Am 11. September ging mal wieder ein Gespenst in Sachsen um, das eigentlich längst vergangenen Zeiten angehören sollte: das Gespenst der Kürzungsorgie. Da wurde die neue Steuerschätzung bekannt gegeben und der erste, der wieder Stimmung machte, war natürlich Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann: „Das kluge Priorisieren und Anpassen der Ausgaben an die Einnahmen ist ernster denn je“, meinte er und gab zu bedenken, „dass wir durch das Grundgesetz und unsere sächsische Verfassung verpflichtet sind, die jetzt aufgenommen Kredite zu tilgen“.
Man merkt an der Meldung: Der Mann hat die sächsische Finanzministerschule absolviert.
Wenn die Leute erst einmal völlig verschreckt sind, akzeptieren sie auch wieder lauter Einschnitte, die ihr Lebensumfeld weiter verschlechtern. Das galt zumindest für etliche frühere Haushalte. Sachsens Finanzminister haben eine ziemlich große Aktie am Stimmungsumschwung, den der Freistaat seit 2013 erlitten hat. Kaputtgesparte Regionen haben eine Menge mit den politischen Wahlergebnissen zu tun.
Aber: Die CDU-Fraktion hielt sich mit solchen Mahnungen zum Gürtel-enger-schnellen diesmal sichtlich zurück. Das fiel auf. Auch wenn die Linksfraktion aus jahrelanger Erfahrung vorsorglich schon einmal vor der von Vorjohann angedeuteten Kürzungsorgie warnte.
Nico Brünler: Keine Rechtfertigung für verheerende Einschnitte
„Die Prognose macht uns natürlich nicht glücklich, wir wundern uns aber auch nicht. Wir sehen darin dennoch keinen Grund, den kommenden Landeshaushalt zu einer Kürzungsorgie zu machen, zumal die Kompensation der Steuerausfälle ja bereits im Corona-Fonds beschlossen und eingepreist ist“, meldete sich für die Linksfraktion deren finanzpolitischer Sprecher Nico Brünler zu Wort.
„Die letzten Monate haben uns gezeigt, dass ein handlungsfähiger Staat ebenso unverzichtbar ist wie Investitionen im Zukunftsbereich, wenn wir keine noch größeren Folgekosten riskieren wollen. Dazu gehören neben der Bildung, der Digitalisierung und dem Gesundheitswesen auch die Zivilgesellschaft und die Jugend.“
Aber auch die Linksfraktion ist schon gut erzogen. Also sagte Brünler auch die von braven Bürgern erwarteten Sätze: „Selbstverständlich muss eine kritische Debatte darüber geführt werden, was wir uns noch leisten können und was nicht. Für uns liegt die Priorität eindeutig bei der Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der Bildung und dem Sozialbereich. Stattdessen sollte man unsinnige Projekte wie die Standortkampagne oder die Umsetzung des ohnehin verfehlten Umzugskonzepts für Landesbehörden in den Blick nehmen.
Mit Blick auf die Haushaltsverhandlungen machen wir auch auf die prekäre Lage vor allem der Vereine und Initiativen während der haushaltslosen Zeit aufmerksam. Deren Förderung darf im Januar nicht abbrechen, auch wenn der Landtag den Haushalt wohl erst im April beschließt! Dafür setzen wir uns ein.“
Aber Vorjohann hatte ja auch schon angekündigt, dass er die aufgenommenen Kredite so schnell wie möglich wieder zurückzahlen möchte, der Schuldendienst also doch wieder Priorität vor anderen Ausgaben haben sollte.
Brünler: „Da die Steuereinnahmen nur langsam wieder steigen werden, sollte zudem die Verfassung schnellstmöglich an die tatsächlichen Gegebenheiten angepasst werden. Die darin verankerte Tilgungsfrist von nur acht Jahren dürfte sonst in den kommenden Jahren als Rechtfertigung verheerender Einschnitte missbraucht werden.“
Franziska Schubert: Eine rigide Kürzungspolitik wäre kontraproduktiv
Etwas ruhiger kommentierte Franziska Schubert, haushalts- und finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, die Zahlen zur Steuerschätzung.
