Der Corona-Shutdown hat auch etwas gezeigt, was den meisten Menschen überhaupt nicht bewusst ist: Wie labil unsere Art des Wirtschaftens ist, wie wenig Stillstand genügt, um ein ganzes System zum Kippen zu bringen, Unternehmen pleitieren und Menschen in Arbeitslosigkeit stürzen zu lassen. Und das, obwohl gleichzeitig hunderttausende systemrelevante Arbeitsplätze nicht besetzt und miserabel bezahlt sind. Doch als kurz die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen aufflammte, waren sofort die Löschtrupps im Einsatz.

Kein Thema macht deutlicher, wie unser System auf dem Kopf steht, wie gerade die notwendige Arbeitsleistung von Menschen besonders schlecht bezahlt wird, die im Notfall weiterarbeiten müssen („Unsere Helden“), wie man ihnen auch noch schlechte Arbeitsbedingungen und miese Renten zumutet, während gleichzeitig die Milliarden abfließen zu riesigen Fonds, die damit schon lange nichts Vernünftiges mehr anzufangen wissen.

Sie kaufen mittlerweile alles auf, was irgendwie noch nach einem dauerhaften Wert aussieht – Wälder, Felder, Grundbesitz. So werden die Immobilienpreise in den Städten in die Höhe gejazzt, dass sich nicht einmal mehr klassische Kaufkausketten dort halten können. Die Einkaufsstraßen veröden, weil sich kein Einzelhändler mehr halten kann. Die Wohnungen verschwinden, verwandeln sich in teure Büros, in die obskure Fondsgesellschaften einziehen.

Und die Angst frisst sich immer weiter in die Gesellschaften des Westens. Denn immer mehr Menschen spüren, wie damit auch ihr eigener Job und ihre Existenz zum Objekt der Spekulation werden, dass nichts mehr sicher ist.

Und dass es augenscheinlich egal ist, welche Partei sie noch wählen.

Denn da, wo es um das Nachdenken für eine nachhaltige, zukunftsfähige Gesellschaft ohne Angst geht, da blocken die gewählten Politiker/-innen schneller, als nur jemand „Corona“ sagen kann.

Maja Göpel: Brauchen wir diesen Konsumwahnsinn? | After Corona Club | 25 | NDR Doku

Denn Gesellschaften ohne Existenzangst würden anders agieren, wären auch krisenresistenter, würden weniger Panik kennen. Zum Umgang mit neuen Viren findet man Regeln, melden sich umgehend tausende Helfer, die mit anpacken, wenn wirklich Not an Mann und Maus ist.

Gegen die Katastrophen sich beschleunigender Finanzkrisen gibt es keine solche Hilfe. Sie lassen die auf Schulden aufgebauten Finanzkreisläufe zusammenbrechen. Und die existenzielle Verzweiflung, die natürlich alle erfasst, die ihren hart erkämpften Arbeitsplatz gefährdet sehen, macht die Gesellschaft auch blind für vernünftige Lösungen. Die Rationalität bleibt als erstes auf der Strecke.

Und dabei steckte auch Deutschland vor Corona in einem Berg von leise vor sich hin schwelenden Krisen. Die Klimakrise ist ja nur die große Klammer für eine nicht-zukunftsfähige Wirtschaftsweise, die wir schon vor Jahrzehnten hätten umbauen müssen. Natürlich gehört die komplette Kohleindustrie dazu.

Kluge Völker bereiten sich auf Strukturwandel vor.

Und niemand in der sächsischen Regierung kann sagen, dass es die deutlichen Mahnungen nicht gab, zum Beispiel in der Lausitz den Strukturwandel hin zu einer Wirtschaft nach der Kohle einzuleiten. Darüber berichtete auch die L-IZ seit 2013 immer wieder. Passiert ist nichts. Wie aber bereitet man eine Gesellschaft auf die Zeit nach der Kohle vor?

Sollte man über ein bedingungsloses Grundeinkommen nachdenken und den Leuten damit einfach mal die Angst nehmen um das tägliche Brot? Ihnen den Kopf frei machen, damit sie wirklich ohne Stress über eine andere Wirtschaft und neue Ideen für ihre Region nachdenken können?

