Da irrt Martin Dulig, auch wenn er versucht, dem unbeweglichen Koalitionspartner CDU die Leviten zu lesen. „Spätestens 2038 wird das letzte deutsche Braunkohlekraftwerk vom Netz gehen. Wer wie die CDU glaubt, dass wir bis dahin die Hände in den Schoß legen können und dann schlagartig von Braunkohlestrom auf Erneuerbare Energien umschalten können, irrt und hat die Dramatik des Klimawandels noch nicht begriffen“, sagte der Vorsitzende der SPD Sachsen und Spitzenkandidat zur Landtagswahl am 1. September am Freitag. 9. August.

Die sächsischen Parteien reihen sich ja in Sachen Kohleausstieg wie Perlen an eine Kette: von der AfD, die den Klimawandel gleich per „Regierungsprogramm“ leugnet und den Leuten einredet, man könne in Sachsen einfach weiter Kohle verfeuern, über die CDU, die zumindest langsam akzeptiert, dass die Meiler spätestens 2038 ausgehen, bis zu Grünen und Linken, denen der Ernst der Lage klar ist und die einen organisierten Strukturwandel jetzt fordern.

Und die SPD?

Die versucht irgendwie wieder den Spagat. Auch wenn Martin Dulig zumindest klar ist, dass der Ausstieg nicht erst 2038 stattfindet.

„Wir können den Anteil von aktuell 75 Prozent Braunkohlestrom im sächsischen Energiemix nicht von heute auf morgen ersetzen! Deshalb ärgere ich mich auch so, dass wir in dieser Legislatur kein neues Energie- und Klimaprogramm auf den Weg bringen konnten, weil die CDU jegliche Bewegung in Richtung Erneuerbare Energien ablehnt“, sagt Dulig.

„Wir müssen jetzt alle Kraft in den Ausbau Erneuerbarer Energien investieren. Doch leider hat bislang nur einer von fünf regionalen Planungsverbänden in Sachsen Flächen für die Erzeugung von Windenergie vorgelegt – mal wieder bremsen uns die CDU-Landräte aus. Wir dürfen aber keine Zeit mehr verlieren: Deshalb möchte ich, dass wir künftig Windanlagen auch in geeigneten Teilen von Nutzwäldern aufstellen. Ich möchte, dass sich Bürger und Kommunen selbst an Windanlagen über Genossenschaftsmodelle und Bürgerbertreibergesellschaften beteiligen, damit sie auch etwas vom erwirtschafteten Gewinn haben. Durch Gewinnbeteiligung können wir die Akzeptanz erhöhen! Denn Öko-Strom wollen ja viele Sachsen, nur erzeugt werden soll er möglichst nicht vor der eigenen Haustür.“

Der benannte Planungsverband ist der Planungsverband Westsachsen, der insgesamt 18 Windkraftvorranggebiete ausgewiesen hat – darunter auch welche im bisherigen Bergbaugebiet bei Neukieritzsch und Regis-Breitingen.

„Ein großes Potential steckt auch in der Photovoltaik: Ob auf Freiflächen in der Lausitz oder auf Dachflächen in Innenstädten – gerade mit dieser Art der Stromerzeugung ist künftig noch mehr möglich. Bauern könnten sogar Photovoltaikanlagen auf ihren Feldern aufstellen und darunter Gemüse anbauen – das ist möglich und würde sogar einen Zusatzverdienst für sie bedeuten“, sagt Dulig.

Aber dann macht er wieder einen Spagat, bei dem man nicht so recht weiß: Will er damit die CDU einfangen oder bei den Kohlekumpeln punkten? Wahrscheinlich ist es eher ein Appell an die Kumpel.

„Wir dürfen aber die Braunkohle nicht verteufeln. Die Braunkohleverstromung ist eine wichtige Brückentechnologie, welche uns noch immer Energiesicherheit gibt“, sagt Dulig. „Und sie sichert in Mitteldeutschland und in der Lausitz noch über 8.000 Menschen und deren Familien ein gutes Einkommen. An diese Menschen und an die Entwicklung der beiden Regionen müssen wir auch denken!“

Und dann merkt er etwas an, was aufmerken lässt. Denn in Sachen Kohleausstieg hat sich Sachsens Regierung in eine Sackgasse manövriert, als es die Rückstellungen für die Renaturierung der Tagebaue nicht gesichert hat.

