Dass Landesbischof Dr. Carsten Rentzing seit seinem Amtsantritt 2015 Kritik auf sich ziehen wird, war vorhersehbar – nicht nur wegen des denkbar knappen Wahlergebnisses. An seiner Positionierung als konservativ-evangelikaler Lutheraner hat er nie einen Zweifel gelassen. Doch kritisch wurde Rentzing zunehmend auch von denen wahrgenommen, die seinen theologischen Aussagen durchaus zustimmen.
Das lag an einer deutlich wahrnehmbaren Führungsschwäche und an seinem relativ profillosen Agieren in der umstrittenen sog. Strukturreform der Landeskirche. Da konnte niemand den Eindruck gewinnen, dass Rentzing an einer richtungsweisenden Rolle gelegen war. Er ließ die Dinge wie vom Landeskirchenamt geplant laufen und beschränkte sich auf Mahnungen, die Kirche geistlich zu erneuern – ohne je zu verdeutlichen, was das für die Gemeindewirklichkeit bedeuten soll.
Auch seine Weihnachtsbriefe an alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen in den Kirchgemeinden zeugten von einer dürftigen Unbestimmtheit. Geistliche Leitung einer Landeskirche, die genuine Aufgabe eines Landesbischofs, sieht eigentlich anders aus.
Umso erstaunlicher, welcher Sympathiekundgebungen sich nun Rentzing erfreuen kann, nachdem er seinen Rücktritt angekündigt hat. Dabei bleibt nach wie vor im Nebulösen, was ihn letztlich zum Rücktritt veranlasst hat.
„Mein oberstes Ziel war und ist die Einheit der Kirche. Ich muss mit großem Bedauern feststellen, dass die aktuelle Diskussion um meine Person diesem Ziel schadet. Sie ist nicht nur für mich persönlich, sondern auch für die gesamte Kirche derzeit eine Belastung. Um Schaden von meiner Kirche abzuwenden, habe ich mich entschieden, mein Amt zum nächstmöglichen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen.“ schreibt Rentzing in seiner Erklärung vom 11. Oktober 2019 und nimmt damit Bezug auf die „aktuelle Diskussion“.
Die Vermutung liegt nahe, dass er damit vor allem auf die Petition „Nächstenliebe verlangt Klarheit“ anspielt, initiiert von Leipziger Pfarrer/innen und Gemeindegliedern. In der Zwischenzeit hat sich aber herausgestellt, dass nicht nur die nach wie vor bestehende Mitgliedschaft Rentzings in der pflichtschlagenden Verbindung „Hercynia“ Anlass für Kontroversen war. Rentzing wurde einen Tag vor seinem Rücktritt mit Aufsätzen konfrontiert, die er in den Jahren 1989-1991 in der rechtsnationalistischen Zeitschrift „Fragmente“ veröffentlicht hatte
Hier zwei Beispiele: Rentzing zu Staat und Demokratie 1990 und Protentantismus und Konservatismus 1991
Die Positionen, die er dort vertritt, sind zum Teil abseits dessen, was theologisch verantwortbar ist und alles andere als nur „konservativ“. Manches liest sich, als hätte es das völlige Versagen gerade der lutherischen Theologie in der Weimarer Republik und der Nazi-Zeit nicht gegeben: Rentzing erklärt die Menschenrechte für „unprotestantisch“, vertritt einen autoritären Staatsbegriff und plädiert in Bestreitung des Gleichheitsgrundsatzes für unterschiedliche Rechte innerhalb der Bevölkerung.
Ein Artikel steht in Nachbarschaft zu einer ganzseitigen Anzeige der Reichsbürgerbewegung. Rentzing gehörte dem Redaktionsteam von „Fragmente“ an, Herausgeber war Wolfgang Fenske, damals Mitglied der rechtsradikalen Partei „Republikaner“, heute Leiter der „Bibliothek des Konservativismus“. Einem sogenannten rechten Thinktank, AfD-Sympathisant und womöglich auch AfD-Mitglied – jedenfalls einer, der zu den Wegbereitern des wachsenden Rechtsextremismus gehört.
