Eigentlich hätte es Franz Sodann, Landtagsabgeordneter der Linken, schon ahnen können, als er seine Anfrage zum „Vollzug der Rundverfügung Bagatelldelikte“ stellte. Die heißt zwar nicht so, sondern „Rundverfügung zur einheitlichen Strafverfolgungspraxis sowie zur Strafzumessung und zu sonstigen Rechtsfolgen“. Sie gilt seit dem 1. März und wurde von Generalstaatsanwalt Hans Strobl verfügt. Und was zu erwarten war: Kein Mensch kann nachvollziehen, was sie gebracht hat.

Dabei soll es aktuell auch noch eine Überprüfung dieser „Rundverfügung zur einheitlichen Strafverfolgungspraxis sowie zur Strafzumessung und zu sonstigen Rechtsfolgen“ durch das Justizministerium geben. Aber die Zahlen, die Franz Sodann bekommen hat, sprechen eine klare Sprache. Denn er hat keine bekommen. Es gibt sie auch nicht.

Denn es wurde auch nie ein Messinstrument eingeführt, das in irgendeiner Weise erfasst, was die Verfügung eigentlich bewirkt, ob kleine Straftäter schneller abgeurteilt werden und Richter ihre Berge von Strafakten mit Bagatelldelikten endlich abgearbeitet bekamen.

Denn um etwas anderes ging es nicht. Typische Placobopolitik, die eine Staatsregierung als tatkräftig inszenieren sollte, aber überhaupt nichs bewirkt, wenn sie die Arbeitslast in den Gerichten nicht ändert. Oder im sächsischen Fall eher: Arbeitsüberlastung. Denn kurz nach Einführung der Verfügung stellte eine Anfrage im Landtag ja klar, dass in Sachsen mindestens 150 Richter/-innen und 35 Staatsanwält/-innen fehlen.

Da war eher die Frage: Welche brisanten Fälle schaffen sie dann nicht, wenn sie nun auf einmal alle beginnen, erst einmal die Bagatellstrafsachen abzuarbeiten?

Worum es geht, hat nun ein Sachbearbeiter im Justizministerium akribisch aufgedröselt. Stellvertretend unterschrieben hat Umweltminister Wolfram Günther, denn die aktuelle Justizministerin Katja Meier, die die Verfügung vor einem Jahr vehement kritisiert hat, ist im Urlaub.

„Von der noch im Februar 2019 durch die damaligen Abgeordnete und heutigen Justizministerin Meier an der Rundverfügung geäußerte Kritik scheint nichts übrig geblieben zu sein. Die gegenwärtige Prüfung der Sinnhaftigkeit der Rundverfügung ist zu begrüßen, jedoch ist diese nur auf die im Koalitionsvertrag benannten Ziele beschränkt“, stellt Franz Sodann nun fest.

„Die tatsächliche Umsetzung der Rundverfügung und deren Auswirkung auf die Handlungsfähigkeit der Justiz wird unverständlicherweise nicht geprüft. Hierzu verfügt die Staatsregierung offensichtlich nicht über valides Datenmaterial und ist auch nicht bereit, solches zu erheben, wie die Antwort auf meine Kleine Anfrage 7/2823 ergab. Dies ist zu kritisieren.“

Über das Datenmaterial verfügt die Regierung schon. Aber der vor einem Jahr amtierende Justizminister hat es eindeutig unterlassen, eine Registrierung aller Verfahren einzuführen, die unter die Rundverfügung fallen. Das heißt: Es hat niemand gezählt. Und es ist wahrscheinlich sogar gar nicht abwegig, dass die meisten Richter/-innen und Staatsanwält/-innen die Verfügung schlichtweg ignoriert haben. Denn wer hätte eigentlich vorsortieren sollen, welcher Fall nun durch die generalstaatsanwaltliche Anweisung dringender geworden ist? Und welche anderen Fälle nun zurückgestellt wurden, damit das Gericht mal einen Berg Bagatelldelikte abarbeiten kann?

