Da die Grรผnen in der neuen sรคchsischen Regierung das Vorschlagsrecht fรผr das neu formierte und damit deutlich aufgewertete Staatsministerium fรผr Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft haben, wird ein Groรteil dessen, was in Sachen Klimaschutz und Energiewende in Sachsen passiert, von einer grรผnen Ministerin bzw. einem grรผnen Minister verantwortet.
Dann liegt die Verantwortung fรผr Kohlekraftwerke und Windparks nicht mehr im SPD-gefรผhrten Wirtschaftsministerium. Und dann gewinnen die noch vagen Formulierungen im Koalitionsvertrag zu einigen Umweltthemen natรผrlich eine andere Kontur. Denn dass vieles in Sachsens Umweltpolitik nicht passiert ist bisher, hat weniger mit geltenden Regeln zu tun, als mit dem Unwillen des amtierenden Ministers, sich mit einigen Themen wie Auenschutz, รถkologischer Landwirtschaft oder Wasserrahmenrichtlinie wirklich zu beschรคftigen. Auch aus Angst vor den durchaus kampfstarken Lobbyverbรคnden, etwa der von Groรagrariern dominierten Landwirtschaft.
Wer will schon stรคndig Trecker-Proteste vor seinem Ministerium haben?
Natรผrlich hรคtte es auch schon in den vergangenen zehn Jahren anders laufen kรถnnen. Bauern sind ja nicht unkooperativ. Sie fรผhlen sich ja gerade deshalb allein gelassen, weil Ministerien eben nur zu gern mit den รผblichen Chefs der groรen Verbรคnde sprechen, die wirklichen Probleme der kleinen und mittleren Hรถfe aber gar nicht wahrnehmen.
Landgrabbing
Da liegt zwar seit Jahren die Verkรผndung auf dem Tisch, den Anteil der รถkologischen Landwirtschaft in Sachsen auf 20 Prozent zu steigern. Aber man kleckert noch immer im 6-Prozent-Bereich herum, auch weil der Erwerb von Ackerflรคchen durch Personen, die รถkologisch ackern wollen, immer schwerer wird. Auch Sachsen spรผrt lรคngst das Problem des Landgrabbings, bei dem sich groรe Konzerne und Investoren riesige Landwirtschaftsflรคchen sichern und mit ihrem Hamsterkauf die Bodenpreise nach oben treiben. Die Ackerverluste im Umfeld von Straรenbau und Gewerbeansiedlungen kommen noch hinzu.
Wenigstens dem Landgrabbing soll jetzt der Zugriff auf landwirtschaftliche Flรคche erschwert werden, heiรt es im Koalitionsvertrag: โWir wollen eine vielfรคltige Agrarstruktur erhalten und entwickeln, den Zugang zu Agrarflรคchen fรผr ortsansรคssige Landwirte erleichtern und die Pacht sowie den Erwerb landwirtschaftlicher Flรคchen und Betriebe (Anteilskรคufe) fรผr auรerlandwirtschaftliche Investoren erschweren. Wir beschlieรen bis Ende 2021 ein Agrarstrukturgesetz und regeln bis Ende 2020 die Verpachtung landeseigener Flรคchen nach einem Kriterienkatalog, welcher sich insbesondere an agrarstrukturellen und nachhaltigen Aspekten orientiert.โ
Dabei wird es ohne Unterstรผtzung fรผr die Betriebe, die auf รถkologische Landwirtschaft umstellen wollen, nicht gehen: โDer Anteil รถkologisch produzierender Betriebe soll weiter erhรถht werden. Mit einer verlรคsslichen Fรถrderung unterstรผtzen wir ein ausgewogenes, marktgerechtes Wachstum des Sektors sowie die Entwicklung und Stรคrkung von Wertschรถpfungsketten und Absatzmรถglichkeiten. Wir halten an der Zahlung einer Umstellungs- und Beibehaltungsprรคmie fest.โ
Dabei sind die Wertschรถpfungsketten ein wichtiges Stichwort. Denn am Ende mรผssen auch die Konsumenten Zugang zu den regional hergestellten Produkten finden.
Neu ist: โWir richten ein Kompetenzzentrum ,Nachhaltige Landwirtschaftโ am LfULG ein, das auch Demonstrationsprojekte mit Partnerbetrieben durchfรผhrt.โ
Weniger Pestizide, Antibiotika und Dรผnger
Und der Freistaat will sich nun auch um die Hofnachfolge kรผmmern: โWir streben den Erwerb von Flรคchen der Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft GmbH (BVVG) an und werden ab 2021 ein Existenzgrรผnder- und Hofnachfolgeprogramm fรผr Haupterwerbsbetriebe auf den Weg bringen.โ
Aber steckt hier schon ein Ansatz, endlich rauszukommen aus der industriellen Landwirtschaft, insbesondere aus der besonders umweltschรคdlichen Massentierhaltung?