„Zunächst sieht man in der September-Steuerschätzung, dass sich die Zahlen der aktuellen Steuerschätzung kaum von denen der Schätzung im Mai unterscheiden. Somit hat sich der finanzielle Rahmen erst einmal nicht verändert. Wenn sich die Pandemie-Situation weiter entspannt und wir nicht noch einmal das gesellschaftliche Leben herunterfahren müssen, werden wir die Krise meistern. Das geht nur gemeinsam“, erklärte sie.
„Wir brauchen eine Ausgabenplanung mit Augenmaß. Wir sind uns bewusst, dass die zur Verfügung stehenden Gelder erwirtschaftet werden müssen – das heißt: Wir tragen Verantwortung, diese Mittel grundsätzlich so einzusetzen, dass sie sinnvoll wirken können zum Wohle des Landes und der Menschen, die hier leben. Nachhaltigkeit denken wir daher in allen Ausgabebereichen immer mit.“
Und Absprachen, wie man mit den finanziellen Folgen der Corona-Krise umgehen wolle, hatte es vorher augenscheinlich schon gegeben zwischen den Koalitionspartnern CDU, SPD und Grüne.
„Eine rigide Kürzungspolitik wäre aus unserer Sicht jetzt kontraproduktiv. Investitionen müssen einerseits weiterhin möglich sein und andererseits darf es in den Bereichen, die für das gesellschaftliche Leben im Freistaat von besonderer Bedeutung sind, keinen Kahlschlag geben. Da gehört Soziales, Bildung und Kultur genauso dazu wie die Generationenaufgabe Klimaschutz“, betonte Franziska Schubert. „Es gilt außerdem, die Krise nicht auf dem Rücken der Kommunen auszutragen, sondern sicherzustellen, dass das Leben in Städten, Gemeinden und Landkreisen weiterhin gut gestaltbar bleibt im Rahmen der kommunalen Selbstverantwortung.“
Und so deutete sie schon einmal an, dass man in den jetzt anstehenden Haushaltsverhandlungen genau von den Finanzvolumina ausgehen werde, die man auch ohne Corona schon vorgesehen hatte: „Wir haben für das kommende Haushaltsjahr insgesamt 20,9 Milliarden Euro zur Verfügung, darauf hat sich die Koalition geeinigt. Bei uns Bündnisgrünen gilt eine realpolitische Linie, die zukunftsgewandte Ausgaben in den Mittelpunkt stellt: Es geht nicht darum, besonders viel Geld oder immer mehr und mehr auszugeben, sondern die verfügbaren Mittel sinnvoll und mit Blick in die Zukunft einzusetzen. Auch aus der Verantwortung heraus, dass diese Ausgabemittel erwirtschaftet werden müssen.“
Und die Sache mit den Krediten sieht sie ganz ähnlich wie Brünler: „Der finanzielle Rahmen ist begrenzt, das ist nach der Krise deutlicher als zuvor. Ein Schritt, um damit umzugehen, ist, sich die Tilgungsfrist und damit verbunden die sächsische Schuldenbremse anzuschauen und anzupassen. Das wird die Koalition machen, denn uns ist klar, dass wir ab 2023 niemals in sechs Jahren bis zu sechs Milliarden Euro tilgen können. Das ist unrealistisch. Wir müssen schauen, was sich in der Krise bewährt hat und wo wir Änderungen vornehmen müssen.“
Ob es tatsächlich zu diesen 6 Milliarden (oder nach der Steuerschätzung rund 5,5 Milliarden) Euro kommen wird, ist auch noch offen. Das hängt davon ab, wie gut die einzelnen Branchen aus der Krise kommen oder sich gar unter Corona-Bedingungen stabilisieren können.
Und die SPD?
Dirk Panter: Kein Grund für einen Kürzungshammer
„Die Steuerschätzung entspricht unseren Erwartungen. Dass das entschlossene Handeln in Bund und auch hier in Sachsen Geld kosten und zu weniger Steuereinnahmen führen würde, war von Anfang an klar. Die Steuerschätzung zeigt, dass die Wirtschaft durch die beherzten Maßnahmen von Bund und Land stabilisiert wurde. Der Wumms von Olaf Scholz zeigt Wirkung“, erklärte kurz und trocken Dirk Panter, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag und haushaltspolitischer Sprecher zur aktuellen Steuerschätzung.
