LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 71, seit 27. September im HandelMit Nazis zu reden sei wie an Mülltonnen zu schnuppern, nämlich ziemlich eklig, sagte eine gute Freundin neulich zu mir. Ich gebe ihr ja vollumfänglich recht. Es liegt kein Mehrwert darin mit Kalbitz, Höcke, Jens Meier oder Frau Sayn-Wittgenstein zu reden. Auch wenn sie sich krampfhaft den Begriff bürgerlich überstreifen und in sämtliche Mikrophone hineinrufen. Also so viel Kreide fressen, dass man sich deswegen beinah schon um ihre Gesundheit sorgen sollte.
Noch mehr rechtsradikale Märtyrer braucht dieses Land nun wahrhaftig nicht. Ganz gleich, wie oft sie es auch betonen: Diese Leute sind keine Demokraten. Sie gaukeln ihr Bekenntnis zur Demokratie nur solange vor, bis sie den wahren Charakter der von ihnen angestrebten Staatsform offen enthüllen können. Nämlich eine mit ein paar sozialen Wohltaten plüschig ausgepolsterte, weltabgewandte Samthandschuhdiktatur. Trotz solchen Personals ist die AfD in Sachsen beinah zur stärksten Kraft im sächsischen Landtag geworden.
Das gelang ihnen unter anderem nicht trotz, sondern weil sie ausgerechnet die Erinnerungen ans Ende der DDR-Diktatur instrumentalisierten. Bei weitem nicht alle Wähler machten ihr Kreuz bei der AfD, weil sie Fans des rechtsradikalen Führungspersonals der sogenannten „Alternativen“ sind. Sondern hielten sich in der Wahlkabine ihre Nasen zu und setzten ihr Kreuz eben nicht wegen, sondern trotz dieser Leute im Kästchen für die AfD.
Die Frage lautet: Weshalb?
Es war zwar ein sozialdemokratischer Kanzler, der einst die „Politik der ruhigen Hand“ ausrief. Doch über das alleinige Patent dafür verfügen die Sozialdemokraten nicht. Die sächsische CDU hat diese Art zu regieren über die letzten 30 Jahre hinweg zur Kunstform verfeinert.
Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) setzte zu Beginn seiner Amtszeit zu einer verzweifelten Kehrtwende an und gab als erster sächsischer Regierungschef offen zu, dass Sachsen ein Problem mit Rechtsradikalität und ebensolchen Extremisten hat. Natürlich noch immer nicht ohne die sofortige Erwähnung des Linksextremismus. Das Hufeisen sitzt auch beim neuen Pferdchen fest.
Er trat kurz darauf zu einer Rundreise durchs Land an, um – auch das eine Premiere unter sächsischen Ministerpräsidenten – genau das zu tun, was Basisaufgabe einer Landespartei ist. Nämlich auf die Bürger zuzugehen, ihnen zuzuhören und sich nach ihren Problemen zu erkundigen.
Sowohl Kretschmers Geständnis, dass unser Bundesland ein Problem mit Rechtsradikalismus hat, wie seine Reise zum Wahlvolk beweisen, wie gewaltig die Distanz war, welche die bisherige Regierungspolitik seiner Partei zwischen sich und dem Volksbefinden zuließ. Bis zu Kretschmers Amtsantritt inszenierte man sich hierzulande als Musterknabe unter den neuen Bundesländern.
Indem man einerseits radikales Sparen in weicher Infrastruktur zur Manie erhob. Und sich andererseits über die Errichtung und Auspolsterung von sogenannten wirtschaftlichen Leuchttürmen als Macher verkaufte. Auch wenn man im ostdeutschen Musterländle noch dreimal mehr neue Gewerbegebiete durchbetoniert und anschließend mit Hilfe von EU-Fördergeldern durchgängig beleuchten lässt, wird dies nur sehr bedingt als Bollwerk gegen den Zorn derjenigen Bürger taugen, die ihre Wahlkreuze penetrant weiterhin bei der AfD setzten.
Aus Beton errichtet man Parkplätze
Doch um Menschen in die Zukunft eines Landes zu führen, gehört, ihnen ein Gefühl von Zugehörigkeit, Sicherheit und Solidarität zu vermitteln. Wahlplakate mit lockerem Ministerpräsidenten in Wanderschuhen vor heimatlicher Landschaftskulisse sind da nur ein kalter Tropfen auf einen zu heißen Stein. Sich als wirtschaftliches Musterländle mausern zu können, hatte für Sachsen einen hohen Preis.
