Es ist ja nicht nur beim Thema Landwirtschaft so, dass sich in Sachsen in den vergangenen zehn Jahren fast nichts bewegt hat. Es geht beim Natur- und Landschaftsschutz weiter. Denn obwohl das Thema Insektenschwund seit drei Jahren die ganze Nation verunsichert, hat der bisherige Landwirtschaftsminister beim längst beschlossenen Ausbau der Schutzgebiete gezögert, gezaudert, gebremst.
Der neue Koalitionsvertrag setzt das Thema gleich mal auf die Prioritätenliste: „Wir verstärken Maßnahmen gegen Artensterben und Lebensraumverlust. Dafür entwickeln wir das Programm ‚Sachsens Biologische Vielfalt‘ weiter. Den Schwerpunkt bildet dabei die Konkretisierung von Umsetzungsschritten zur Verbesserung des Biotopverbundsystems auch außerhalb der Kernflächen bis Ende 2020. Wir werden die ‚Fachlichen Arbeitsgrundlagen für einen Biotopverbund‘ aktualisieren sowie untersuchen, wo weitere großräumige Gebiete zum Prozessschutz ausgewiesen werden können. Damit werden wir die Wanderungsbewegungen der betroffenen Arten erleichtern, die Lebensräume stärker vernetzen und so die Populationen fördern. Dazu dient auch die Wiedervernässung von Mooren. Die finanzielle Unterstützung der Landschaftspflegeverbände wird an die steigende Kostenentwicklung angepasst. Wir werden ein ‚Handlungskonzept Insektenvielfalt im Freistaat Sachsen‘ beschließen und umsetzen.“
Der „Biotopverbund“ ist eigentlich seit Jahren Beschluss. Denn die Naturschutzgebiete sind wie Inseln in einer riesigen Fläche maximal bewirtschafteter Landwirtschaftsflächen. Tierarten verschwinden auch deshalb, weil sie diese riesigen Abstände zu Paarung und Futtersuche nicht überwinden können. Aber wer Verbindungen schaffen will, muss das gemeinsam mit den Bauern tun.
Dass die Grünen hier nicht ohne die Bauern arbeiten wollen, betonen sie gleich mehrfach: „Für Maßnahmen von Naturschutz und Landschaftspflege sollen vorrangig Flächen im Eigentum der öffentlichen Hand, insbesondere landeseigene Grundstücke, zur Verfügung gestellt werden. Werden Grundstücke Dritter benötigt, sind die Eigentümerinnen und Eigentümer frühzeitig in die Planungen einzubeziehen. Auf einen Interessenausgleich, insbesondere durch Freiwilligkeit und Entschädigung, ist hinzuwirken. – Die Verzahnung von Naturschutz und Landschaftspflege mit regionaler Entwicklung im Einvernehmen mit den Menschen vor Ort ist uns besonders wichtig. Grundlage für die Maßnahmen bleibt unser kooperativer Ansatz des Naturschutzes.“
Rückkehr zur Baumschutzsatzung
Es steht zwar so direkt nicht da – aber man will auch einigen Unfug aus der Zeit der einstigen CDU/FDP-Regierung wieder rückgängig machen, der damals unter dem Motto „Entbürokratisierung“ eingeführt wurde, in Wirklichkeit aber wichtige Naturschutzregularien einfach außer Kraft gesetzt hat. Gleich zwei Punkte dazu findet man im Koalitionsvertrag.
„Die Vorkaufsrechte gemäß § 66 Bundesnaturschutzgesetz stellen wir zugunsten der Kommunen wieder her“, lautet der eine Punkt und der andere: „Wir werden den Kommunen den Erlass von umfassenden Baumschutzsatzungen ermöglichen, damit diese die Interessen des Naturschutzes mit jenen der Grundstückseigentümer in ein besseres Verhältnis bringen können. Dazu werden wir das Sächsische Naturschutzgesetz ändern. Die Genehmigungsfiktion für Fällanträge wird auf sechs Wochen erhöht.“
Damit könnte also auch Leipzig wieder eine Baumschutzsatzung einführen.
Und auch der Aspekt Auenschutz klingt an, wenn auch noch nicht direkt zur Elsteraue. Aber die ist eigentlich direkt betroffen, wenn von einer wiederhergestellten Gewässerdynamik die Rede ist: „Wir wollen den Nähr- und Schadstoffeintrag wirksam senken, die Gewässerdynamik verstärken und die Ausbildung der natürlichen Uferstrukturen ermöglichen. Wir setzen uns zum Ziel, dass Grünstreifen am Gewässerrand dauerhaft erhalten werden können, ohne den Status von Ackerland zu verlieren.“
Wobei man vom Primat des Hochwasserschutzes noch nicht abweicht. Das klingt wenig später an: „Das Hochwasserschutzprogramm wird deshalb unter besonderer Berücksichtigung der Schaffung von Retentionsflächen, insbesondere durch Deichrückverlegungen, fortgesetzt und die dafür erforderlichen finanziellen Mittel werden bereitgestellt. Gemeinsam mit den Akteuren vor Ort entwickeln wir abgestimmte Strategien zum Wasserrückhalt in der Fläche. Wir treten für einen vorbeugenden Hochwasserschutz ein, der die Balance zwischen baulich technischen Lösungen und natürlichem Wasserrückhalt einhält.“
Und wenn die „Akteure vor Ort“ nicht wollen?
