Seit dem 23. März gelten in Sachsen verschärfte Ausgangsbeschränkungen, teilweise schärfere als in anderen Bundesländern. Manchmal so unscharf formuliert, dass selbst die Polizei nicht weiß, wo sie nun eine vernünftige Grenze ziehen soll. Die Allgemeinverfügung liest sich für die linke Landtagsabgeordnete Juliane Nagel wie mit heißer Nadel gestrickt. Und so richtig rechtskonform scheint ihr die Sache auch nicht zu sein.
Auch die beiden Leipziger Anwälte Jürgen Kasek und René Hobusch hatten schon ihre Bedenken über die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung geäußert. René Hobusch: „Insbesondere der Erlass als Allgemeinverfügung, das Infektionsschutzgesetz in seiner bisherigen Fassung als Rechtsgrundlage und die Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit sind hierbei neuralgische Punkte. Derzeit prüfe ich die Rechtmäßigkeit. Dazu bin ich im Austausch mit einer Reihe von Kollegen in ganz Sachsen – unter anderem mit Rechtsanwalt Kasek aus Leipzig.“
Ob daraus auch eine Klage folgt, kann er nicht sagen. Aus gutem Grund: „Die Tatsache, dass ich die Rechtmäßigkeit prüfe, ist gerade nicht identisch mit einer Klageeinreichung. Auch beinhaltet die Prüfung keinen Automatismus zu einer späteren Klage. Eine Prüfung erfolgt, um sich durch tiefere Analyse gewahr zu werden, ob eine These Bestand hat. Hat sie das, so gilt es abzuwägen, welchen Erfolg eine solche Klage hätte. Klagen, die nicht die juristische Klärung, sondern lediglich Aufmerksamkeit erzeugen sollen, sind nicht meine Herangehensweise. So was erledigt man auf dem Parkett der Politik, nicht auf den Stühlen im Gerichtssaal.“
Aber Juliane Nagel vermisst noch etwas anderes: Die Transparenz im Vorgehen der sächsischen Regierung.
Am Sonntag, 22. März, erließ das Sächsische Ministerium für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt eine Allgemeinverfügung (Az. 15-5422/10), die weitreichende Eingriffe in die Bewegungsfreiheit von Menschen (Ausgangsbeschränkungen) umfasst. Am 20. März war der Ministerpräsident Michael Kretschmer in der Sächsischen Zeitung und weiteren Medien noch zitiert worden: „Eine Ausgangssperre will niemand, da sie das Leben massiv einschränken würde. Deshalb setzen wir auf die laufenden Maßnahmen und schauen, ob diese in den nächsten 14 Tagen auch die erhoffte Wirkung zeigen.“
Aber augenscheinlich wollte seine Regierung diese 14-Tages-Frist dann doch nicht abwarten.
Zwar wurde zwei Tage lang keine Ausgangssperre beschlossen, wohl aber weitreichende Ausgangsbeschränkungen. Den Erlass der Allgemeinverfügung begründete Innenminister Roland Wöller auf der Pressekonferenz damit, dass sich trotz der bereits bestehenden Allgemeinverfügungen „noch immer viele, ich sage zu viele Menschen im öffentlichen Raum“ träfen.
„Der Erlass von Ausgangsbeschränkungen ist mindestens fragwürdig“, erklärt dazu die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke). „Es darf bezweifelt werden, dass es überhaupt ausreichend Daten gab und gibt, die diesen Schritt auch legitimieren. Ich gehe davon aus, dass der Plan zur Verschärfung der geltenden Regelungen bereits Tage vor dem eigentlichen Erlass getroffen war und aktuelle Entwicklungen überhaupt nichts zur Entscheidung beigetragen haben. Die Unterstellung des Innenministers Roland Wöller jedenfalls, dass noch zu viele Menschen sich im öffentlichen Raum treffen würden, reicht jedenfalls nicht für einen solch tiefgreifenden Eingriff in die Grundrechte. Jurist/-innen bezweifeln zudem, dass das noch geltende Infektionsschutzgesetz, das Grundlage auch für die Allgemeinverfügung in Sachsen ist, ausreicht um pauschale Kontaktverbote zu erlassen. Nicht zuletzt muss gefragt werden, warum der Freistaat Sachsen in Abgrenzung zu den Empfehlungen des Bundes striktere Regelungen erlassen hat.“
Das will sie jetzt mit einer Kleinen Anfrage im Landtag klären, mit der sie auch nach der Erforderlichkeit der geltenden Allgemeinverfügung fragt.
„Dem Eingriff in die Grundrechte kritisch gegenüberzustehen bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass die von den Mediziner/-innen empfohlenen Maßnahmen des social distancing und Hygienevorkehrungen nicht wichtig und richtig wären. Die Frage ist immer, wie man zum Ziel gelangt“, betont die Leipziger Landtagsabgeordnete.
„Ich erwarte von der Staatsregierung fundierte Antworten auf meine Fragen. Gerade angesichts der unbestimmten Formulierungen in der Allgemeinverfügung und dem restriktiven und zum Teil widersprüchlichen Handeln der Polizei bei der Kontrolle der Ausgangsbeschränkungen sind Transparenz und Klärung erforderlich. In Leipzig-Reudnitz beschallte die Leipziger Polizei beispielsweise am 25. März 2020 den Lene-Voigt-Park und forderte Menschen auf, weiterzugehen und sich nicht auf Bänken niederzulassen. Dies ist von der Allgemeinverfügung nicht gedeckt. Denn auch Bewegung und sportliche Betätigung erfordern eine Pause, insbesondere für ältere und beeinträchtigte Menschen.“
Gänzlich ungeklärt ist aus ihrer Sicht zudem, welche Auswirkungen die Allgemeinverfügung auf die Menschen hat, die keine „häusliche Unterkunft“ haben. „Dies können neben Wohnungslosen auch Menschen sein, die ihre Wohnung aufgrund häuslicher Gewalt verlassen müssen oder Haftentlassene, die keine Wohnung haben.“
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