Genau das hat die Linksfraktion jetzt einfach mal als Fragen an die Staatsregierung formuliert. Doch Sozialministerin Petra Köpping wischt das Thema mit ihren Antworten vom Tisch.

„Eine Bundesratsinitiative zur Anregung von Modellprojekten ist nicht geplant“, antwortet die SPD-Ministerin der Lausitzer Linken-Abgeordneten Antonia Mertsching auf deren Anfrage „Voraussetzungen für die Zahlung eines Grundeinkommens“ (Drucksache 7/2150).

Und Mertsching wundert sich nur: „Obwohl der Staatsregierung Modellprojekte zum Grundeinkommen bekannt sind und obwohl wir durch die Corona-Pandemie vor einer riesigen gesellschaftlichen Herausforderung stehen, ignoriert die Staatsregierung das Thema ‚Grundeinkommen‘. Weder einen Diskussionsprozess noch eine Bundesratsinitiative will sie dazu starten.“

Was natürlich gerade bei Petra Köpping überrascht. Verliert eine Partei, wenn sie in Staatsämter kommt, tatsächlich jede Konsistenz? Noch 2018 formulierte die Generalsekretärin der SPD Sachsen, Daniela Kolbe, zur damaligen SPD-Debatte zur Abschaffung von Hartz IV: „Die Einführung eines solidarischen Grundeinkommens wäre hier ein erster richtiger Schritt. Die Agenda 2010 wurde damals in Zeiten massiver Arbeitslosigkeit umgesetzt. Heute haben wir hingegen einen massiven Fachkräftebedarf, gerade in Sachsen. Es sind aber noch grundsätzlichere Debatten nötig.”

Und weiter, so Kolbe: „Wir brauchen Maßnahmen, um unser Land wieder gerechter zu machen. Wenn ein 56-jähriger Arbeiter Jahrzehnte in die Arbeitslosenversicherung einzahlt und dann fast genauso schnell in die Grundsicherung fällt wie jemand, der nie eingezahlt hat, ist das nicht gerecht. Wir brauchen endlich eine wirkliche Absicherung gerade für Alleinerziehende, dass diese nicht in Hartz IV fallen, nur weil sie Kinder haben. Es wundert mich eher nicht, dass die CDU und die Lobbyisten der Arbeitgeber solche Schritte ablehnen, obwohl es doch offensichtlich ist, dass neue Zeiten und Probleme auch neue Lösungen verlangen.“

Petra Köpping meint: Das sei nur ein Bundesthema. Da könne Sachsen gar nichts machen.

Obwohl schon jetzt absehbar ist, dass gerade in den Kohleregionen viele Menschen betroffen sein werden, wenn die Kohle-Arbeitsplätze verschwinden, Alternativen aber nicht geschaffen wurden.

„Ich meine: Ein Grundeinkommen könnte ein Sicherheitsanker in einer sich stark verändernden Gesellschaft sein. Nicht nur angesichts der Pandemie, sondern auch der zunehmenden Veränderungen in der Arbeitswelt oder der sozialen Folgen der Klimaerhitzung kann ein Grundeinkommen zur Entlastung wirtschaftlich schlechter gestellter Menschen beitragen und eine neue Kreativität fördern“, benennt Mertsching den Aspekt, der von diversen Lobbyverbänden meist sehr schnell wegdiskutiert wird.

Denn: Wie würden denn Menschen reagieren, die vor Arbeitslosigkeit keine Angst mehr haben müssten? Die genau wüssten, dass sie danach genug Zeit haben, sich neu zu orientieren – und nicht all die schäbigen Jobs annehmen müssten, die ihnen das Jobcenter so dringend empfiehlt?

Da berührt man nämlich die Kernfrage. Auch die von „Hartz IV“.

Antonia Mertsching: „Die psychologischen Effekte der Stress- und Angstreduzierung liegen auf der Hand und sind auch schon wissenschaftlich erforscht.“

Im Wahlprogramm zur Landtagswahl hatte die Linkspartei ein Modellprojekt Grundeinkommen im Rahmen des Strukturwandels in der Lausitz vorgeschlagen. Und Mertsching will das nicht einfach sausen lassen: „Dazu werde ich mit Akteurinnen und Akteuren vor Ort das Gespräch suchen und ein Konzept erarbeiten.“

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