Eigentlich müsste Sachsens Regierung jede Woche einmal in einer Steuerzentrale tagen, von der aus sie alle Emissionen im Freistaat einsehen kann. Und sie müsste jedes Mal Beschlüsse fassen, wie der Ausstoß mit nächsten Maßnahmen reduziert werden kann. Aber solche Sitzungen gibt es nicht. Und wenn die Minister im Urlaub sind, teilt auch gern ein Sachbearbeiter den viel zu neugierigen Landtagsabgeordneten mit, dass ihn das Thema nicht die Bohne interessiert.
Obwohl die Sache brennt. Auch Sachsen erlebt das dritte Dürrejahr in Folge – mit viel zu wenig Niederschlag, Ernteeinbußen, vertrocknenden Wäldern und im Schnitt teilweise 3 bis 4 Grad zu hohen Monatsmitteltemperaturen. Und gleichzeitig feuern die Kessel der Kohlekraftwerke weiter, liegen die Emissionen seit 20 Jahren mehr oder wenige auf einem inakzeptabel hohen Niveau.
Umweltforscher gehen davon aus, dass jeder Mensch auf der Erde maximal 1 bis 1,5 Tonnen CO2 pro Jahr verursachen darf, dann könnte die Menschheit den Temperaturanstieg wenigstens stoppen und auf gewisse Art nachhaltig wirtschaften.
Mit Kohle ist das nicht zu schaffen, das wussten auch die sächsischen Teilnehmer bei der Verhandlung zum Kohleausstieg, den sie kraft ihres Widerstandes auf die Jahre 2035 (Kraftwerk Lippendorf) und 2038 (die Kraftwerke in der Lausitz) verhandeln konnten, obwohl das mit den deutschen Klimazielen nicht vereinbar ist. Selbst danach müssten die Kohlekraftwerke alle vor dem Jahr 2030 vom Netz gehen.
Der Leipziger Landtagsabgeordnete Marco Böhme, der in seiner Fraktion auch Sprecher für Klimaschutz, Energie, Umwelt, Ressourcenwirtschaft und Braunkohle ist, wollte von der Staatsregierung eigentlich nur die aktuellen Zahlen zu drei wichtigen Emissionen aus sächsischen Kohlekraftwerken wissen: Quecksilber, Stickoxid und Schwefel. Er hatte noch ein „und Co.“ dahinter geschrieben, aber das hat ihm nichts genutzt.
Der Sachbearbeiter hatte keine Lust zu antworten. Zu Quecksilber hatte Böhme noch konkret nachgefragt. Die Zahlen hat der Bearbeiter dann doch aus den verfügbaren Unterlagen hervorgekramt, auch wenn hierfür auch nur die alten Zahlen von 2017 zur Verfügung stehen.
Danach emittierte das Kraftwerk Boxberg in der Lausitz 536 Kilogramm Quecksilber in die Luft, das Heizkraftwerk Chemnitz-Nord 55,8 Kilogramm und das Kraftwerk Lippendorf im Leipziger Südraum 578 Kilogramm. Der Grund für diesen Mehrausstoß ist: Die Kohle im Leipziger Südraum ist wesentlich quecksilberhaltiger als die in der Lausitz.
Und dazu kommt, dass im Kraftwerk Lippendorf wieder mehr Kohle verfeuert wurde – trotz steigender Strommengen aus Solar-und Windkraftanlagen. Auch sächsische Kohle hat dazu beigetragen, dass Deutschland zum größten Stromexporteur Europas geworden ist.
Zahlen zur Entwicklung der Emissionen aus dem Kraftwerk Lippendorf findet man auch im entsprechenden Wikipedia-Artikel – zumindest die bis 2016.
Die dort angegebenen 11 Millionen Tonnen CO2 für das Jahr 2017 entsprechen übrigens knapp einem Fünftel aller sächsischen Treibhausgasemissionen. Zum Vergleich: die ganze Großstadt Leipzig kommt nur auf rund 3,5 Millionen Tonnen – in die der Fernwärmeanteil aus Lippendorf schon eingerechnet ist.
Rund 30 Millionen Tonnen Treibhausgase stammen übrigens aus Großfeuerungsanlagen wie dem Kraftwerk Lippendorf. Mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung würde Sachsen also seine Emissionslast fast halbieren.
Auch die Menge der Stickoxide, die Lippendorf ausstößt, findet man bei Wikipedia – immerhin 8,3 Millionen Tonnen im Jahr 2016. Aber an dieser Stelle machte Marco Böhme den Fehler, den Begriff „Critical-Loads-Betrachtungen“ zu verwenden, was den Sachbearbeiter in seiner Antwort dazu brachte, ihm lieber zu erklären, warum es keine Critical-Loads-Betrachtungen zu sächsischen Kraftwerken gab und deshalb auch null Erkenntnisse dazu vorliegen, ob und wo sich die Emissionen aus den Kohlemeilern ablagern.
