Da staunte nicht nur Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, als er ausgerechnet in der F.A.S. das Interview mit der einstigen Treuhand-Chefin Birgit Breuel unter dem Titel „Westdeutsche hätten das nicht durchgehalten“ las. Darin äußert sie Verständnis für das Anliegen, die Geschichte der Treuhand aufzuarbeiten, verweist allerdings darauf, dass die Treuhand „nur ein Baustein des harten Systemwechsels von der Plan- zur Marktwirtschaft“ gewesen sei und vielmehr „die gesamte Transformation“ in den Blick gehöre. Da dürfte so mancher Ostdeutsche gestaunt haben.

„Die Treuhandanstalt ist zum Symbol für ostdeutsche Erfahrungen in der Wendezeit geworden. Sie ist bei weitem nicht der einzige, aber ein wichtiger Ansatzpunkt für die Aufarbeitung. Die Zeit nach 1990 gehört dringend ins Bewusstsein, denn sie hat das Leben in Ostdeutschland entscheidend geprägt und für verbreitete Demütigungserfahrungen gesorgt“, sagt Gebhardt dazu. „Es wird keine ostdeutsche Familie geben, die davon nicht in irgendeiner Weise betroffen wäre. Wir lassen es insbesondere der sächsischen CDU nicht durchgehen, dass sie übergehen will, was die letzten 30 Jahre für das Leben in Sachsen wie im Osten bedeutet haben. Diese Partei, die sich wie eine neue Staatspartei aufführt, muss Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.“

Damit erinnert er an einen Antrag der Linksfraktion aus dem März: „Ostdeutsche Arbeits- und Lebensleistung anerkennen – Fehler und Versäumnisse der Nachwendezeit und Treuhand-Unrecht kritisch aufarbeiten!“

Susanne Schaper, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion, sagte dazu: „Dass wir auch 30 Jahre nach der Wende in der heutigen Bundesrepublik immer noch zwei unterschiedliche Rentensysteme haben und dass die erarbeiteten Rentenpunkte in Ost und West immer noch nicht gleich viel wert sind, ist eine dieser ,Ost-West-Problemlagen‘, die es schnellstmöglich zu lösen gilt. Ich habe schon aufgehört zu zählen, wie oft die Bundesregierung ankündigt hat, diese Ungerechtigkeit, diese Benachteiligung von Ostdeutschen in der Rentenberechnung zu beenden und eine Rentenangleichung herbeizuführen.“

Und die unterschiedlichen Rentensysteme sind nur ein Beispiel dafür, dass der Osten tatsächlich fast 30 Jahre als eine Art Experimentallabor benutzt wurde, in dem teilweise sehr dilettantisch versucht wurde, die Transformation einer ganzen Gesellschaft quasi mit freundlichem Schulterklopfen zu zelebrieren.

„Vieles ist getan worden, keine Frage. Dennoch taucht auf der Landkarte bei jedem Vergleich der Strukturdaten der Umriss der alten DDR auf, egal ob bei Einkommen, Vermögen, Wertschöpfung usw. Der Aufholprozess hat nicht zu gleichwertigen Lebensbedingungen geführt bzw. stagniert teilweise“, stellte Luise Neuhaus-Wartenberg, mittelstandspolitische Sprecherin der Linksfraktion, fest. „Das liegt daran, dass der Aufbau Ost großenteils nur ein Nachbau West war und ein Testfeld für neoliberale Umbaukonzepte in Größenordnungen gewesen ist.“

Ist die Treuhand dann außen vor? Nicht wirklich, meint Neuhaus-Wartenberg: „Wenn wieder über Strukturwandel gesprochen wird, darf der alte nicht vergessen werden. Der MDR berichtete 2018 in seinem Magazin ,Zeitreise‘ dazu: ,Unter teils dubiosen Umständen verscherbelte die Treuhand rund 50.000 Immobilien, knapp 10.000 Firmen und mehr als 25.000 Kleinbetriebe. Dass sie in zahllosen Fällen weder die Bonität der Käufer prüfte noch die Einhaltung der Verträge überwachte, ist aktenkundig. Die DDR war in diesen Jahren ein riesiger Schnäppchenmarkt.‘ Bis heute leidet die ostdeutsche Wirtschaft darunter. Deshalb braucht es eine unabhängige Kommission, die aufarbeitet, was die Treuhand fabriziert hat. Und es ist nun wirklich an der Zeit, mit allen Ungerechtigkeiten aus dem Einigungsprozess aufzuräumen.“

Was natürlich auch Gebhardt so sieht: „Ich freue mich deshalb über den öffentlichen Zuspruch der früheren Treuhand-Chefin, diese Zeit näher zu beleuchten. Die Linksfraktion im Bundestag hat dazu einen Untersuchungsausschuss beantragt. Ich erwarte von den ostdeutschen Landesregierungen, insbesondere von der sächsischen, alle denkbare Unterstützung für eine ehrliche Aufarbeitung. Vor allem müssen die dafür erforderlichen Akten und Unterlagen der Treuhandanstalt und der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben auch nach Ablauf der gesetzlichen Verschlussfristen vollständig gesichert und der Öffentlichkeit sowie Wissenschaft und Forschung rückhaltlos zugänglich gemacht werden.“

Wobei eben dennoch stimmt, was Breuel sagt: Die Treuhand ist nur ein Teil des Problems. Es war ja nicht nur die Wirtschaft, die radikal geschrumpft wurde. Die Ostdeutschen erlebten auch einen kompletten gesellschaftlichen Bruch, der auch nicht einfach aufhörte, sondern mit der Abwanderungen von Millionen jungen Menschen, Schulschließungen, Kürzungen bei Polizei und Verwaltung, dem immer neuen Zusammenlegen zu noch größeren Gemeinden und Kreisen zum Dauerprozess wurde, in dem es nicht mal einen Punkt der Ruhe zu geben scheint.

Kein Wunder, dass nicht nur Wähler der Linkspartei das Gefühl haben, dass man nicht mal an einen Punkt kommt, an dem man sich fragen kann: Was haben wir denn nun erreicht? Was ist denn wirklich das, worauf wir bauen können?

Rico Gebhardt: „Wir wollen letztlich den Blick nach vorn richten und grundsätzlich darüber diskutieren, wie wir leben wollen. Dazu gehört es, zunächst Erklärungen dafür zu finden, warum die Menschen im Osten heute so leben wie sie es tun. Das hat längst nicht nur etwas mit Gefühlswelten zu tun. Da geht es auch um knallharte ökonomische und soziale Fakten, die maßgeblich auf das Handeln der Treuhand zurückgehen.“

Aber – das aber ist wichtig an dieser Stelle: Aber was kam danach? Warum wurde die Geschichte des Ostens nach 1990 nie als ein besonders kräftezehrender Transformationsprozess betrachtet? Warum wurde so getan, als ob Landschaften auch von allein blühen und am Ende quasi eine kleine BRD 2.0 entsteht, in der alles genauso ist wie im Westen? Was ja die größte aller Illusionen ist. Eine Illusion, die auch als Ignoranz empfunden wird und Emotionen schürt, wenn eine wirkliche Anerkennung für die Transformationsarbeit nicht sichtbar wird, wenn sich stattdessen das Gefühl einschleicht, nur ein Bürger zweiter Klasse zu sein. Da ist dann auch im Sozialen und Politischen etwas schiefgelaufen. Eine Menge Stoff zum Aufarbeiten.

Warum eine Aufarbeitung der Treuhand allein die Probleme des Ostens nicht lösen kann

Warum eine Aufarbeitung der Treuhand allein die Probleme des Ostens nicht lösen kann

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