Am Freitag, 2. August, sorgte der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle mal wieder für einen kleinen Aufruhr, als er in einem Interview der „Wirtschaftswoche“ forderte, die Förderung für den Osten strukturell zu ändern – weg von der Gießkannenförderung, hin zur Stärkung der Großstädte und urbanen Zentren. Ein ganz heikles Thema ausgerechnet mitten im Landtagswahlkampf in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Protest gab’s postwendend.

Ein zentraler Satz aus dem Gropp-Interview lautete: „Wir müssen uns vom Dogma gleichwertiger Lebensverhältnisse verabschieden. Dieses Ziel ist eine gefährliche Illusion und führt dazu, dass wir viel Geld ineffizient ausgeben.“ Ein anderer: „Die Politik kann nicht verhindern, dass es in Ostdeutschland immer mehr Dörfer gibt, in denen fast nur Rentner leben. Einige ländliche Regionen werden wegen der Demografie und ausbleibender Migration sterben.“

Deswegen schlug er vor, die Politik solle Fördermittel und Infrastrukturinvestitionen künftig auf die Großstädte und auf die Anbindung des Umlands an die urbanen Zentren konzentrieren. „Das ist ökonomisch sinnvoller, als auf Teufel komm raus zu versuchen, Industrie aufs Land zu locken.“

Aber natürlich steht dann die Frage: Wie will dann auch nur noch eine Partei Wahlen im Osten gewinnen? Gerade wenn jetzt schon sichtbar ist, dass in diesen Regionen, die sich jetzt schon abgehängt fühlen, die AfD die meisten Stimmen abzuräumen droht, indem sie den Wählern zwar keine Lösungen für das Dilemma anbietet, aber die Landbürger wütend macht auf „die da oben“. Als würden nicht reihenweise AfD-Kandidaten aus den Parteien „da oben“ kommen, die nun versuchen, die alte, sichtlich nicht erfolgreiche konservative Politik mit noch konservativerer Sturheit fortzusetzen.

Gropp sieht keine Lösungsangebote für die ländlichen Räume. Wie sollte er auch? Das war bisher kein Forschungsthema am IWH, das sich in seinen meisten Untersuchungen als klassisches Wirtschaftsinstitut betätigt, rein auf die klassische Marktbetrachtung fixiert ist, aber nicht mal einen Forschungsbereich zur politischen Gestaltung strukturschwacher Räume besitzt. Und das ist Gropps Manko. Wo Forschung fehlt, ist schlecht Ratgeber spielen.

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Dass Gropp so rein betriebswirtschaftlich denkt, wird in diesem Satz deutlich: „Wir müssen knapper werdende Mittel dort einsetzen, wo sie am meisten Nutzen stiften. Es kann nicht sein, dass die Politik die Region Berlin im Stauchaos versinken lässt, während man irgendwo in der Lausitz eine Autobahnausfahrt für ein paar hundert Fahrzeuge am Tag baut.“

Denn Fakt ist natürlich: Innerhalb des wirtschaftsradikalen Weltbildes, das Gropp vertritt (der auch schon beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington und bis 2007 in verschiedenen Positionen für die Europäische Zentralbank (EZB) gearbeitet hat, sind seine Aussagen logisch. Da geht es nur um Effizienz, um Fitness im Wettbewerb der Regionen. Und um „Verschlankung“ der Strukturen, wenn eine Gegend eben nicht mehr mithalten kann im Wettstreit der Fittesten. So ein Stück Neodarwinismus steckt schon drin in der klassischen Wirtschaftstheorie, deren Grundprinzip im Grunde immer heißt: „The winner takes it all“.

Das ist ihr Manko. Deswegen ist es auch tragisch, dass die beiden renommiertesten Wirtschaftsinstitute im Osten – das IWH in Halle und das ifo Institut in Dresden – der Politik nicht mal den Ansatz eines Handwerkszeugs in die Hand geben können, mit denen Strukturprobleme in den ländlicheren Regionen klug und zukunftsfähig gelöst werden können.

Sie haben dazu weder Forschung noch Kompetenz. Und die Politik bestellt solche auch nicht. Das ist die andere Seite der Medaille. Die bürgerlichen Parteien nehmen die Weisheiten der Wirtschaftsinstitute in der Regel unhinterfragt an und machen daraus wieder Politik. Zuletzt erlebt beim Thema Mindestlohn, wo sich das ifo Institut gründlich irrte, weil es seine „Markterwartungen“ immer nur in geschlossenen Modellen berechnet, aber nicht im Ansatz erfasst, wie sich Geldkreisläufe verändern, wenn Menschen wieder mehr verdienen, Geld also auf einmal Wege nimmt, die es auf einem „idealen Markt“ nicht genommen hätte.