Obwohl man weiß, dass sich das Quecksilber sehr schnell im näheren Umkreis der Kraftwerke ablagert (und in den Flüssen der Region auch nachweisbar ist) und auch die Stickoxide sich auf die umliegende Landschaft auswirken und in Teilen auch die Schadstoffmessungen in der nahen Großstadt Leipzig beeinflussen. Sie tauchen dort in der Hintergrundbelastung auf.
Aber was man nicht gemessen hat, muss man ja auch nicht wissen. Obwohl es wahrscheinlich weiterhelfen würde, die Schädigungen auch der benachbarten Naturschutzgebiete und Wälder besser zu verstehen, die natürlich auch von der Schwefellast betroffen sind, spätestens, wenn es regnet.
Wo landet eigentlich das Quecksilber aus den Emissionen des Kohlekraftwerks Lippendorf?
Wo landet eigentlich das Quecksilber aus den Emissionen des Kohlekraftwerks Lippendorf?
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Es gibt 2 Kommentare
PS: Oder anders gefragt: Zeigen Sie uns auf dieser Karte zu den Quecksilberschutzzielen der BRD von 2018 die ehemalige Demokratische?
Die realitere Auseinandersetzung mit der Thematik ist wichtig. Auch wenn ich der Antwort von Hr. Piwarz auf die kleine Anfrage, leider nicht viel über dessen Unlustgefühle bei der Bearbeitung entnehmen konnte. Schade. Bezieht man die 50-fachen Schornsteinhöhe (aus Antw. zu Frage 4), in Ermangelung eines solchen im Fall Lippendorf, als grobe Daumenregel auf die 174,5m hohen Kühltürme – evtl. hat man das Ergebnis des letzten Genehmigungsverfahrens vom 26.Apr 2019 nicht zur Hand – obwohl man es ja an den Wolken am Horizont erahnen könnte – sollte man vielleicht bis zur Abschaltung doch nicht nach Markkleeberg ziehen oder den Konsum regionaler Produkte noch einmal überdenken? Beim Bade in der herrlichen Neuseenlandschaft, welches uns der Tagebau hinterlassen hat, besser auf Schwermetallbelastung, als auf Blaualgen achten? Und Lippendorf schnellstmöglich Abschalten? Wobei der Ersatz mittels Gaskraftwerk in der eigenen Innenstadt, insbesondere dessen evtl. Perspektive zum Wasserstoffausbau, in Anbetracht der letzten Umstände in Beirut, einfach noch einmal reflektiert werden sollten. Derartige Vorfälle in Lößnig oder Connewitz – unvorstellbare Zustände wären die Folge. Der Standort Boxberg dagegen scheint, nicht nur in Bezug auf seinen Quecksilberausstoß pro kWh effizienter. Gerade geografischer Hinsicht ist er vorteilhafter – weiter weg und näher an der Grenze. Solang der Wind günstig steht müssten sich, ganz im Sinne des europäischen Gedanken, unsere Nachbarn Sorgen um die Einhaltung ihrer “Critical Loads” machen. Apropos zu dieser nicht nur in anglistischen, sondern gleicher maßen vernorminifizierenden, und damit ebenso europäischen, Monstrosität, findet man nach kurzer Recherche, neben beigefügte Karte – auf dieser gleichfalls, dank intuitiver Farbskala in herzlich warmen Tönen, trotz der fehlender Ortskennzeichen die Heimat leicht zu finden ist – in der Studie des Umweltbundesamtes selbst, das folgende Zitat:
“Die Critical Loads zum Schutz der
menschlichen Gesundheit (CL(M)drink) und zum Schutz der Ökosysteme (CL(M)eco) für Arsen, Nickel,
Zink und Chrom wurden deutschlandweit 2009-2011 nicht überschritten.” Soweit die gute Nachricht. Weiter dann aber bedauerlicher weise: “CL(M)drink und CL(M)eco werden durch Quecksilber- und Bleidepositionen in einigen Regionen Deutschlands (insbesondere Brandenburg, LEIPZIGER BUCHT, Sachsen-Anhalt, Ruhrgebiet) mit Waldvegetation NICHT EINGEHALTEN.”(umweltbundesamt.de/themen/luft/wirkungen-von-luftschadstoffen/wirkungen-auf-oekosysteme/critical-loads-fuer-schwermetalle; ebd. /sites/default/files/medien/1410/publikationen/2018-12-13_texte_107-2018_schwermetallemissionen_0.pdf)
Sollte man der nächsten kleinen Anfrage an den Landtag einfach anhängen oder zumindest hervorheben. Dann ist die Beantwortung für den Bearbeiter auch nicht so langweilig.