LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 71, seit 27.September im HandelKaum war die Sachsenwahl am 1. September 2019 vorüber, kamen die ersten Analysen zum 27,5-Prozent-Erfolg der AfD, dem überraschend guten Abschneiden der CDU mit 32 Prozent ebenso, wie dem vollständigen Abriss der Linken um 8,5 auf 10,4 Prozent. Auch die Grünen schmolzen vom Umfragehoch dann doch wieder auf 8,6 Prozent an der Urne, während sich die SPD umgehend über 7,7 Prozent freute, da sie nicht, wie befürchtet, das FDP-Schicksal teilte, welche mit 4,5 Prozent erneut keinen Platz im Landtag fanden.

Kluge und weniger kluge Analysen machten die Runde, während die Großmedien die temporären Redaktionsstuben in Sachsen wieder zuklappten. Übrig blieben ein paar grobe Linien. Jung wählt nach wie vor linksgrüner als alt, die Bevölkerung Sachsens neigt zur Überalterung und Schrumpfung, die AfD funktioniert als eine Art rechtskonservatives Druckmittel gegenüber der CDU und das Leben in den kleineren Gemeinden unterscheidet sich gravierend vom urbanen Milieu. Vor allem von dem Leipzigs, wo immerhin noch drei Direktmandate für Grüne (2) und Linke von vier in ganz Sachsen überhaupt heraussprangen.

Nun sitzt also mit CDU (45 Sitze), Grünen (12 Sitze) und SPD (10 Sitze) eine demokratische Verhandlungsrunde bis voraussichtlich Jahresende 2019 zusammen. Und versucht, sich auf den Weg nach Kenia zu einigen, während die AfD-Wähler gelernt haben, was Linkenwähler in Sachsen schon seit 29 Jahren erlebt haben; dass selbst 38 von 119 Abgeordneten keine 50 Prozent und damit Plätze auf der Oppositionsbank sind.

Eine strikte Machtstrategie der CDU verhindert so einerseits den Einstieg der AfD in die Regierung sowohl den Versuch einer Minderheitsregierung – man ahnt auch, dass diese nicht lange durchhalten würde.

Frag doch die Leute

Während also derzeit hoffentlich konstruktiv über den Strukturwandel in der sächsischen Bergbaulandschaft, ÖPNV-Verbesserungen für Stadt und Land, Digital-, Wohnungs- und Waldumbau ebenso gefochten, wie über die Bildungslandschaft und zukünftige Polizeistärken gestritten wird, haben die Redaktionen von L-IZ.de und LEIPZIGER ZEITUNG begonnen, die ersten 30 Bürgermeister/-innen kleinerer Städte und Gemeinden in Sachsen zu fragen, wie sie die Lage sehen.

Markkleebergs Oberbürgermeister Karsten Schütze im Interview: „Mir fehlt die Frage zum Klimawandel“

Markkleebergs OBM Karsten Schütze. © Matthias Wuttig / Foto für Dich
Foto: Matthias Wuttig / Foto für Dich

Markkleeberg liegt südlich von Leipzig und hat aktuell knapp 25.000 Einwohner/-innen. Seit 2013 ist Karsten Schütze (SPD) Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt im Landkreis Leipzig. Er beklagt, dass er häufig für alle Probleme verantwortlich gemacht wird, fordert mehr Vertrauen des Freistaates in die Kommunen und sieht den Klimawandel als entscheidendes Thema der Zukunft.

Laut einer aktuellen Allensbach-Umfrage bewerten viele Menschen in Deutschland die Veränderungen in der Gesellschaft als negativ. Sie beklagen unter anderem zunehmende Aggressionen, viel Egoismus und immer weniger Respekt voreinander. Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Stimmung in Ihrer Stadt/Gemeinde in den vergangenen Jahren entwickelt?

Die Menschen lieben ihre Stadt, beklagen aber zunehmend „die Politik“. Der Umgangston ist rauer geworden. So zeigt sich der mangelnde Respekt gegenüber unseren Außendienstmitarbeitern in verbalen Beleidigungen und leider auch körperlichen Übergriffen. Werte und Normen haben an Bedeutung verloren. Fragesteller treffen bereits von Vorbehalten geprägte Feststellungen, ohne die Antwort abzuwarten. Entscheidungsstrukturen, auch auf kommunaler Ebene, sind nicht bekannt.

Der Oberbürgermeister ist dabei stets in diktatorischer Alleinverantwortung, auch wenn er für die Thematik gar nicht zuständig ist. Dennoch herrscht in Markkleeberg noch ein positives Grundklima. Es scheint mir wichtig, das Gespräch zu suchen, ob in Bürgersprechstunden oder auf der Straße. In einer Kleinstadt funktioniert das natürlich besser.

