Lasst sie doch einfach arbeiten! Lasst sie eine Ausbildung machen! Und gebt ihnen einen sicheren Aufenthaltstitel, wenn sie Arbeit haben! Sachsen ist schon längst auf Zuwanderung angewiesen. In allen systemrelevanten Branchen fehlen Arbeitskräfte. Aber erst allmählich verteilen sächsische Behörden Arbeits- und Ausbildungserlaubnisse, geradezu widerwillig. Auch wenn die Botschaft inzwischen lautet: Die Zahl der Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse von Geflüchteten in Sachsen steigt.
Die unsicheren Aufenthaltsperspektiven bleiben dennoch eine handfeste Barriere für die Aufnahme von Ausbildung und Beschäftigung. Mit einem Antrag fordert die Linksfraktion im Sächsischen Landtag sichere Perspektiven für Geflüchtete, die auf dem Weg in eine Ausbildung oder Beschäftigung sind. (Drs 7/3951)
„Wir fordern mit unserem Antrag eine landesweit einheitliche Anwendungspraxis für geduldete Geflüchtete in Ausbildung und Arbeit. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der grundverschiedenen Praxen der lokalen Ausländerbehörden geboten. Wie im Koalitionsvertrag fixiert, soll das Land schleunigst mit einem Erlass klären, dass Geflüchtete in ausbildungsvorbereitenden Maßnahmen durch die Erteilung einer Ermessensduldung oder sogar Aufenthaltserlaubnis eine Bleibeperspektive bekommen“, erklärt Juliane Nagel, Sprecherin für Asyl- und Migrationspolitik der Linksfraktion im Sächsischen Landtag. „Dasselbe gilt für erwerbstätige Geflüchtete, die die Voraussetzungen für eine Beschäftigungsduldung noch nicht erlangt haben.“
Nach Aussagen des Chefs der sächsischen Arbeitsagentur stieg die Zahl der Auszubildenden mit Fluchthintergrund von 80 im Jahr 2015 auf über 1.300 in 2019. 11.400 sind in Beschäftigungsverhältnissen. Mit der Ausbildungsduldung wurde 2016 ein Instrument geschaffen, mit dem Geflüchtete ein prekäres Bleiberecht für die Zeit der Ausbildung und die anschließenden zwei Jahre Beschäftigung haben. Zum 1. Januar 2020 wurde außerdem die Beschäftigungsduldung geschaffen, mit der erwerbstätige Geflüchtete trotz vollziehbarer Ausreisepflicht für zweieinhalb Jahre eine gewisse Sicherheit bekommen, nicht abgeschoben zu werden.
Die Barrieren für die Erlangung der Beschäftigungsduldung sind allerdings hoch, betont Juliane Nagel: Es müssen anderthalb Jahre Beschäftigung mit einer Wochenarbeitszeit von mindestens 35 Stunden sowie eine einjährige Duldung nachgewiesen werden. Zudem ist in Bezug auf die Erfahrungen mit der Ausbildungsduldung festzustellen, dass die sächsischen Ausländerbehörden die Regelungen sehr verschieden und nicht immer im Sinne der Geflüchteten und ihrer Arbeitgeber auslegen. 480 Ausbildungsduldungen wurden in Sachsen seit dem Bestehen der Regelung im August 2016 erteilt. Im 1. Halbjahr 2020 waren es 58. Die Erteilungsquoten pro Ausländerbehörde variieren stark.
Seit Inkrafttreten der Regelung zum 1. Januar 2020 wurden in Sachsen aber auch nur 20 Beschäftigungsduldungen erteilt. Diese verteilen sich auf nur fünf von 13 Kommunen. Dies zeige, so Nagel, dass die Regelung zu wenig bekannt ist und die integrations- und beschäftigungspolitische Möglichkeit von manchen Ausländerbehörden nicht genutzt wird. Mit einer Kleinen Anfrage hatte sie die Zahlen erfragt, die der Sächsische Flüchtlingsrat in der hier abgebildeten Grafik sichtbar macht.
„Ein harter Ausschlussgrund von Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung ist zudem die Frage der Mitwirkung bei der Passbeschaffung“, geht Juliane Nagel auf ein Problem ein, mit dem deutsche Behörden sich eigentlich zu Handlangern jener Regierungen machen, vor denen viele der Geflüchteten eigentlich geflohen sind.
„Hier sind die Betroffenen abhängig von der Bereitschaft der Botschaften ihrer Herkunftsländer. Bei Verweigerungshaltung der Botschaften geht dies nicht selten zulasten der Geflüchteten, mit dem Ergebnis, dass ihnen der fragile Schutz vor Abschiebung verwehrt wird. Dies wollen wir mit unserem Antrag ändern.
Außerdem wollen wir, dass Geflüchtete in Ausbildung und Arbeit keine Nachteile durch die coronabedingten Einschränkungen haben. Die Regierung muss Sonderregelungen schaffen, damit Geflüchteten durch Ausbildungs- oder Arbeitsplatzverlust oder Verdiensteinbußen keine Nachteile beim Zugang zu Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung entstehen. Geflüchtete sind inzwischen zu einer wichtigen Stütze unserer Gesellschaft geworden, es ist unsere politische Aufgabe, ihren Aufenthalt zu sichern und die schlechten bundespolitischen Regelungen auf Landesebene besser zu gestalten.“
Und dazu kommt die negative Entwicklung der sächsischen Demografie. Ohne Zuwanderung wird der Freistaat weder seinen Fachkräftebedarf für die nächsten Jahre sichern können, noch die nötigen Innovationen hinbekommen, die das Land zukunftsfähig machen. Eine kluge Politik würde alle Menschen, die hier eine neue Heimat suchen, bestmöglich integrieren und teilhaben lassen an der wirtschaftlichen Zukunft des Landes.
Das aber braucht ein Umdenken in den Köpfen von Politikern, die sich nun seit Jahren nur von hausgemachter Angst treiben lassen und Ausländerbehörden zu Richtern über die Existenz von Menschen gemacht haben mit Instrumenten, die weder vernünftig noch human sind.
Die neue „Leipziger Zeitung“ Nr. 83: Zwischen Ich und Wir
Linke Abgeordnete fragt: Wann gedenkt die Regierung, den Koalitionsvertrag umzusetzen?
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