Der Ansatz dazu klingt so: โDie Koalitionsparteien bekennen sich zu einer flรคchengebundenen und tiergerechten Nutztierhaltung als wichtigem Bestandteil einer nachhaltigen Landwirtschaft. Die Schwerpunkte der Agrarinvestitionsfรถrderung liegen auf Tierschutz, Umwelt und Innovation. Grundlage fรผr die Fรถrderung von Tierhaltungssystemen ist eine auf wissenschaftlicher Basis und unter Einbeziehung von Fachverbรคnden der Landwirtschaft, des Tierschutzes und der Umwelt bis 2021 zu erarbeitende Nutztierstrategie. Dies dient der Stรคrkung gesellschaftlicher Akzeptanz der landwirtschaftlichen Produktion. Ziel ist die Fรถrderung von Tierhaltungssystemen, welche รผber die aktuell geltenden rechtlichen Standards hinausgehen. Dazu nutzen wir die landeseigene Forschung; u. a. wird eine Kompetenzstelle fรผr Klauengesundheit aufgebaut.โ
Generelle Verbote wird es nicht geben. Eher liest sich das Programm wie ein Angebot, die Bauern in Sachsen vorsichtig mitzunehmen in eine Landwirtschaft, die nach und nach weniger umweltbelastend wird. So auch bei Verabreichung von Antibiotika: โGemeinsam mit Tierhalterinnen und -haltern sowie Tierรคrztinnen und -รคrzten wollen wir erreichen, dass der Einsatz von Antibiotika in der Nutz- und Haustierhaltung weiter reduziert wird. Wir setzen uns gegen den Einsatz von Reserveantibiotika in der Tierhaltung ein.โ
Der letzte Punkt klingt harmlos. Aber er benennt ein Phรคnomen, das fรผr zahlreiche รberdosierungen bei Antibiotika in der Tierhaltung verantwortlich ist. Denn nicht die Tierรคrzte verabreichten hier die Medizin, sie stand den Bauern als โReserveโ selbst zur Verfรผgung und einige scheinen damit ganze Stรคlle vorsorglich behandelt zu haben, um die Ausbreitung von Seuchen schon vorab zu stoppen.
Und wie ist es mit den ganzen Insektiziden und Pestiziden, die auch in Sachsen bislang so weitreichend versprรผht wurden, dass damit auch gleich mal angrenzende Wiesen und Raine von allen Insekten bereinigt wurden? โBedarfsgerechte Pflanzenernรคhrung und Pflanzenschutz sind weiterhin notwendig. Es werden Strategien entwickelt und umgesetzt, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 zu halbieren. Die Entwicklung und die flรคchendeckende Nutzung von innovativen Verfahren des ,Smart Farmingโ wird unterstรผtzt.โ
โSmart Farmingโ heiรt: IT unterstรผtzt die Bauern dabei, Dรผnger und Insektizide punktgenau und dosiert auf die Felder zu bringen und damit von der รberspritzung der Felder wegzukommen. Vielleicht hat man damit auch das Thema รberdรผngung erfasst. Einen eigenen Punkt zur รberdรผngung findet man nicht im Kapitel โLandwirtschaftโ, sondern unter โGewรคsser, Hochwasserschutz, Wasserโ. Auch das liegt beim kรผnftigen grรผnen Umweltministerium.
Dort liest man zum leidigen Dรผngerproblem, das in Sachsen sowohl die Grundwasserkรถrper als auch Seen und Flรผsse beeintrรคchtigt: โGemeinsam mit den Aufgabentrรคgern der รถffentlichen Trinkwasserversorgung stellen wir sicher, dass in Trinkwasserschutzgebieten nur landwirtschaftliche Anbauformen mit einem erheblichen Minderungspotenzial im Nitratbereich gewรคhlt werden und dass von diesen keine Risiken durch die Verunreinigung mit Pflanzenschutzmitteln und Medikamentenrรผckstรคnden fรผr die Trinkwasserqualitรคt ausgehen. Um zielgerichtete und regionalspezifische Maรnahmen zur Reduzierung der Nitrat-Belastung des Grundwassers entwickeln zu kรถnnen, werden die Ursachen stรคrker untersucht, Landwirtinnen und Landwirte sowie Aufgabentrรคger beraten und unterstรผtzt und darรผber hinaus das Grundwassermessnetz angepasst.โ
Denn wenn die Flรผsse nicht sauber werden, schafft Sachsen auch nicht die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie.
Aber wie kommt man von der Gรผlle in der Massentierhaltung weg?
Indem man eine artgerechte Haltung unterstรผtzt, formuliert der Koalitionsvertrag, wo es heiรt: โDie Koalitionsparteien bekennen sich zu einer flรคchengebundenen und tiergerechten Nutztierhaltung als wichtigem Bestandteil einer nachhaltigen Landwirtschaft.โ
Flรคchengebunden heiรt: Die Tiere sollen drauรen grasen und nicht mit (importiertem) Futter in riesigen Anlagen industriell gemรคstet werden.
Die Ministerin oder der Minister haben sich also schon mal ein Pรคckchen mit Hausaufgaben gepackt und mit Sachsens Bauern viel vor.
Und da ist das Naturschutzpรคckchen noch gar nicht beschrieben.
Dazu kommen wir gleich.
Kenia-Koalition: Das kleine Wรถrtchen โschrittweiseโ beim Kohleausstieg und der Bremsabstand fรผr die Windkraft
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