In seiner Erklärung vom 11.10.2019 rechtfertigt sich Rentzing mit dem Hinweis „Ich stehe für konservative Positionen und Werte, die ich in einem langen Entwicklungsprozess für mich als richtig erkannt habe. Dabei war die Begegnung mit Jesus Christus und mein Glaube für mich prägend. Der Weg in die Kirche hat mich verändert. Positionen, die ich vor 30 Jahren vertreten habe, teile ich heute nicht mehr.“
Man fragt sich allerdings: Welche Positionen meint er eigentlich?
Sind es die in der Zeitschrift „Fragmente“ nachzulesenden. Doch da war er schon auf dem Weg in die Kirche. Oder meint er Positionen, die länger zurückliegen und die wir gar nicht kennen? Es bleibt wie vieles andere von Rentzings Wirken im Ungefähren. Selbst seine Absicht zurückzutreten, ist bis dato eine lediglich Ankündigung.
Die Sympathisant/innen von Rentzing scheint dies alles nicht zu kümmern. Für sie ist die „Haltlosigkeit der Vorwürfe erwiesen“ – eine erstaunliche Feststellung in der online-Solidaritätserklärung für Rentzing angesichts des Schweigens des Landesbischofs seit über einer Woche. Für sie ist Rentzing ein Opfer von Pfarrer/innen aus dem „rot-grün versifften“ Milieu insbesondere aus dem Leipziger Raum, die die Kirche zerstören wollen.
Ich erspare mir zu zitieren, mit welchen Attributen ich anonym oder auch namentlich dieser Tage belegt werde. Denn es geht nicht um mich oder die Initiator/innen der Petition – es geht um Landesbischof Rentzing und noch mehr um den Zustand unserer Landeskirche.
Da allerdings wird klar, dass wir uns in der Kirche in der gleichen Auseinandersetzung befinden wie in der Gesellschaft: Wie verorten wir uns als Kirche in der Demokratie und in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsnationalismus? Doch auch hier war und ist die Haltung von Rentzing viel zu undeutlich.
Warum wohl? Befindet er sich nach wie vor in der Gedankenwelt, die das vertikale Gott-Mensch-Verhältnis auch im Staat verankert, in der Gesellschaft abgebildet sehen möchte? Ist das der tiefe Grund, warum Rentzing sich so schwer getan hat, eine deutliche Orientierung für die Christen in der Auseinandersetzung mit Pegida/AfD anzubieten?
Nie hat er davon gesprochen oder auch nur angedeutet, dass es sich bei der AfD um eine Partei handelt, die in Sachsen im engen Schulterschluss mit der rechtsextremistischen Pegida-Bewegung auftritt und die unermüdlich hetzt, Hass schürt, den Systemwechsel fordert, Politiker/innen der anderen Parteien als Volksverräter brandmarkt, den Widerstand organisieren will – und trotz oder wegen dieses Programms in Sachsen 27 % der Stimmen bei den Landtagswahlen erreicht.
Eine gemeinsame Sicht mit der AfD?
Ein solches Wahlergebnis macht die AfD/Pegida-Positionen weder erträglicher, noch werden sie dadurch gerechtfertigt. Für die Kirche aber muss das ein Alarmsignal sein, insbesondere im Blick darauf, dass es offensichtlich auch in den Gemeinden und unter Pfarrer/innen Sympathisanten des Rechtsnationalismus gibt.
Dass an dieser Stelle Rentzing mehr als undeutlich blieb bzw. mit der AfD eine „gemeinsame Sicht auf unsere gemeinsame Zukunft“ suchen wollte, ist ein Grund dafür, dass viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch Christen denken: AfD, geht doch. Ist doch durchaus akzeptabel. Selbst der Landesbischof will mit denen gemeinsam Gesellschaft gestalten.
