Für die linke Bundestagsabgeordnete Caren Lay sieht es wie eine drastische Kürzung aus, für Bundesinnenminister Horst Seehofer ist es eine Fortsetzung der Unterstützung: Nur noch 1 Milliarde Euro wird der Bund ab 2020 für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellen, eine halbe Milliarde weniger als bisher. Eine dramatische Entwicklung, findet Juliane Nagel, Stadträtin und Landtagsabgeordnete der Linken. Denn schon jetzt gibt Sachsen zu wenig Geld für Sozialwohnungen.

Der Bund wird die Finanzmittel für sozialen Wohnungsbau für die Länder ab 2020 kürzen. Für das kommende Jahr stehen bundesweit statt 1,5 Milliarden Euro nur noch eine Milliarde zur Verfügung. Was das für Sachsen bedeutet, will die Abgeordnete Juliane Nagel, Sprecherin für Wohnungspolitik der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, mit einer Kleinen Anfrage (Landtags-Drucksache 7/727) herausfinden, mit der sie sich auch nach wohnungspolitischen Vorhaben der neuen „Kenia“-Koalition erkundigt.

Im Koalitionsvertrag von CDU, Grünen und SPD ist ein recht umfangreicher Abschnitt auch dem sozialen Wohnungsbau gewidmet.

Und dort klingt der Umgang mit dem Thema schon ganz anders als in der Vergangenheit, als die CDU-getragene Skepsis überwog, ob in Sachsen überhaupt sozialer Wohnungsbau gebraucht werde.

Jetzt klingt das so:

„Unser Ziel ist es, mittelfristig einen deutlich höheren stabilen Bestand von Sozialwohnungen zu erreichen. Dabei soll den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung verstärkt entsprochen werden.

Wohnungsbau ist unverzichtbar für den Mieterschutz und das beste Mittel gegen ausufernde Mietpreise. Wir wollen den sozialen Wohnungsbau qualitativ und quantitativ deutlich weiterentwickeln und kooperative, genossenschaftliche und gemeinwohlorientierte Modelle unterstützen.

Wir haben zum Ziel, die künftigen Bundesmittel für die soziale Wohnraumförderung vollständig abzurufen und mit Landesmitteln kozufinanzieren. Um mehr Sozialwohnungen zu schaffen, erhöhen wir die Finanzmittel für die soziale Wohnraumförderung. Die zusätzliche Förderung des Wohnungsbaus (Eigentumsbildung, Modernisierung im Bestand, mobilitäts- und behindertengerechter Ausbau) für den ländlichen Raum erfolgt mindestens in gleicher Höhe.

Um das Fördervolumen vollständig auszuschöpfen und das Antragsverfahren zu vereinfachen, werden wir die Neufassung der Wohnraumförderrichtlinie bis zum 30. Juni 2020 realisieren.

Dabei wollen wir weiteren Kommunen den Zugang zur Förderung eröffnen. Die Mietpreis- und Belegungsbindung soll 20 Jahre betragen. Gleichzeitig erweitern wir den Kreis der Anspruchsberechtigten für die soziale Wohnraumförderung durch Anhebung der Einkommensgrenzen für Schwellenhaushalte. Wir werden uns dafür einsetzen, dass auch der Erwerb von Belegungsrechten gefördert werden kann.“

***

Konkrete Zahlen fehlen noch. Was Juliane Nagel zumindest skeptisch macht: „Der Freistaat Sachsen hat schon bisher die Bundesmittel für soziale Wohnraumförderung in den vergangenen Jahren nicht vollständig für diesen Zweck genutzt. Diese Praxis moniert sogar Bundesbauminister Seehofer. Nun drohen Bundesmittel wegzufallen, während der soziale Wohnungsbau in Sachsen erst anläuft. Allein in Leipzig wären jährlich 53 Millionen Euro notwendig, um die nötigen 1.300 Sozialwohnungen zu errichten. Realisieren kann die Stadt mit dem derzeitigen Förderbudget des Freistaates aber nur 725 Wohnungen.“

Die 53 Millionen Euro waren das Ergebnis einer Leipziger Stadtratsanfrage.

Und nicht nur in Leipzig werden zu wenige Sozialwohnungen gebaut.