„Es bleibt jetzt richtig: Die Herausforderungen durch Corona sind groß für uns alle. Wir dürfen aber jetzt nicht in Panik verfallen oder gar einen Kürzungshammer an den Staatshaushalt anlegen.“
Georg von Breitenbuch: Kein Haushalt auf Kosten unserer Kinder und Enkel
Die CDU-Fraktion vermied einen Kommentar bis zu ihrer Klausur im Kloster Nimbschen bei Grimma am 23. September, wo die 45 Abgeordneten sich drei Tage lang über ihre Grundpositionen zu den Haushaltsverhandlungen verständigten.
„Die CDU ist drei Tage in Klausur gegangen, um die Eckpunkte für das bevorstehende Haushaltsverfahren zu beschließen. Wir werden mit den Koalitionspartnern einen intelligenten Haushalt für Sachsen aufstellen“, erklärte danach der Fraktionsvorsitzende Christian Hartmann und bestätigte: „Er wird mit einem Volumen von rund 21 Milliarden Euro auf dem hohen Niveau des Vorjahres bleiben. Aber durch verschiedene Kostensteigerungen müssen wir Schwerpunkte bilden, um im Rahmen zu bleiben.“
Aber was bedeutet das genau? Hartmann: „Die Zeiten ständig wachsender Steuermehreinnahmen sind durch die Coronakrise vorerst vorbei. Das zwingt uns, Aufgaben zu überprüfen und Prioritäten neu zu setzen, um den schwierigen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Wir stehen am Anfang eines Prozesses, an dessen Ende wir alle gemeinsam die Entscheidung treffen müssen, was sich Sachsen in diesen schwierigen Zeiten leisten kann.“
Aber man merkt, dass sich auch bei der CDU ein paar Sichtweisen auf kluge Finanzpolitik geändert haben. Das klingt mit Hartmanns Worten jetzt so: „Für uns als CDU steht fest: Das Wertvollste, das wir in Sachsen haben, sind die Menschen. Sie sind das wichtigste Gut für unsere erfolgreiche Zukunft! Wir werden Sachsen nur gemeinsam mit ihnen voranbringen. Dazu braucht es Investitionen in Kitas und Schulen – aber nicht nur in Gebäude, sondern auch gut ausgebildete Lehrer und Erzieher! Und es braucht die Innovationsfähigkeit von Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die digitale Infrastruktur, die innere Sicherheit und das für unsere Gesellschaft so notwendige Ehrenamt. Ebenso werden wir am partnerschaftlichen Ausgleich mit den Kommunen festhalten.“
Das klingt anders als etwa 2009, als man sich so sicher war, dass man „den Gürtel enger schnallen“ müsse und in allen Ausgabenbereichen streichen und kürzen müsse. Mit bekanntlich fatalen Folgen.
Und so klingt es auch ganz anders, wenn Hartmann nun sagt: „Die CDU ist auf dem Weg zum intelligenten Haushalt. Ein Drittel der Strecke haben wir geschafft. Die kommunale Ebene hat mit der Einigung zum Finanzausgleich schon ihren Beitrag geleistet. Wir laden nun unsere beiden Koalitionspartner ein, jetzt gemeinsam mit uns aufzubrechen, damit Sachsen am Ende erfolgreich zum Ziel kommt.“
Und der finanzpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Georg-Ludwig von Breitenbuch, betonte: „Ich bin froh und dankbar, dass wir mit einem Kassensturz in einer intensiven und tiefgründigen Diskussion eine große Einigkeit erzielt haben. Wir wollen einen soliden und nachhaltigen Haushalt verhandeln, der nicht auf Kosten unserer Kinder und Enkel geht. Unsere Lösungen der Probleme von heute dürfen nicht die Sorgen von morgen werden. Das sind wir als CDU den Sachsen schuldig. Die Situation in einem Land mit Kurzarbeit, wo Menschen und Unternehmen große Sorgen haben, war uns in Kloster Nimbschen stets bewusst. Im weiteren Verlauf der Haushaltsverhandlungen werden wir auch über Kürzungen reden müssen. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu.“
Wie ordnen sich die erwarteten Steuerausfälle eigentlich in die sächsischen Haushaltspläne ein?
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Die neue „Leipziger Zeitung“ Nr. 83: Zwischen Ich und Wir
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