bestätigt, dass die Zahl der Hubschraubereinsätze in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Die Maschinen stehen nun einmal einsatzbereit da und augenscheinlich denkt man in den zuständigen Leitstellen nicht lange darüber nach, ob man damit gleich mal den Schlaf tausender Stadtbewohner stört. Man schickt die Mannschaft einfach zur nächtlichen Aufklärung los.

Aber der zuständige Innenminister Roland Wöller tut sich schwer, auf die Frage nach den Lärmbeschwerden der betroffenen Bürger eine eindeutige Antwort zu geben.

„Vorauszuschicken ist, dass eine umfassende statistische Erfassung nicht erfolgt“, teilt er in seiner Antwort mit. Also gibt es nur die Rechercheergebnisse aus den Behörden des Landes, nicht die zu den Beschwerden, die bei den Verwaltungen von Kreisen und Gemeinden eingegangen sind.

Und noch dominiert logischerweise der nächtliche Fluglärm von Flugzeugen vor allem am Flughafen Leipzig/Halle, so der Minister in seiner Antwort: „Im Jahr 2019 gab es vom 1. Januar bis 31. Oktober insgesamt 10.404 Beschwerden über Lärm, davon 23 wegen Hubschrauberlärm. Im Jahr 2020 gab es vom 1. Januar bis 31. Oktober insgesamt 11.838 Beschwerden über Lärm, davon 91 wegen Hubschrauberlärm.“

Und das trotz Corona, muss man sagen. Denn obwohl der Passagierflugverkehr seit März deutlich zurückgegangen ist, hat der Lärm am nächtlichen Himmel nicht nachgelassen. Im Gegenteil. Der nächtliche Frachtflugbetrieb am Flughafen Leipzig/Halle, der für fast alle diese Lärmbeschwerden verantwortlich ist, hat sogar noch zugenommen. Und die Zahl der Beschwerden über Hubschrauberlärm steigt, wie man sieht, auch an. Noch auf deutlich niedrigerem Niveau. Aber auch das erzählt davon, dass die nächtlichen Hubschraubereinsätze eben doch zunehmend als schlafstörend empfunden werden.

Und da beschäftigte Juliane Nagel durchaus die Frage, ob die Piloten dieser Hubschrauber auch noch Bußgelder verpasst bekamen, weil sie die Mindestflughöhe unterschritten haben. Aber dergleichen haben die sächsischen Behörden nicht registriert, teilt der Innenminister mit. Entweder gab es keine solchen Verstöße oder es war den Vorgesetzten erst mal gleichgültig.

Denn eines scheint ziemlich auf der Hand zu liegen: Den sächsischen Kontrollinstanzen ist eher gleichgültig, welchen Lärm der von ihnen genehmigte Flugbetrieb verursacht.

Juliane Nagels Frage zu diesem Thema: „Welche Berücksichtigung findet die Lärmbelastung für die Bevölkerung bei der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von Hubschraubern bei polizeilichen Maßnahmen, insbesondere zu Nachtzeiten?“

Und dann darf man sich die Antwort des Ministers durchaus zwei Mal durchlesen, sie beinhaltet eigentlich die Aussage, dass die Lärmbelastung die zuständigen Polizeidienststellen nur ganz nachrangig interessiert – Rang vier in der von Roland Wöller aufgezählten Reihenfolge.

Roland Wöller: „Der Einsatz eines Polizeihubschraubers erfolgt unter Berücksichtigung einerseits der Eignung für die jeweils zu erfüllende polizeiliche Aufgabe, der zwingenden Erforderlichkeit unter Abwägung der Effektivität der polizeilichen Gefahrenabwehr und der Rechtsgüter des öffentlichen Interesses sowie andererseits einer etwaigen Lärmbelastung der Bevölkerung, insbesondere zu Nachtzeiten. Vor der Entscheidung, einen Polizeihubschrauber anzufordern, werden andere geeignete polizeiliche Maßnahmen geprüft und getroffen. Polizeihubschrauber werden angefordert, wenn andere Maßnahmen nicht zum Erfolg führen oder führen können bzw. wenn der Einsatz eines Polizeihubschraubers andere Maßnahmen maßgeblich unterstützt und so mit hoher Wahrscheinlichkeit erheblich schneller zum Erfolg des polizeilichen Handelns führen könnte.“

Das heißt: Wenn der zuständige Beamte, der den Hubschrauber anfordert, meint, dass er die von ihm organisierte Maßnahme mit Hubschrauber eher zum Erfolg führt, denkt er über nächtliche Lärmbelastung nicht groß nach. Selbst wenn nur eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ besteht, „erheblich schneller zum Erfolg des polizeilichen Handelns“ zu kommen, bestellt er den Helikopter. Wer Polizeiarbeit so definiert, dem ist natürlich die aus dem Schlaf gerissene Bevölkerung ziemlich egal. Da können die aus dem Schlaf gelärmten Stadtbewohner nur noch zum Telefon greifen und sich beschweren.

Was zwar auch nichts nutzt, wenn man die Erfolglosigkeit der Fluglärmbeschwerden am Flughafen Leipzig/Halle betrachtet. Aber zumindest ist dann registriert, dass die Bürger unter der Selbstherrlichkeit sächsischer Behörden leiden, weil ihre Gesundheit auch im Ermessen der Polizei erst an vierter Stelle kommt.

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