Martin Dulig: „Wir wollen auch künftig mit LEAG und MIBRAG kooperieren – nicht nur, weil wir vermeiden müssen, dass die Kosten für die Renaturierung von Braunkohleflächen bei einem übereilten Braunkohleausstieg sonst am Steuerzahler hängenbleiben. Wir brauchen die beiden großen Energieunternehmen auch in Zukunft! Schon heute sind beide wichtige Player bei der Erzeugung Erneuerbarer Energien – auch in Deutschland. Fakt ist, einen verantwortungsvollen Wechsel von Braunkohle hin zu Erneuerbaren Energien wird nur gelingen, wenn wir jetzt alle zusammen anpacken – über die Parteigrenzen hinweg.“

Doch das Abschalten der Kraftwerke hängt nicht mehr von politischen Diskussionen ab, ob etwas nun übereilt ist oder nicht. Allein die deutschen Klimaziele erzwingen geradezu, dass auch in Sachsen bis 2022 die nächsten Kraftwerke vom Netz gehen. Die Kosten für CO2-Zertifikate steigen, Kohlestrom ist schon jetzt in vielen Monaten des Jahres nicht mehr konkurrenzfähig. Die Meiler rechnen sich kaum noch.

Und anders als Brandenburg hat Sachsen bis heute keine Zweckgesellschaft zur Vorsorge für die Tagebaunachnutzung. Am 9. August meldete die LEAG: „Eineinhalb Jahre vorfristig, bis zum 31. Dezember 2019, wird die Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) die mit dem Land Brandenburg vereinbarte Zweckgesellschaft zur Sicherung der Wiedernutzbarmachung der Bergbaufolgelandschaften und etwaiger Nachsorgeverpflichtungen in Bezug auf die Tagebaue Jänschwalde und Welzow-Süd einrichten. Die am 1. Juli 2019 abgeschlossene Vorsorgevereinbarung hatte dafür ursprünglich eine Frist bis zum 30. Juni 2021 gesetzt.“

10 Millionen Euro wolle man überweisen, also etwa 10 Prozent des vereinbarten Sockelbetrages von 102 Millionen Euro. Das klingt viel, ist aber eher ein symbolischer Betrag, der offenlässt, ob die LEAG auch nach 2021 genug verdienen wird, um die gesamte Vorsorgesumme von 770 Millionen Euro allein für diese beiden Tagebaue aufzubringen. Die LEAG geht augenscheinlich tatsächlich davon aus, dass sie bis 2038 weiter fördern und feuern kann.

Aber der vereinbarte Kohleausstieg bedingt zwingend, dass ab 2020 ein Kraftwerksblock nach dem anderen vom Netz geht, das heißt: Man wird auch nicht mehr solche Summen erwirtschaften können, die dann vielleicht 2038 die gesamten Vorsorgesumme decken. In Sachsen scheint man tatsächlich an so ein kleines Wunder zu glauben und vermeidet mit aller Kraft auch nur einen Gedanken daran, dass demnächst das große Ausschalten beginnt.

Pinka: Die Vorsorgevereinbarungen für Sachsens Tagebaue sind rechtlich fragwürdig

Pinka: Die Vorsorgevereinbarungen für Sachsens Tagebaue sind rechtlich fragwürdig

Hinweis der Redaktion in eigener Sache: Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label „Freikäufer“ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen.

Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen.

Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekären Situation unserer Arbeit zu unterstützen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine „Paywall“, bemühen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch für diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten können und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood über Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.

Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 500 Abonnenten.

Alle Artikel & Erklärungen zur Aktion Freikäufer“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Dafür, die Beschäftigten der Kohleindustrie “einzufangen”, ist es sowieso zu spät. Mal abgesehen davon, daß es keine 8.000 sind. Die glauben den Regierungsparteien nicht mehr und wählen AfD. IG BCE hin oder her.
Das gleiche gilt für das Rumgeeiere von Jung (auf Wunsch seines Parteichefs Dulig) zum Gaskraftwerk als Ersatz für Lippendorf.

Schon vor Jahren hätten Ausstiegsszenarien entwickelt werden müssen. Glaubhaft! Und nicht irgendein Wolkenkuckucksheim. Statt Subventionen in Braunkohle, wären Investitionen in Speichertechnologie nötig gewesen. Die Hochschullandschaft ist da.

Mit so einem Gelaber 3 Wochen vor der Wahl kann nicht das in Jahren versemmelte Vertrauen wieder erlangt werden.

Schreiben Sie einen Kommentar