Der Sachbearbeiter, der die Antwort der Staatsregierung formuliert hat, beschreibt es so: „Allein wegen der massenhaft auftretenden Eigentums- und Vermögensdelikte, wie Diebstahl, Unterschlagung, Betrug und dem Erschleichen von Leistungen, ermittelten die Staatsanwaltschaften im Berichtszeitraum gegen 96.413 bekannte Beschuldigte. Dabei ist in den Datenbanken bei 57.800 Beschuldigten die Höhe des bei Begehung der Tat verursachten Schadens erfasst, weshalb mindestens die Papierakten von 38.613 Beschuldigten bezüglich des verursachten Schadens durchzusehen und manuell auszuwerten wären.

Zudem wäre eine Betrachtung der massenhaft auftretenden Straßenverkehrsdelikte (fahrlässige Körperverletzung, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, alkoholbedingte Gefährdung des Straßenverkehrs/Trunkenheit im Verkehr, Fahren ohne Fahrerlaubnis und Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Kennzeichenmissbrauch/ Urkundenfälschung) und der Betäubungsmitteldelikte im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Rundverfügung erforderlich. Die nach der Rundverfügung für diese Standardkonstellationen maßgeblichen Tatsachen werden ebenfalls nicht in den Datenbanken, sondern lediglich in den Papierakten erfasst, was eine Einzelaktenauswertung erfordern würde. Für diese Einzelauswertung wären die Papierakten von 70.855 Beschuldigten durchzusehen.“

Was noch nicht mal alles ist, so die Antwort an Sodann: „Hinzu käme schließlich eine Einzelauswertung zehntausender von Verfahrensakten danach, ob sich die Straftaten gegen Amtsträger, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und Rettungskräfte gerichtet haben. Eine solche Auswertung wäre nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand möglich, der ohne den Verlust der Funktionsfähigkeit der Staatsanwaltschaften in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Frist nicht zu leisten wäre.“

Und auch eine generelle Statistik gibt es nicht, so die Antwort, denn: „Eine gesonderte Statistik zu der Entwicklung der Verurteilungsquote in ,Bagatelldelikten‘ seit dem Jahr 2015 wird nicht geführt. Die angefragten statistischen Informationen sind aus den in der Antwort zu den Fragen 1 und 2 genannten Gründen in den Datenbanken der Staatsanwaltschaften nicht recherchierbar.“

Das heißt: Selbst wenn das Justizministerium Jahresstatistiken zu den verhandelten Delikten vor sächsischen Gerichten erstellt, lassen sich die so genannten Bagatelldelikte nicht herausfiltern, auch wenn gerade das Innenministerium immer wieder einmal Meldungen verfasst, in denen die schnelle Aburteilung von Menschen verkündet wird, die bei Polizeieinsätzen bei Demonstrationen vorläufig festgenommen wurden. Das sieht dann wie schnelle Handlungsfähigkeit aus, ist aber auch nur Show. Genauso wie der wilde Glaube gerade der konservativen Politik, man würde die Kriminalität im Freistaat senken, wenn man die kleinen Diebe und Schwarzfahrer schneller aburteilt.

Ein Glaube, den Sodann nicht teilen mag: „Wir bleiben bei unserem Ansatz, wonach eine wirksame Kriminalpolitik zuallererst immer nach einer Staatsanwaltschaft verlangt, die ihre Ressourcen dort einsetzt, wo die schwerwiegendsten Taten begangen werden und wo die größten Schäden entstehen und nicht zuvorderst Kleinstdelikte zu verfolgen, nach dem Motto ‚Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen‘. Die personell knapp besetzte sächsische Justiz muss effektiv eingesetzt werden.“

Katja Meier fordert: Die Rundverfügung des sächsischen Generalstaatsanwalts muss vom Tisch

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Die neue Leipziger Zeitung Nr. 81: Von verwirrten Männern, richtigem Kaffee und dem Schrei der Prachthirsche nach Liebe

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