Nach Schätzungen der Stadtverwaltung Dresden müssten in der Landeshauptstadt jährlich 2.000 Sozialwohnungen entstehen, um den Bedarf zu decken. In Leipzig kommt zudem hinzu, dass die subventionierte Miete zirka 1,50 Euro über dem Satz der Kosten der Unterkunft liegt, die Sozialleistungsempfänger/-innen beziehen, um ihre Miete zu bezahlen. 6,50 Euro je Quadratmeter statt der 4,94 Euro, die als Kosten der Unterkunft (KdU) in Leipzig gezahlt werden.

Stadträtin und Landtagsabgeordnete der Linken: Juliane Nagel. Foto: Lucas Böhme
Stadträtin und Landtagsabgeordnete der Linken: Juliane Nagel. Foto: Lucas Böhme

„Die Förderrichtlinie zur Schaffung von mietpreis- und belegungsgebundenem Wohnraum muss dahingehend dringend geändert werden. In der Anfrage will ich auch wissen, wie viele Bundesmittel in Zukunft nach Sachsen fließen werden und was die Landesregierung gegen die Kürzungen des Bundes unternommen hat“, sagt Juliane Nagel.

„Wir werden die im Koalitionsvertrag von CDU, Grüne und SPD verankerten wohnungspolitischen Zielsetzungen aufmerksam und kritisch begleiten. Vor dem Hintergrund dessen, dass die Mieten laut einer aktuellen Auswertung des Portals ,Immowelt‘ in der Stadt Leipzig schneller ansteigen als in Berlin und laut dem Städtischen Sozialreport die Angebotsmieten seit 2013 um 30 Prozent gestiegen sind, braucht es durchschlagendere Maßnahmen, als ,Kenia‘ verhandelt hat. Wir müssen auch in Sachsen über Mietendeckel und Vergesellschaftung von Wohnraum reden und fundamentalere Maßnahmen ergreifen, bevor es zu spät ist und Mieter/-innen aus ihren Quartieren verdrängt sind! Wohnen ist keine Ware. Das ist die Richtschnur unserer Politik auch in den nächsten fünf Jahren.“

Das klingt radikal.

Aber tatsächlich stehen im Koalitionsvertrag so viele wohnungspolitische Instrumente wie seit 1990 nicht.

Das liest sich nämlich so:

„Wir wollen es den Kommunen ermöglichen, bei Fehlentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Dazu zählen Möglichkeiten regionaler und temporärer Instrumente wie die Mietpreisbremse, Kappungsgrenzen sowie Zweckentfremdungs- und Umnutzungsverbote.

Enteignungen sind aus unserer Sicht kein geeignetes Instrument, um die Situation am Wohnungsmarkt zu verbessern.

Wir werden mit einer Wohnraumförderrichtlinie einen verlässlichen Rahmen für die verschiedenen Instrumente der Mietwohnraumförderung schaffen.

Ausreichend Wohnungen in öffentlicher und genossenschaftlicher Hand sichern langfristig bezahlbare Mieten. Wir wollen mit den öffentlichen, genossenschaftlichen und kooperativen Wohnungsbauträgern ein Bündnis für bezahlbares Wohnen in Stadt und Land schließen.

Bei Vorliegen der Voraussetzungen werden wir die bisher in Dresden und Leipzig geltende Kappungsgrenzen-Verordnung über das Jahr 2020 hinaus verlängern und gegebenenfalls weitere Kommunen mit einbeziehen.

Für Dresden und Leipzig werden wir die rechtlichen Voraussetzungen zur Einführung einer Mietpreisbremse noch im Jahr 2020 schaffen.

Wir werden die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Kommunen lokalspezifisch Wohnraumzweckentfremdung eindämmen können.“

Man merkt schon, dass sich SPD und Grüne bei dem Thema zumindest Gehör verschafft haben. Jetzt kann man gespannt sein, ob die Koalition all das auch so umsetzt. Denn einige Termine sind ja sichtlich recht knapp gesetzt schon im Jahr 2020. Wenn die Ministerrunde steht, müsste also umgehend mit der Arbeit begonnen werden.

In Leipzig sind bezahlbare größere Wohnungen für Familien zur Mangelware geworden

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