Sachsen ist ein seltsamer Staat. Das weiß man vielleicht nicht bei den Freien Wählern, die – ähnlich wie CDU oder FDP – selten mal an einer Versammlung unter freiem Himmel teilnehmen und deshalb auch nicht wissen, wie schnell man als Demokrat auf der Straße zu einem Fall für Polizei und Verfassungsschutz wird. Deshalb landen auch die Kontaktdaten von Versammlungsleitern der Freien Wähler eher nicht beim Verfassungsschutz. Die anderer Leute schon.
So wie jetzt aus der Praxis des Landratsamts des Vogtlandkreises bekannt wurde, das von Februar bis April 2019 ohne viel Federlesens Kontaktdaten von Versammlungsanmelderinnen bzw. -anmeldern an das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) weitergab. Als wären demokratische Versammlungen schon per se eine Gefahr für den Staat und Versammlungsleiter suspekte Elemente.
Natürlich sind davon eher linke Aktivisten betroffen. Da klingt es eher nach Kraftmeierei von der heimischen Couch aus, wenn der Landesvorsitzende der Freien Wähler, Steffen Große, poltert: „Unser Land und unsere Verfassung wird von verschiedenen Seiten torpediert – von Links- und Rechtsextremen und Terroristen. Zunehmend äußern sich Bürger, die Deutschland abschaffen wollen, hassen oder zumindest als Nation in Europa für überflüssig ansehen. Wir sehen darin einen klaren Angriff auf unsere Verfassung.“ Und deshalb müsse der Verfassungsschutz bleiben.
Das ist dann sozusagen die Variante für blauäugige Bürger, die lieber ihr Auto in Sicherheit bringen, als jemals an einer Demonstration teilzunehmen.
Der Verfassungsschutz ist ja dann nur für die anderen da, oder?
„Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Selten wurde das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Datenschutzrecht in Sachsen so mit Füßen getreten“, kommentiert Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, den Vorgang. „Jede Person, die eine Versammlung anmeldet, muss nunmehr in Sorge sein, dass seine Daten beim Verfassungsschutz und dort in den Datensammlungen landen. Es handelt sich dabei nicht nur um einen Einzelfall, sondern betraf offenbar sämtliche Versammlungsanmeldungen um den 1. Mai 2019 in Plauen.“
So sieht es auch Juliane Nagel, datenschutzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag: Die Praxis des Ordnungsamtes im Vogtlandkreis ist womöglich kein Einzelfall. Bereits vor über zwei Jahren habe ich mich als Betroffene einer Datenweitergabe durch die Versammlungsbehörde in Nordsachsen an die Staatsregierung gewandt und diese Praxis hinterfragt. In der Antwort auf die Kleine Anfrage (Landtags-Drucksache 6/8372) verweist das Innenministerium darauf, dass diese Praxis punktuell angewendet wird. Rechtsgrundlage dafür sei das Sächsische Verfassungsschutzgesetz. Über die Zahl der entsprechend vorgenommenen Datenübermittlungen lägen dem Innenministerium dagegen keine Informationen vor, der Arbeitsaufwand, diese zu erheben, sei zu groß.“
Eine Begründung, die der „punktuellen“ Weiterleitung der Daten ja widerspricht. Die eher davon zeugt, dass diese Praxis ziemlich umfassend geübt wird und Ordnungsbehörden in den Landkreisen das sogar relativ lax handhaben, sonst wären ja Daten über diese Weitergaben leicht zu sammeln.
„Was im Vogtlandkreis mit den Daten von Anmelder/-innen geschieht, spottet jeder Beschreibung und ist ein Indiz dafür, dass in sächsischen Behörden offensichtlich Kenntnisse über das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und Datenschutzregelungen fehlen“, sagt Juliane Nagel. „Dass es hier wieder einmal die Versammlungsbehörde im Vogtlandkreis betrifft, die durch fragwürdiges Agieren auffällt – erinnert sei an den Umgang mit dem Aufmarsch des Dritten Weges zuletzt am 1. Mai 2019 – zeigt, dass es hier dringenden Bedarf gibt, über Grundlagen des Versammlungsrechtes und Datenschutzes aufgeklärt zu werden.“
Und Valentin Lippman glaubt auch nicht, dass die Ordnungsämter und der Verfassungsschutz nicht wissen, wie oft es zur Weitergabe von Daten kam – über die vogtländischen Weitergaben zwischen Februar und April 2019 hinaus. Denn dass das Landesamt für Verfassungsschutz so bedacht wurde, kann ja nur geschehen, wenn die Verfassungsschützer sowieso schon in den Ordnungsbehörden auf der Matte stehen und die persönlichen Daten haben möchte.
„Ich befürchte, dass die Weitergabe von Versammlungsanmeldungen an den Verfassungsschutz nicht nur im Vogtland Praxis sein könnte“, sagt Lippmann. „Innenminister Prof. Roland Wöller muss daher unverzüglich die Öffentlichkeit darüber aufklären, ob und wie viele weitere derartige Fälle rechtswidriger Datenweitergaben an den Verfassungsschutz es in Sachsen gegeben hat. Ich erwarte auch eine klare Aussage dazu, ob der Verfassungsschutz selbst die Übermittlung der Versammlungsanmeldungen angefordert hat, da ich kaum glauben kann, dass das Landratsamt allein auf diese Idee gekommen ist.“
Der Verfassungsschutz spielt also wieder sein eigenes Spiel und versucht, demokratischen Protest gleich wieder in Aktenordnern zu archivieren.
„Fakt ist, dass die persönlichen Daten von Bürgerinnen und Bürgern nur ausnahmsweise an das LfV übermittelt werden dürfen“, sagt Lippmann. „Die Weitergabe von Versammlungsanmeldungen an den Verfassungsschutz kann dazu führen, dass Menschen aus Furcht, in dessen Datenbanken zu landen, keine Versammlungen mehr anzeigen wollen. Eine solche Abschreckungswirkung ist mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unvereinbar. Egal ob es sich dabei um Nachlässigkeit oder bewusste Rechtsübertretung handelt, der Innenminister ist dringend aufgefordert, dieser rechtswidrigen Praxis ein Ende zu bereiten und schonungslos der Öffentlichkeit die Hintergründe offenzulegen.“
Der Abgeordnete Valentin Lippmann hat zu dem Vorgang eine Kleine Anfrage im Landtag eingereicht, die freilich erst nach der Landtagswahl beantwortet werden wird. Und Die Linke fordert Aufklärung und eine landesweite Überprüfung der diesbezüglichen Praxis von Versammlungsbehörden. Die Ausübung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit müsse auch in Sachsen geschützt sein und dürfe nicht durch den willkürlichen oder gar kriminalisierenden Umgang mit Daten von Anmelder/-innen beeinträchtigt werden. Hier sei das Sächsische Innenministerium als Rechtsaufsicht über den Ordnungsämtern in besonderer Weise gefordert.
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