Über Jahrzehnte hinweg wurden der Geschichts- und Gesellschaftskundeunterricht als Hobbyfächer bewertet, kafkaisierte man in Fusionswahn die Verwaltungen bis zu einem Level, das selbst erfahrene Satiriker sprachlos machte, strich zudem die Polizeireviere, Schulbezirke und Kindergärten zusammen. Und entschuldigte dann auch noch diverse Parteienpöstchenwucherfilze als zwar bedauerliches, aber eben notwendiges Übel in einer Demokratie.
Die Investitionen in Beton zwangen zu bewusst geschaffenen Halbwüsten an weicher Infrastruktur, die sich jedoch trotz aller hier und da mal verteilten Finanzspritzen dennoch nie zu einer Savanne entwickelten, sondern zu Aschehaufen der Zivilgesellschaft verkümmerten. Auf Asche errichtet man aber nun einmal keine zukunftsfähigen Gesellschaften. Sondern höchstens Denkmäler oder Grabsteine.
Als die AfD in ihrem Landtagswahlkampf mit der Forderung nach einer „Wende 2.0“ plakatierte, stieß sie damit in genau jene Gefühlslücke, die Sachsens CDU mit ihrer Verheerung der Zivilgesellschaft geschaffen hatte. Die Braun-Blauen holten mit ihrem Nostalgiewahlkampf die Wähler bei Bedürfnissen ab, die alle übrigen Parteien nicht ansprachen.
Während die Grünen in Sachsen bei ihrer fürs städtische Wahlpublikum zurechtgeschneiderten Klimakatastrophen-Message blieben und gut daran taten, zogen die Linken mit nichtssagenden Schlagworten in den Wahlkampf, die sie außerhalb ihrer traditionellen Wählerhochburgen nicht mit Inhalten zu füllen vermochten und fuhren damit ein desaströs schlechtes Ergebnis ein.
Die Braun-Blauen lasen sich mit ihrer Botschaft aus neuem Ostkümmererprofil und Wendenostalgie die Volksbefindlichkeiten wohl besser. Zumindest Teile der Wendehistorie erlebten bei Pegida ja schon länger eine bizarre Auferstehung, wenn man dort zum Montagsspaziergang ausgerechnet „Wir sind das Volk!“ brüllte. Es lag nur nahe, dass die AfD als den Pegidisten nächste politische Verbündete aus diesen Erfolgen lernte.
Was verstand man bei den Braun-Blauen unter dem Spruch „Vollende die Wende“?
Offenbar ganz bewusst nichts Konkretes. Denn was man aus den Äußerungen verschiedener Parteigranden herauslesen kann, lief einerseits auf Beschwörungsrituale einer angeblich spezifischen ostdeutschen Mentalität hinaus und gipfelte andererseits in der typisch linken Forderung von Angleichung des Lohn- und Rentenniveaus. Garniert wurde das Ganze dann zusätzlich mit Klagen über vermeintliche westdeutsche Besatzerherrlichkeit.
Dass es den Menschen im Osten der Berliner Republik ein Anliegen ist, für dieselbe Arbeits- und Lebensleistung endlich genauso entlohnt und anerkannt zu werden wie ihre Mitbürger hinter der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze, bestreitet heute höchstens noch der neoliberale Talkshowdauersesselbesetzer Hans Werner Sinn vom Ifo-Institut.
Es ist den Bürgern auch extrem schwer vermittelbar, dass sie weiter zurückstecken sollen, während sie stets mehr Arbeitsstunden leisten, welche nicht mehr mit geringerer Produktivität einhergehen, und internationale Konzerne sich parallel dazu um ihre Steuerverpflichtungen in Milliardenhöhe drücken. Und mit dem Cum-Ex Skandal bewiesen zu sein scheint, dass eine Gang von Beratern, Bankern und Firmenbossen im wohl größten Steuerbetrug der neueren europäischen Geschichte dafür sorgten, dass sich eine Bande von Großinvestoren auf Kosten der deutschen Steuerzahler ihre Überseekonten bis zum Anschlag füllen konnten.
Übertroffen wohl nur noch von der „Big-Verlade“ der Bankenkrise zu einer Staatsschuldenkrise kurz zuvor gerade und vor allem durch die Deutsche Bank. Keiner von denen, die bisher in diese Skandale involviert sind, stammt übrigens aus Ostdeutschland.