Auch hier will die neue Regierung lieber mit Förderung locken: „Kommunale Maßnahmen zur Verbesserung des Gewässerzustandes, u. a. durch Renaturierung entsprechend der Wasserrahmenrichtlinie, werden wir weiterhin fördern.“
Aber eigentlich sollten Sachsens Gewässer ja schon 2015 die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie erfüllen. Haben sie aber nicht. Auch weil nach wie vor zu viele belastende Stoffe in die Flüsse gespült werden: „Die Anstrengungen zur Erreichung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie und des Hochwasserschutzes werden verstärkt. Wir streben an, dazu auch weiterhin EFRE-Mittel zu nutzen.“
Mehr Wald ohne Forstwirtschaft
Im Auenwald überlappen sich ja die Themen – der Hochwasserschutz mit der Gewässerrevitalisierung, der FFH-Schutz mit der forstlichen Pflege.
Aber im sächsischen Wald wird sich einiges ändern. Auch das eine Abkehr von der CDU/FDP-Gesetzgebung von vor zehn Jahren, als die oberste Forstbehörde auch gleichzeitig für die Bewirtschaftung der Wälder in den Naturschutzgebieten zuständig war.
Das Sächsische Waldgesetz in seiner extrem wirtschaftsnahen Ausrichtung wird also überarbeitet.
„Mit Blick auf den Klimawandel werden die Koalitionsparteien in einem breiten Dialog die notwendige Novellierung des Waldgesetzes vorbereiten und dabei die spezifischen sächsischen Strukturen beim erforderlichen Waldumbau berücksichtigen. Bei der Änderung des Sächsischen Waldgesetzes werden wir unter Wahrung der Nutzfunktion des Waldes in seiner Gesamtheit die Zielsetzung im Staatswald noch stärker auf die Sicherung und Verbesserung der Schutz- und Erholungsfunktion des Waldes und seiner biologischen Vielfalt ausrichten.“
Das ist sogar noch sanft formuliert. Denn bislang gilt das Primat der Holzgewinnung. Bis in die kommunalen Forstwirtschaftspläne hinein. Mühsam ringen Naturschutzverbände darum, überhaupt ein paar naturschutzfachliche Richtlinien in diese „Wirtschaftspläne“ hineinzubekommen.
Das soll sich ändern. Und auch der Anteil des Nicht-Wirtschaftswaldes soll endlich von kärglichen 3 Prozent steigen: „Wir wollen erreichen, dass gemäß der Nationalen Biodiversitätsstrategie der Anteil ungenutzter Wälder an der gesamten Waldfläche langfristig auf fünf Prozent gesteigert wird. Wir werden dabei verantwortungsvoll und vorbildlich vorangehen, mit dem Ziel bis Ende 2022 zehn Prozent der Flächen des Staatswaldes aus der wirtschaftlichen Nutzung zu nehmen.“
Und künftig hat auch der Staatsbetrieb Sachsenforst in den großen Naturschutzgebieten nicht mehr den Hut auf. Die Verantwortung wandert wieder zu einer Abteilung im Umweltministerium: „Über das Amt für Großschutzgebiete wird künftig die Fachaufsicht Naturschutz unmittelbar durch das zuständige Staatsministerium als oberste Behörde wahrgenommen.“
Zu den Großschutzgebieten gehören freilich nur die Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparks, nicht solche Naturschutzgebiete wie der Leipziger Auenwald, der seinen seltsamen Zwischenstatus, in dem wirklich zukunftsfähige Projekte kaum umgesetzt werden können, wohl noch lange nicht verlieren wird. Was auch daran liegt, dass die Kommunen entlang der Weißen Elster bei diesem Thema schlicht nicht zusammenarbeiten und die Verbesserung der Flussqualität gemeinsam vorantreiben. Da sind die Kommunen andernorts schon viel weiter.
Deren Projekte werden im Koalitionsvertrag dann auch als unterstützenswert benannt: „Die Qualität und Struktur des Systems der Schutzgebiete entwickeln wir weiter. Das Nationale Naturmonument ,Grünes Band‘ und das Biosphärenreservat ,Flusslandschaft Elbe‘ wollen wir im Einvernehmen mit den betroffenen Gemeinden, Städten und Landkreisen sowie den Verbänden vorantreiben. Insbesondere werden wir die Perspektiven und das Potenzial der Nationalparkregion Sächsische Schweiz prüfen.“
Da werden also die Schwerpunkte in den nächsten fünf Jahren wieder woanders liegen, nur nicht im westsächsischen Auengebiet.
Und es gibt ja noch ein ärgerliches Projekt in unserer Region.
Dazu gleich mehr.
Ein sanftes Umsteuern hin zu einer artgerechten und umweltfreundlicheren Landwirtschaft
Ein sanftes Umsteuern hin zu einer artgerechten und umweltfreundlicheren Landwirtschaft
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