Am Freitag, 23. Juli, gab das Bündnis Gemeinschaftsschule in Sachsen bekannt, dass es auf den nächsten Schritt, den Volksantrag zur Gemeinschaftsschule umzusetzen, verzichten wird. Der nächste Schritt wäre ein Volksbegehren gewesen. Aber dafür hätten die Ehrenamtlichen 450.000 Unterschriften sammeln müssen. Das kann ein solches Bündnis nicht leisten. Aber die Mahnung an die Politik ist zumindest bei SPD und Linken angekommen.

Beide Parteien hatten sich ja in den drei Jahren zuvor ebenfalls mit eingesetzt, dem Gesetzantrag des Bündnisses die nötigen Unterschriften zu verschaffen, sodass sich der Sächsische Landtag damit beschäftigen musste. Das hat er ja auch getan, am 15. Juli aber ein eigenes Gesetz zur Gemeinschaftsschule mit deutlich höheren Hürden zur Einrichtung solcher Schulen beschlossen.

Der Sinn des Volksantrags wurde also nicht wirklich erfüllt. Trotzdem wollen die Mitstreiter im Bündnis Gemeinschaftsschule ihre Kraft jetzt lieber dafür einsetzen, überall dort die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen zu unterstützen, wo es das Gesetz jetzt erlaubt.

Was nichts an der Forderung des Bündnisses ändert, die Bedingungen für Volksanträge und Volksbegehren endlich bürgerfreundlich zu gestalten. Das ist in Sachsen überfällig, denn selbst die meisten Volksanträge kommen überhaupt nicht zustande, weil kaum eine Bürgerinitiative die Kraft hat, selbst dafür die nötigen 45.000 Unterschriften zu sammeln. Deshalb war auch die Unterstützung durch Gewerkschaften und mehreren Parteien so wichtig.

„Ohne die 50.120 Bürgerinnen und Bürger, die den Volksantrag unterstützt haben, würde es ab 1. August keine Gemeinschaftsschulen in Sachsen geben. Sie haben einen wesentlichen Beitrag dafür geleistet, die Tür für längeres gemeinsames Lernen zu öffnen“, stellt Gerald Eisenblätter, Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Bildung in der SPD Sachsen, dazu fest.

„Die Arbeit der letzten drei Jahre im Bündnis ‚Gemeinschaftsschule in Sachsen‘ war intensiv, herausfordernd und lehrreich. Die kommenden drei Jahre werden jedoch genauso spannend: Jetzt gilt es, Gemeinschaftsschulen und Oberschulen+ vor Ort zu gründen. Eltern, Schüler, Lehrerinnen in der Sozialdemokratie und unsere kommunalen SPD-Mandatsträger werden sich auch in Zukunft in die Prozesse vor Ort einbringen. Als sozialdemokratische Bildungsarbeitsgemeinschaft werden wir den Prozess weiter intensiv begleiten und eine helfende Hand sein, wenn es darum geht, Gemeinschaftsschulen zu gründen.

Heute gebührt der Dank aber vor allem den fleißigen Unterschriftensammlerinnen und -sammlern sowie den Mitstreiterinnen und Mitstreitern im Bündnis. Ohne diesen gemeinsamen Kraftakt wäre längeres gemeinsames Lernen immer noch ein Wunsch, aber keine Realität. Das Bündnis hat gezeigt, dass direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung auch in Sachsen erfolgreich sein kann.“

Auf das Problem der viel zu hohen Hürden für direkte Demokratie in Sachsen ging am Freitag Jan Freundorfer, Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen, ein: „Die Hürden für ein Volksbegehren sind zu hoch. Es ist daher nachvollziehbar, dass das Bündnis diesen Schritt jetzt nicht geht. Dennoch hat der gemeinsame Volksantrag gezeigt, was direkte Demokratie für die Menschen in unserem Land bewegen kann.

Dieser Volksantrag war ein Lehrstück für direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung. Davon brauchen wir noch mehr. Deshalb müssen wir die sächsische Volksgesetzgebung modernisieren. Die Quoren müssen gesenkt und Verfahren vereinfacht werden. Vor allen Dingen brauchen die Bürgerinnen und Bürger eine verlässliche Beratung, juristische Begleitung und transparente Strukturen. Mehr direkte Demokratie zu wagen, kostet den Freistaat kein Geld. Es fördert den Dialog und lässt die Bürgerinnen und Bürger den Rechtsstaat praktisch erlebbar machen.“

Für die Linksfraktion im Sächsischen Landtag war die Kritik des Volksantrags-Bündnisses ein Weckruf, die sächsische Volksgesetzgebung endlich zu modernisieren

„Ich danke nochmals den Vertrauenspersonen Doreen Taubert und Burkhard Naumann sowie den weiteren Engagierten für ihren Einsatz. Hinter den vielen Menschen, die mehr als 50.000 Unterschriften für den Volksantrag zusammengetragen haben, liegen arbeitsreiche Monate. Die Volksgesetzgebung in Sachsen muss dringend wiederbelebt werden. Ein Volksantrag nach mehr als 15 Jahren Stillstand ist kein Grund zur Entwarnung“, sagte am Freitag Rico Gebhardt, Vorsitzender und rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion.

„Die Engagierten haben quasi am eigenen Leibe erfahren, was es heute in Sachsen bedeutet, Unterschriften für eine Volksinitiative zu sammeln. Ich habe volles Verständnis für ihre Entscheidung, nach der kräftezehrenden Beschaffung von mehr als 50.000 Unterschriften nicht zu versuchen, für einen Volksentscheid das beinahe Zehnfache zusammenzubringen. Ihre Kritik an den veralteten Regeln ist ein Weckruf für den Landtag, die Volksgesetzgebung zu modernisieren.“

Sachsen könnte so einiges tun, um für seine Bürger/-innen tatsächlich mehr direkte Demokratie zu ermöglichen.

„Der Landtag sollte ein beschlossenes Gesetz einem Volksentscheid übergeben dürfen“, benennt Gebhardt ein Arbeitsfeld. „Die geforderte Unterschriftenzahl darf nicht länger davon abschrecken, Volksanträge und Volksbegehren zu starten. Auch die Detailregelungen müssen überarbeitet werden. Am besten wäre die Möglichkeit, auch digital zu sammeln. Viel erreicht wäre aber schon, wenn die Bürgerinnen und Bürger keinen ausgefeilten Gesetzentwurf vorlegen müssten und die Verwaltung die Bestätigung der Unterschriften selbst in die Hand nehmen könnte.

Besonders peinlich für Sachsen ist die Anforderung an Initiatorinnen und Initiatoren, am Ende für die Verwaltung alle Unterschriftenbögen per Hand zu nummerieren und sie in einer riesigen Tabelle zu erfassen. Wäre das alles schon verwirklicht, hätte das Bündnis sich anders entscheiden können.

Dann könnte es mit guten Chancen versuchen, das Anliegen des Volksantrages doch noch umzusetzen und die Demontage rückgängig zu machen, die nach dem Willen der Koalition erfolgt ist. Wir stehen bereit, über Änderungen an der Landesverfassung zu verhandeln – aber nur auf Augenhöhe und wenn Offenheit besteht, neben den demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten auch weitere Themen zum Gegenstand zu machen.“

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