Über Steuergerechtigkeit habe ich im sächsischen Wahlkampf jedoch keine Partei wirklich laut sprechen hören. Dabei war dies ein Thema, das gerade im Osten angesichts des steilen Steueranstieges am unteren Ende der Verdienstskala auf der Straße lag. Und dort bereits so laut um Aufmerksamkeit rief, dass man sich in manchen von der Regierungs-Sparwut verwüsteten Gegenden beinah die Ohren zuhalten musste. Die berechtigte Forderung nach voller Lohn- und Rentenangleichung zwischen Ost und West vernachlässigt zu haben, wird der CDU lange nachhängen.
Westdeutsche Wendemacher und Heiner Müller
Wie gesagt, auch wenn diese Forderungen der AfD berechtigt waren, kamen sie jedoch frei von tragfähigen Konzepten daher. Das kollektive Wissen Ost und West um die milliardenschweren Aufbauhilfen für den Osten reicht zum Misstrauen und der Frage, wo diese Gelder wohl neben den tischfertigen Straßen und restaurierten Prunkbauten nicht nur in Dresden geblieben sind.
Aber der bizarrste Coup, den ausgerechnet die mit westdeutschen Elitevertretern durchsetzte AfD im Wahlkampf landen konnte, lag in der Umwandelung von unverschämt offen geschürten Wessi-Ressentiments in Wählerstimmen. Man hält es ja für unbedarfte Realsatire, wenn sich der damals 17-jährige Hesse Höcke als Wendevollender und nur aus Versehen nicht auf den Montagsdemos 89 anwesender ostdeutscher Volkstribun geriert.
Aber selbst drei Tage nach der Wahl konnte ich diese Heuchelei noch im vollen Nachschwung in einem mehrfach lehrreichen Beispiel beobachten. Der prominente Dresdner und gebürtige Erfurter AfD-Politiker Thomas Hartung schrieb in einem Facebookpost vom 4. September: „Am besten wir verpacken den Westen wie ein Ostpaket und schicken es auf den Mond.“
Anlass für den Vorschlag des Dr. der DDR-Science-fiction bis 1989 war ein mindestens ebenso bezeichnender Artikel des Journalisten Werner Kohlhoff im Main-Echo. Er trug die Überschrift „Was bilden sich die Ossis eigentlich ein?“. Kolhoff arbeitete in ihm ein Best-Of der westdeutschen Vorurteile gegenüber den neuen Bundesländern ab, das in seiner Larmoyanz und Bevormundung nur sehr schwer zu ertragen war. Er wirft den Ostdeutschen Ignoranz ihrer eigenen Geschichte vor, die sich für ihn allerdings hauptsächlich in Stacheldraht, Mauertoten, Stasi und Massenflucht erschöpft, und diagnostiziert bei ihnen zum Schluss Empathielosigkeit.
Mit Wessischelte gewinnt man also Aufmerksamkeit in Sachsen. Im Fall von Herrn Hartungs Facebookpost materialisierte sich die Aufmerksamkeit in 100 Reaktionen, 89 Kommentaren und etwa ebenso oft geteilten Inhalten. Mit dumpfesten Ossiressentiments hingegen generiert man im bayrischen Maingebiet Leserklicks. Aber so läuft das mit der gegenseitigen Verständigung im Jahre 30 nach der Friedlichen Revolution gerade nicht.
Um die Zeit, als in Ostberlin die Mauer zu wanken begann, hat der Theaterautor Heiner Müller prophezeit: „Wie früher Geister kamen aus Vergangenheit / So jetzt aus Zukunft ebenso“. Man hat das damals unwillkürlich auch als eine Warnung vor einem irgendwann aus den Dunkelkammern der Historie heraustretendem Kommunismus interpretiert. Müller ahnte jedoch seinerzeit bereits, was wir heute wissen: Dass sich die Geister der Vergangenheit erschreckend nahtlos mit den Urängsten vor der Zukunft vermählen lassen.
Wer jetzt immer noch darüber grübelt, weshalb die AfD hier in Sachsen die Linke so erfolgreich als Protestpartei ablösen konnte, dem ist nicht bis gar nicht mehr zu helfen.
Die Leipziger Zeitung, Ausgabe September 2019 ist am 27. 09. 2019 erschienen und hier zu kaufen.
Lehrerpranger der AfD im Visier der Datenschützer
Wessen Erbe ist eigentlich die ostdeutsche AfD?
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