Am heutigen Donnerstag, 19. März, rang er sich endlich durch: Erstmals hat Bundesinnenminister Horst Seehofer eine „Reichsbürger“-Gruppe verboten. Rund 400 Polizisten durchsuchten in den Morgenstunden die Wohnungen führender Mitglieder der Gruppe. Die Gruppe ist zwar vor allem im Raum Berlin ansässig. Aber ihre Aktivitäten reichen bis nach Sachsen. Auch hier zögern die Behörden seit Jahren, die sogenannte „Reichsbürger“-Szene wirklich ernst zu nehmen.

„Wir haben es mit einer Vereinigung zu tun, die rassistische und antisemitische Schriften verbreitet und damit unsere freiheitliche Gesellschaft systematisch vergiftet“, sagte Horst Seehofer laut „Spiegel“. Erstaunliche Worte, nachdem die „Reichsbürger“-Szene jahrelang nicht wirklich ernst genommen wurde. Meist wurden diese Leute einfach als „Spinner“ abgetan, obwohl sie mit rechtsextremen Äußerungen und auch langen Listen von Straftaten auffielen.

Dass der Innenminister endlich wenigstens im Fall dieser einen Gruppe handelte, begrüßten am Donnerstag, 19. März, Irene Mihalic, Sprecherin für Innenpolitik, und Konstantin von Notz, Stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Bundestag: „Als Grüne machen wir seit langem auf die großen Gefahren, die von der Reichsbürger-Szene ausgehen, aufmerksam. Die Bundesregierung hat sie viel zu lange ignoriert und erst nach und nach endlich auf dem Radar. Noch sehr viel stärker müssen die sehr engen Verbindungen der Reichsbürger-Szene zum organisierten Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in den Blick genommen werden.

Das rechtsextreme Personenpotenzial steigt dann zwar absehbar noch einmal sprunghaft an, aber so ist eben die derzeitige Realität. Neben Vereinsverboten muss der Rechtsstaat auch auf anderen Ebenen entschlossen auf die Gefahren, die von den Reichsbürgern ausgehen, vorgehen, beispielsweise durch eine stärkere Kontrolle und ein engagiertes Vorgehen gegen Reichsbürger unter Waffen, genauso aber durch mehr Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden und Schulungsangebote für Verwaltungsmitarbeiter.“

Verbindungen nach Sachsen

Weil sich die verbotene Gruppe vor allem im Raum Berlin konzentriert, heißt das nicht, dass sie nicht auch ihre Ableger in Sachsen hat. Es wäre überraschend gewesen, wenn sich nicht auch in Sachsen etliche Rechtsradikale gefunden hätten, die die Vorstellungen der „Reichsbürger“-Gruppierung „Geeinte deutsche Stämme und Völker“ übernommen hätten.

Davon steht zwar nichts in Sächsischen Verfassungsschutzberichten. Dort hat man die „Reichsbürgerbewegung“ erst seit 2016 auf dem Schirm. Der Verfassungsschutzbericht für 2018 geht von 1.400 zur Szene gehörenden Personen aus, erwähnt aber als aktive Gruppen nur die Gruppe „Bundesstaat Sachsen“ und „Einiges Deutschland – Freie Wählervereinigung – Landesverband Sachsen“. Aus anderen Bundesländern wird als in Sachsen aktiv die „Exilregierung Deutsches Reich“ genannt.

Alles Phantasie-Gründungen, die eben nicht nur die staatlichen Behörden der Bundesrepublik delegitimiren sollen, sondern auch die Demokratie. Womit sie sämtlich anschlussfähig zum organisierten Rechtsextremismus sind, auch wenn der Verfassungsschutz in der sächsischen „Reichsbürger“-Szene nur 102 erkennbare Rechtsextremisten ausgemacht hat.

„Das durch den Bundesinnenminister verfügte Verbot ist ein konsequenter und überfälliger Schritt im Bestreben, gegen die Reichsbürger-Szene einzuschreiten. Mit der Gruppierung ,Geeinte deutsche Stämme und Völker‘ (GdVuSt) trifft es eine der neueren Organisationen in diesem Spektrum, die schwerpunktmäßig im Raum Berlin aktiv war. Die GdVuSt, angeführt von der Antisemitin Heike W., behauptet, dass die Bundesrepublik kein echter Staat sei“, stellt dazu Kerstin Köditz, zuständig für Innenpolitik und Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, fest.

Was die nun verbotene Gruppe tatsächlich trieb, hört sich noch viel seltsamer an, als es Horst Seehofer beschrieben hat.

„Auf Grundlage einer erfundenen Rechtsauslegung und flankiert durch ein selbst gegründetes ,Höchstes Gericht‘ wurde gegenüber den eigenen Anhängern propagiert, historische Gemeinden zu ,reaktivieren‘ und faktisch Mini-Staaten zu gründen. In dem Zusammenhang wurden auch Drohschreiben an öffentliche Stellen und Amtsträger versendet. Die Gruppe hat einige Anhänger in Sachsen, denen vermutlich heutige Durchsuchungsmaßnahmen im Freistaat galten“, stellte Köditz fest.

„Meines Wissens hatte die Anführerin Heike W. in der Vergangenheit auch in Sachsen kostenpflichtige ,Seminare‘ angeboten, um ihre kruden Thesen zu verbreiten. Auf deren Grundlage haben hiesige Reichsbürger unter anderem einen ,Naturstaat Sachsen‘ ausgerufen und die Städte Dresden und Radebeul sowie Kleindehsa, einen Ortsteil von Lawalde (Landkreis Görlitz), für sich reklamiert.“

Was die sächsischen Behörden über die hiesige „Reichsbürger“-Szene wissen, muss die Landtagsabgeordnete freilich immer wieder in neuen Anfragen versuchen herauszubekommen. Immerhin gibt es nach vielen beharrlichen Nachfragen inzwischen Zahlen, die ein Bild von dieser Szene geben.

„In Sachsen werden derzeit offiziell rund 1.000 Personen dem Reichsbürger-Spektrum zugeordnet (Drucksache 7/1536)“, stellt Köditz fest. „Davon verfügten zuletzt 18 Personen über waffenrechtliche Erlaubnisse (Drucksache 7/992). Ich gehe aber davon aus, dass die Szene deutlich größer ist: Viele Aktivitäten haben sich ins Internet verlagert, wo eine Vernetzung leicht gelingt, von außen aber schwer überschaubar ist. Zudem sind die Übergänge in verschwörungstheoretische Kreise fließend. Nach Aktivitäten von Reichsbürgern in Sachsen erkundige ich mich seit langem durch monatliche Anfragen, die durch den sächsischen ,Verfassungsschutz‘ beantwortet werden. Auf diesem Weg war über die ,Geeinten deutsche Stämme und Völker‘ bislang nichts zu erfahren.“

Wie Rechtsradikale und „Reichsbürger“ versuchen, an Sachsens Schulen und Hochschulen ihre Duftmarken zu setzen

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