Ein völlig verkorkstes Interview gab Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer am 7. März u. a. der LVZ, in dem er vor allem die Abschaffung der Verbandsklagerechte forderte. Und das mit geradezu obskuren Argumenten. Seine Forderung: „Das Problem sind untaugliche gesetzliche Regelungen. Die müssen jetzt schnell geändert werden.“ Den Ärger bekommt er nicht nur postwendend mit den sächsischen Umweltverbänden. Denn die erleben in Sachsen etwas anderes: Die permanente Aushöhlung ihrer Mitwirkungsrechte.

Erst vor einem Jahr, im Mai 2019, hat die Grünen-Fraktion ein ganzes Antragspaket eingereicht, um die Mitwirkungsrechte der Umweltverbände in Sachsen endlich zu verbessern. Denn auch wenn Kretschmer nun die Windkraftanlagengegner als Beispiel benennt, die ausgerechnet mit Naturschutzgesetzen gegen den Bau von Windkraftanlagen vorgehen. Bei Straßen- und anderen Großprojekten stimmt seine Argumentation gerade in Sachsen schon seit langem nicht.

Dort wird oft genug versucht, die Beteiligung von Bürgern und Umweltverbänden auszuhebeln, werden die Projekte bis zur Umsetzung geprügelt und die Einwände der Umweltverbände werden einfach negiert. So zu erleben etwa bei der Waldschlösschenbrücke in Dresden, beim Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle …

Die Umweltverbände werden geradezu gezwungen, am Ende den teuren Klageweg einzuschlagen, von dem die privaten und staatlichen Planer ganz genau wissen, dass die Verbände daran finanziell zugrunde gehen, wenn ihre Klage in den sächsischen Gerichtsinstanzen immer wieder abgelehnt und weitergereicht wird.

Wirklich Wirkung zeigt Bürgerbeteiligung erst dann, wenn es in anstrengenden Kampagnen gelingt, die stur vorangetriebenen Projekte der (halb-)staatlichen Instanzen dadurch auszubremsen, dass sie in der Region politische Breitenwirkung entfalten. Das beste Beispiel dafür ist der Protest gegen den Ausbau der B 87 in Nordsachsen, wo die Planer ohne Rücksicht auf Landschaft und Naturschutz vierspurig mitten durch die Parthenaue bauen wollten.

Die Parthenaue bei Sehlis. Foto: Baumgärtel
Die Parthenaue bei Sehlis. Foto: Baumgärtel

Eigentlich dürfte Michael Kretschmer mit seinem Ansinnen auch beim grünen Koalitionspartner auf heftigen Widerstand stoßen.

„Wir wollen mehr Mitsprache der anerkannten Umwelt- und Naturschutzverbände im Naturschutz, in Landschaftsschutzgebieten und bei der Ausübung der fachlichen Praxis. In Sachsen gelten noch heute nur die absoluten Mindeststandards, die in Deutschland im Bundesnaturschutzgesetz vorgeschrieben sind“, sagte der damalige Grünen-Landtagsabgeordnete Wolfram Günther, der heute Umweltminister ist.

„Andere Bundesländer wie Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt zeigen beispielhaft, wie erweiterte Verbandsklagerechte erfolgreich angewendet werden können. Wenn Umwelt- und Naturschutzvereinigungen auf Augenhöhe mit den Behörden mitreden können, könnten sehr schnell viele unzulässige Praktiken unterbunden werden.“

Wenn Kretschmer selbst diese Mindeststandards abbauen will, dürfte das zum ersten großen Konflikt in der mühsam geschmiedeten Koalition werden.

Aber Ärger bekommt der Ministerpräsident jetzt schon mal mit dem NABU Sachsen.

Die Naturschutzvereine seien daran schuld, dass der Infrastrukturausbau lahme, hatte Michael Kretschmer behauptet. Weil Bürgerinnen und Bürger keine Handhabe zur Verhinderung von Anlagen hätten, nähmen die den Umweg über den Naturschutz und zählten Käfer und Vögel und verhinderten oder verzögerten so die Vorhaben.

Deshalb meint Kretschmer: „… wir wollen keine Verbandsklagerechte in Sachsen. Betroffene sollen sich einbringen können – aber nicht jene, deren Geschäftsmodell darin besteht, dauerhaft zu klagen.“

Beim NABU Sachsen sorgen derartige Formulierungen für Empörung. „Der Gang zu den Gerichten ist für uns das absolut letzte Mittel, wenn alles andere vorher gescheitert ist und die unwiederbringliche Zerstörung von Lebensräumen und Artenverlust droht. Das ist in den 30 Jahren, in denen der NABU Sachsen besteht, etwa zehn Mal geschehen. Die Auffassung des Ministerpräsidenten geht also stark an der Realität vorbei“, sagt Bernd Heinitz, Landesvorsitzender des NABU Sachsen.