Da spielt dann für Rentzing auch keine Rolle mehr, dass eine AfD-Bundestagsabgeordnete wie Verena Hartmann den Tag der Geburt von Angela Merkel verflucht, der AfD Landtagsabgeordnete Roland Ulbrich nach dem Terroranschlag in Halle die zynische Frage stellt, was schlimmer sei, eine beschädigte Synagogentür oder zwei tote Deutsche. Und der AfD-Vorsitzende Jörg Urban und der neu gewählte AfD-Vizepräsident des sächsischen Landtages André Wendt bei Pegida mitlaufen, während Lutz Bachmann dazu aufruft, die „links-grünen Volksschädlinge“ einzugraben und anschließend den Graben zuzuschütten.
Das hier offensive, klare Positionierungen durch den Landesbischof ausgeblieben sind, dass er nie das Gespräch mit denen in der Landeskirche gesucht hat, die seit Jahren in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit den Rechtsnationalisten stehen, ist der Grund dafür, warum sich ein Zusammenhang zwischen seinen abstrusen Gedanken vor 25-30 Jahren und seiner heutigen Haltung nahelegt – und warum nun auch dem Bischof freundlich zugewandte Menschen dies mehr als verstörend finden.
Denn im Gegensatz zu Menschen, die in jungen Jahren Positionen vertreten haben, an die sie nicht gerne erinnert werden möchten, mit denen sie sich aber immer selbstkritisch auseinandergesetzt haben – wie z.B. Martin Niemöller, Herbert Wehner, Joschka Fischer – hat Rentzing erst reagiert, als es nichts mehr zu verleugnen gab. Deswegen ist auch der nun vorgenommene Vergleich mit Paulus mehr als abwegig. Denn Paulus hat sich immer zu seiner fundamentalistischen Vergangenheit bekannt und seinen Gesinnungswandel theologisch, öffentlich reflektiert.
Es ist zu erwarten, dass die Causa Rentzing in den nächsten Wochen noch zu vielen Auseinandersetzungen führen wird – innerkirchlich wie auch im politischen Raum. Eines sollte aber nicht mehr zur Disposition stehen: Dr. Carsten Rentzing kann nicht mehr das Amt des Landesbischofs ausüben.
Rücktritt und Klärung in der Landeskirche Sachsen
Sein Rücktritt sollte nun endlich von ihm selbst vollzogen werden – am besten, indem er am kommenden Montag vor die geplante Mahnwache in der Dresdner Lukasstraße tritt und seinen Anhänger/innen erklärt, warum er diesen Schritt jetzt vollzieht, vollziehen muss und von wem er Solidarität annimmt und von wem nicht.
Die Landeskirche sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass damit ihre (selbst-)kritische Bestandsaufnahme der Causa Rentzing erst beginnt. Dazu gehören sowohl ein Aussetzen der selbstzerstörerischen Strukturreform wie auch eine deutliche Positionierung im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Wie sonst wollen wir glaubwürdig bleiben im Kampf gegen den Antisemitismus?
Wir müssen in der Auseinandersetzung mit den Rechtsnationalisten von Pegida/AfD deutlich machen, welche Positionen mit der biblischen Botschaft vereinbar sind und welche nicht – unabhängig davon, wie sich die Mehrheitsverhältnisse im politischen Bereich darstellen. Diese Orientierung ist überfällig. Ihr dürfen sich weder die Kirchenleitung, noch Pfarrer/innen, noch Kirchvorstände, noch die Mitglieder der Theologischen Fakultät und anderer Ausbildungsstätten entziehen.
Das Verstörende möge der Vergangenheit angehören, jetzt ist Klärung gefragt. Beides sind Zumutungen der Liebe – siehe den Spruch für die neue Woche „Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder (und seine Schwester) liebe.“ (Die Bibel: 1. Johannes 4,21)
Die Petition “Nächstenliebe verlangt Klarheit”
Wenn der Bischof schweigt
Kirche & Zivilgesellschaft – Ein Umbruch steht bevor: Peterskirch-Pfarrer Andreas Dohrn im Gespräch (2017)
Ein Umbruch steht bevor: Peterskirch-Pfarrer Andreas Dohrn im Gespräch
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