Im Grunde hat man mit den ländlichen Regionen eine ganz ähnliche Fragestellung auf dem Tisch. Und Gropps Vorschlag wird mit Sicherheit dafür sorgen, dass diese Regionen noch unattraktiver werden und noch mehr Menschen dort wegziehen.

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Die kleine, aber gar nicht so falsche Frage ist: Kann man oder sollte man ländliche Regionen nicht gerade deshalb „an den Tropf“ hängen? Und das auf eine kluge Weise, die das Wohnen und Leben dort wieder attraktiver macht?

Und zwar nicht mit neuen Autobahnzubringern oder künstlich gepäppelten Gewerbegebieten, sondern mit Infrastrukturen für Menschen, mit echten Geldern für Umwelt- und Landschaftsschutz. Worüber ja durchaus schon nachgedacht wird. Nur halt nicht in Wirtschaftsinstituten.

Das Ergebnis: Politiker, die jetzt um jede Stimme auch in den ländlichen Regionen kämpfen, reagieren sauer.

„Wahrscheinlich fände es Herr Gropp befremdlich, wenn jemand mit Blick auf seine Geburtsstadt sagen würde: ,Wer braucht noch Bottrop nach der Beendigung des Steinkohlebergbaus?‘“, kommentiert Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, die Äußerungen des IWH-Präsidenten.

„Auf diesem Niveau liegt seine Polemik zu Ostregionen und heutigen Braunkohlerevieren – es geht in der Lausitz auch um Städte wie Hoyerswerda und Weißwasser, die zu Wendezeiten zusammen so viele Einwohner hatten wie Bottrop heute. Und was ländlich geprägte Regionen angeht: Es hätte in Bayern zu Zeiten der Abwanderung aus dem Bayerischen Wald auch niemand gesagt: Die Region kann man sterben lassen. Bei solchen Wissenschaftler-Wortmeldungen frage ich mich manchmal: Ist das noch Wissenschaft, oder kann das weg?“

Keine gar so dumme Frage. Aber vielleicht sollte man sie anders stellen: Sollte die verantwortliche Politik den Wirtschaftsinstituten nicht völlig neue Aufgaben stellen, damit diese sich auch endlich einmal mit den Fragen der Wirklichkeit beschäftigen?

„Das ist keine Wissenschaft, sondern Zeugnis schlichter Arroganz von Menschen, die weit weg von dem sind, worüber sie reden“, sagt auch Wolfram Günther, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag. „Es geht darum, wie man die Regionen entwickelt und attraktiv macht und nicht das Ob infrage zu stellen.“

Er geht in seiner Kritik sogar noch ein Stück weiter: „Nicht mal die Analyse stimmt. Es sterben keine Regionen. Was soll das überhaupt heißen? Länder funktionieren nur durch Stadt UND Land. Dabei haben beide jeweils ganz eigene Aufgaben und Herausforderungen, die durch die Menschen vor Ort und die Politik zu gestalten sind.“

 

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Nachtrag, 3. August: Auch Holger Zastrow, Vorsitzender der Freien Demokraten Sachsen und FDP-Spitzenkandidat zur Landtagswahl, äußerte sich sehr deutlich zum Thema:

„Die Forderungen sind technokratisch, arrogant, weltfremd, unsozial und vor allem anspruchs- und fantasielos. Die Idee, ländlichen Regionen beispielsweise Verkehrsinfrastruktur, Mobilfunk und schnelles Internet zu verweigern, um sie so zu entvölkern, ist entsetzlich.

Die Politik hat in den vergangenen Jahrzehnten viel zu lange auf Ratschläge solcher vermeintlichen Experten gehört, weshalb bestimmte Strukturprobleme in einigen Regionen entstehen konnten. Die meisten Vorhersagen, wie man am Beispiel des Wachstums der Großstädte und der Zunahme der Geburtenzahlen gut sehen kann, sind nie eingetroffen.

Aufgrund der Prophezeiungen von hochdotierten Experten wurden in Sachsen Schulen geschlossen, auf den Ausbau von Straßen verzichtet, Lehrer- und Polizeistellen nicht neu besetzt – allesamt fatale Fehler, die nur schwer zu korrigieren sind. Genauso verhält es sich bei den neuen Prognosen. Auch hier ist nicht zu erwarten, dass sie so eintreten.

Der ländliche Raum ist ein Raum voller Chancen und Möglichkeiten. Und wenn wir dafür die richtigen und vernünftigen Rahmenbedingungen setzen, ist sie für viele, die es heute noch in die Metropolen zieht, eine echte Alternative.

Die Position der FDP Sachsen ist klar: Wir wollen die Attraktivität ländlicher Regionen für Familien und Unternehmen stärken.“

 

Ländliche Regionen brauchen Förderung, um sich völlig neu erfinden zu können

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