Es ist der gesetzlich verbriefte Auftrag der acht anerkannten Naturschutzvereinigungen, sich für die Belange der Natur einzusetzen. Dabei treten die Verbände nur auf den Plan, wenn bei Bau- und Planungsvorhaben nicht oder nicht ausreichend – wie vorgeschrieben – auf diese Belange Rücksicht genommen wird.

„Zudem sind diese Aussagen eine Missachtung der Arbeit tausender ehrenamtlicher Mitglieder unseres Verbandes, die nicht nur Vögel und Käfer zählen, wie der Ministerpräsident herabwürdigend äußert, sondern auf vielerlei Gebieten, so in der Kinder- und Jugendarbeit, der Forschung in unterschiedlichen Fachbereichen und der Landschaftspflege tätig sind“, ärgert sich Bernd Heinitz.

Dabei ist Sachsen natürlich weder ein autonomer Freistaat noch ein eigenständiges Königreich: Der Zugang zu Gerichten bei Entscheidungen, die der Öffentlichkeitsbeteiligung unterliegen, oder bei Verstößen gegen umweltrechtliche Vorschriften ist in der Aarhus-Konvention bereits seit 2001 geregelt. 47 Staaten, darunter alle EU-Mitglieder, haben den völkerrechtlichen Vertrag, der jeder Person Rechte im Umweltschutz zuschreibt, ratifiziert.

„Daran kann auch Michael Kretschmer nichts ändern – weswegen er nicht mit ewiggestrigen Forderungen Unmut gegen Naturschutzverbände, die ihrer Arbeit nachgehen, schüren sollte“, so der NABU.

Kretschmer hat den Vorstoß im Interview gar noch als „mehr direkte Demokratie“ verkauft. Doch in Wirklichkeit tickt er dabei genauso wie Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der kurz zuvor mit einem ähnlichen Vorstoß für Schlagzeilen sorgte. Auch er mit Blick auf die blockierte Energiewende. Die aber scheitert nicht an den Umweltverbänden, sondern an Abstandsregeln und Ausbaudeckeln, die die jeweiligen Regierungen beschlossen haben.

Und an fehlender Kommunikation. Wer Bürgerbeteiligung so systematisch aushebelt wie in Sachsen, der schafft natürlich auch kein Verständnis für wichtige Infrastrukturprojekte. Der provoziert geradezu den Widerstand, wo frühzeitige Transparenz zu einer bürgerfreundlichen Anpassung der Planungen hätten führen können.

Grüne beantragen mehr Klagerechte für anerkannte Verbände im Natur-, Tier- und Denkmalschutz

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Es gibt 2 Kommentare

Weil sie den Finger in die Wunde legen und drin rumwühlen? Sowas tut natürlich weh. Und wühlt vielleicht auch was auf …

Das Verbandsklagerecht schränkt sich bereits selbst ein auf Seiten der Verbände: entweder wegen fehlenden Geldes, oder wegen dann getroffenener Absprachen (da stellt ein Verband auch schon mal eine Klage ein, weil er vom zu beklagenden Umweltzerstörer eine vergleichsweise mickrige Spende bekommen hat und damit ein paar hübsche Tafeln in der zu schützenden Natur aufstellen kann) oder weil man auf die Förderung von staatlicher / Verwaltungsseite angewiesen ist: man drischt nicht die Kuh, die man melken will.
Eigentlich müssten die Verbände einfordern, dass ihr Recht auf Klage (das auch eine Pflicht wäre!!) erweitert wird auf das Recht, dass derartige Verbandsklagen steuerfinanziert werden. Erst dann und nur dann würde sich zeigen, welcher Verband bereits ist, sich mit den Fördermittelgebern anzulegen, wenn diese gegen geltendes Recht verstoßen.
So lange man sich darauf zurückziehen kann, was nicht immer der Realität entspricht, dass man aus Geldmangel eine Klage gar nciht erst anfängt oder nach verlorener 1. Instanz einstellt, bleibt alles im Dunkel und wie es ist.
Diejenighen, die ihr Klagerecht als Verpflichtung ernst nehmen, das Geld aufbringen und tatsächlich antreten, werden wie aussätzige behandelt, beschimpft und isoliert. Warum eigentlich??

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