Welche wichtigen Projekte können Sie in Ihrer Stadt/Gemeinde aus finanziellen Gründen aktuell nicht umsetzen? Was wäre nötig, um eine Lösung zu finden?

Die Finanzausstattung unserer Stadt ist gut. Dennoch kann man nur das ausgeben, was man hat, und muss stets die Folgekosten im Blick haben. Ohne Haushaltausgleich lässt sich weder eine Kommune noch ein Privathaushalt langfristig betreiben. Unser Hauptproblem ist eher der zeitliche Umfang bei der Umsetzung von Projekten. Da ist der Berliner Flughafen doch längst auch im Kleinen angekommen.

Wenn ich zum Streichen eines denkmalgeschützten Tempels vier Jahre brauche und am Ende der Maler und die Farbe am billigsten sind, dann kann ich das niemandem mehr erklären. Planungs- und Genehmigungsprozesse verschlingen viel zu viel Zeit, verteuern dadurch Bauvorhaben unnötig und führen zu Konflikten mit zwischenzeitlich aktualisierten Vorschriften.

So entstehen dann in unseren über 100-jährigen Schulen an denkmalgeschützten Geländern in den Treppenhäusern mehrere Handläufe in verschiedenen Höhen, Plexiglasscheiben als Durchgriffschutz und gespannte Netze als Überkletterschutz.

In welchen Bereichen sehen Sie für Ihre Stadt/Gemeinde in den kommenden fünf bis zehn Jahren die größten Herausforderungen und was wären die Voraussetzungen für das Meistern dieser Themen?

Der Titel der neuen LEIPZIGER ZEITUNG: Jetzt überall im Handel
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Im investiven Bereich geht es darum, dass die Entwicklung der Infrastruktur mit der Einwohnerentwicklung Schritt hält. Unser Leitbild 2030 schafft wichtige Voraussetzungen für eine moderate Stadtentwicklung, ohne dass alles zugebaut wird.

Die Kapazität unserer Kindertagesstätten und Schulen wird jährlich gescannt, um vorausschauend Erweiterungen oder Neubauten vornehmen zu können. Innerstädtisch soll die Neue Mitte weiterverfolgt werden. Dazu gehören der Bau von Wohn- und Geschäftshäusern im Zentrum und damit einhergehend die Erhöhung der Aufenthaltsqualität.

Dringend scheint auch die kontinuierliche Sanierung des kommunalen Straßennetzes. Aber auch die Qualität unserer Erholungs- und Naturräume müssen wir im Blick behalten. Wenn der Tunnel der B2 im agra-Park beschlossene Sache ist, wird der denkmalgeschützte Landschaftspark im Rahmen einer Landes- oder Bundesgartenschau zu neuem Leben erweckt.

Eine große Herausforderung für uns ist aber auch der soziale Zusammenhalt. Die Schere zwischen Arm und Reich ist in Markkleeberg besonders groß. Daraus ergibt sich für die Kommune eine besondere Verantwortung in Bezug auf die sozialen Leistungen. Das fängt bei verfügbarem, bezahlbarem Mietwohnraum an und geht bis zur sozialen Betreuung. Voraussetzung für all dies ist die solide finanzielle Ausstattung der Kommune. Strategisch sind wir gut aufgestellt, jedoch braucht es seitens des Freistaates Sachsen mehr Vertrauen in die kommunale Selbstverwaltung und weniger Gängelei.

Warum ist Ihre Stadt/Gemeinde für Sie ein lebenswertes Stück Sachsen?

Markkleeberg gehört nicht umsonst zu den beliebtesten Wohnstandorten in Sachsen. Die Verkehrsinfrastruktur sucht ihresgleichen. In fünf Minuten sind Sie auf der Autobahn, in zehn Minuten mit der S-Bahn in Leipzig. Wir garantieren für unsere Einwohner einen Kinderbetreuungsplatz. Unsere Kindertagesstätten und Schulen sind allesamt saniert beziehungsweise neu gebaut.

Lebensqualität bieten insbesondere die Seen. Dort, wo andere Urlaub machen, wohnen wir. Seit 1990 wächst unsere Stadt kontinuierlich, aber moderat. Zahlreiche Vereine leisten ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Miteinander. Hier lebt es sich einfach gut.

Wie schätzen Sie die konkrete wirtschaftliche, verkehrliche und gesamtgesellschaftliche Situation in Ihrer Stadt/Gemeinde ein und was könnte sich verbessern?

