Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 69, seit 19. Juli im HandelWurzen. Nur ein Wort, nur eine Stadt, die für viele vor allem für eines steht: das braune Sachsen. Bereits seit den 1990er Jahren gilt die Ringelnatzstadt als Hochburg von Neonazis. Auch in den vergangenen Jahren sorgte die Stadt durch Angriffe auf Geflüchtete und antirassistische Akteure für Schlagzeilen. Bei der vergangenen Kommunalwahl gelang einem rechten Kampfsportler mit Verbindungen in Neonazinetzwerke der Einzug in den Stadtrat. Wurzen ist Dunkeldeutschland. Oder?

Wenn man Anfang Juli das Wahlforum der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLPB) in Wurzen besuchte, musste man Schlimmes befürchten: eine aufgeheizte Stimmung, populistische Forderungen und Hetze gegen Minderheiten zum Beispiel. Die sechs Direktkandidat/-innen der im Landtag vertretenen Parteien und der FDP stellten sich einer Diskussion zu verschiedenen Themen. Alexandra Gerlach, die ehemalige Landeskorrespondentin für Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur, moderierte die Veranstaltung. Unter anderem ihr war es zu verdanken, dass sich viele Befürchtungen als unbegründet herausstellten.

Das Publikum – etwa 75 Personen waren anwesend – präsentierte sich als Querschnitt der Gesellschaft. Dazu gehörten Personen, die sich für Geflüchtete engagieren, ebenso wie die Rechtsradikalen im hinteren Teil des Raumes. Zu Beginn sollten die Zuhörer jeweils angeben, für welches der fünf Themenfelder sie sich besonders interessieren.

Zur Auswahl standen Arbeit und Wirtschaft, Bildung und Kultur, Umwelt und Verkehr, Soziales und Gesundheit sowie Inneres und Integration. Während die drei letzten Themenfelder in der Beliebtheit auf den letzten Plätzen landeten, erhielt der Bereich Bildung und Kultur die meisten Stimmen, gefolgt von Arbeit und Wirtschaft. Dementsprechend widmete sich Gerlach nach einer kurzen Vorstellungsrunde den Bildungsthemen als Erstes.

Etwas sprachlos irgendwie …

Dass AfD-Politiker Jens Zaunick dazu wenig beizutragen hatte, wurde bereits in den ersten Minuten deutlich. Auf die Nachfrage, warum er sich gegen Einheitsschulen ausspricht, wusste er nicht mehr zu sagen als „Das ist meine persönliche Meinung“. In Teilen des Publikums sorgte dies für hämisches Raunen. Zuvor hatte Zaunick bereits geäußert, dass ihm die „Schulpflicht am Freitag“ ein besonderes Anliegen sei – offenbar eine Reaktion auf die an jenem Wochentag stattfindenden Proteste der „Fridays for Future“-Bewegung.

Die anderen Politiker/-innen durften ebenfalls äußern, was ihnen besonders am Herzen liege. Kay Ritter (CDU) nannte die Taktzeiten im ÖPNV, Birgit Kilian (SPD) sprach sich für gute pädagogische Konzepte an Schulen aus, Annett Schmidt (Grüne) wünschte sich eine Aufbruchstimmung in der Gesellschaft, Sebastian Drews (FDP) forderte mehr Polizei sowie bessere medizinische Versorgung auf dem Land und Jens Kretzschmar (Linke) plädierte für kleinere Klassen.

Image und Schulen

Moderatorin Gerlach wandte sich nach der ersten Runde ans Publikum und konfrontierte dieses mit der Frage, ob die von einigen Gästen vorgeschlagene Rückkehr zu Dorfschulen gewünscht sei. Die Mehrheit lehnte das ab. Schon jetzt fehle es an Lehrern und bezahlbar sei das wohl kaum. Gerlach bezog immer wieder das Publikum in die Diskussionen mit ein und sorgte damit für eine lebhafte Veranstaltung.

Neben der Situation an den Schulen war auch das Image der Stadt ein großes Thema an diesem Abend. Fast alle Anwesenden auf dem Podium waren sich einig, dass dieses stark verbesserungswürdig sei. FDP-Kandidat Drews betonte, dass es nicht nur ein Image sei, sondern auch Realität, wie sich am Wahlergebnis zeige. Bei der Kommunalwahl hatten rechtsradikale Parteien beziehungsweise Bündnisse starke Ergebnisse erzielt. Linke-Politiker Kretzschmar beklagte, dass diejenigen, die auf Probleme aufmerksam machen, als „Nestbeschmutzer“ bezeichnet würden. Gerade diese Menschen bräuchten Unterstützung.

AfD-Kandidat Zaunick hingegen bestritt, dass es ein Image-Problem gebe. Auf die Frage, ob es nicht so sei, dass sich Fachkräfte von Wurzen fernhalten würden, entgegnete er: „Welche Fachkräfte? Die, die mit dem Handy rumsitzen?“ Eine Frage, die rassistischen Vorurteilen über Geflüchtete stark ähnelte. Teile des Publikums reagierten verärgert auf diese Äußerungen.

Verärgert zeigte sich auch ein Vertreter der Freien Wähler, der ebenfalls als Direktkandidat antritt. Er durfte jedoch nicht auf dem Podium sitzen. Gerlach begründete dies damit, dass die Freien Wähler laut aktueller Wahlumfragen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würden. Als wichtigste soziale Themen benannten die Direktkandidat/-innen unter anderem die vom Kabinett beschlossene Landarztquote und die Situation in der Pflege.

Nach etwas mehr als zwei Stunden war die Veranstaltung vorbei – ohne dass abgesehen vom AfD-Kandidaten irgendjemand gegen Minderheiten gehetzt hätte, so wie man es bei einer solchen Veranstaltung in Wurzen in Anbetracht der Ereignisse der vergangenen Jahre vielleicht befürchtet hätte.

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