Unsere Gewerbegebiete sind alle vollständig ausgelastet. Mit Hochdruck arbeiten wir an der Neuausweisung von Gewerbeflächen. Hier hemmt uns wieder der zeitaufwendige Genehmigungsprozess. Durch einen gesunden Branchenmix sind wir in der Breite gut aufgestellt, was uns konstante Gewerbesteuereinnahmen beschert. Die Unternehmen profitieren natürlich von der exzellenten verkehrlichen Anbindung unserer Stadt, aber auch von konstanten Rahmenbedingungen.

Der Hebesatz der Gewerbesteuer ist seit dem Jahr 2000 konstant. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten am Wohn- beziehungsweise Arbeitsort ist kontinuierlich gestiegen. Die Arbeitslosigkeit war seit der Wende noch nie so niedrig wie aktuell. Wir verfügen über Jugend- und Seniorenclubs, beteiligen die Generationen im Jugend- beziehungsweise Seniorenbeirat an der Kommunalpolitik.

In Kitas und Schulen setzen wir hohe Maßstäbe an die Qualität der Bedingungen in diesen Bildungseinrichtungen. Familienfreundlichkeit lebt von den Angeboten. Statistisch ist Markkleeberg eine jüngere Stadt, die sich großer Beliebtheit als Wohnstandort erfreut. Insofern muss doch vieles stimmen.

Dennoch gilt, es gibt immer noch Dinge zu tun und vieles kann man auch besser machen. Die meisten Bürgerbeschwerden konzentrieren sich immer wieder auf die Themen Ordnung und Sauberkeit. Wir versuchen zum Beispiel durch Budgetaufstockungen gegenzusteuern. Dennoch wird das ein Dauerbrenner bleiben, da auch nicht immer jeder Mangel in der Verantwortung der Stadt liegt. In der Polizeistatistik ist Markkleeberg keine Kriminalitätshochburg. Jede Straftat ist trotzdem eine zu viel. Problematisch ist die Lage im Bereich Einbruch und Diebstahl, insbesondere von Kraftfahrzeugen. Der regelmäßige Austausch mit der Polizei hilft uns, bestimmte Lagen zu erkennen und gegebenenfalls präventiv gegenzusteuern.

Welches Ergebnis erhoffen Sie sich von den laufenden Sondierungs- und Koalitionsgesprächen zwischen CDU, SPD und Grünen?

Kurz und knapp: Eine Entbürokratisierung und Pauschalisierung von Förderprogrammen. Der Freistaat sollte mehr Vertrauen in die kommunale Selbstverwaltung haben. Wir brauchen auch dynamische Finanzausstattungen, zum Beispiel bei der Kita-Pauschale. Planungs- und Genehmigungsprozesse müssen dringend gestrafft werden. Wie lange noch müssen für Baugenehmigungen Aktenordner mit der Sackkarre zur Behörde gefahren werden? Eine wirkliche Digitalisierung wäre hier das Schlagwort.

Der Landesentwicklungsplan muss aktualisiert werden, da die aktuelle Version von der Realität längst überholt ist. Der ländliche Raum braucht Entwicklungsperspektiven und keinen Rückbau. Breitband- und ÖPNV-Anbindung in der Fläche müssen kommen. Der Schlüssel zum Erfolg wird die Finanzausstattung der Kommunen bleiben. An der Basis kennt man die Sorgen und Nöte am besten.

Was haben wir vergessen zu fragen, was Ihre Stadt/Gemeinde besonders prägt/ausmacht?

Mir fehlt die Frage zum Klimawandel. Entscheidend für unsere Zukunft wird sein, wie wir mit diesem Thema umgehen und zwar im privaten Bereich, aber auch auf kommunaler Ebene. Eine Stadt muss Vorbild sein. Wir sind seit 2015 die zweite sächsische Fairtrade-Kommune. Zweimal konnten wir diesen Titel schon erfolgreich verteidigen.

Ebenso gehörten wir mit zu den ersten Städten Sachsens, die am European Energy Award teilnehmen. Seit einigen Jahren haben wir ein vom Stadtrat beschlossenes energiepolitisches Arbeitsprogramm. Wir werden noch dieses Jahr unser Klimaschutzkonzept beschließen.

Die Leipziger Zeitung, Ausgabe September 2019 ist am 27. 09. 2019 erschienen und hier zu kaufen.

Reise nach Kenia oder AfD-Tolerierung: Die Sondierungsgespräche in Sachsen haben begonnen

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