Als der sächsische CDU-Vorsitzende und Ministerpräsident am 27. Juni via „Zeit im Osten“ seinen Vorschlag für einen „Volkseinwand“ machte, rief das auch das Hitschfeld Büro für strategische Beratung GmbH aus Leipzig auf den Plan, wo man sich schon seit Jahren mit der Frage beschäftigt, wie mehr Akzeptanz nicht nur für Großprojekte geschaffen werden kann.
Geschäftsführer Uwe Hitschfeld sieht den Vorschlag aus diesem praktischen Blickwinkel: „Der Vorschlag des sächsischen Ministerpräsidenten ist ein notwendiger Schritt, um die oft eher diffus verlaufende Debatte über mehr Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in eine konkrete, praktische Richtung zu lenken. Aber setzt er den Hebel auch am richtigen Punkt an?“
Hier sind seine Überlegungen dazu:
Anmerkungen zum Vorschlag des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zu neuen Wegen in der Bürgerbeteiligung
Uwe Hitschfeld
Das Bedürfnis, stärker in politische Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse einbezogen zu werden, ist zweifellos ein gesellschaftlicher Megatrend unserer Zeit. Auf ihn reagieren die Akteure aus Politik, Verwaltungen und Unternehmen oft eher undifferenziert mit der reflexhaften Forderung nach „mehr Bürgerbeteiligung“. Damit sind sowohl der Ausbau der Instrumentarien der direkten Demokratie, als auch der repräsentativen Demokratie und die Partizipationsformate in Verwaltungsverfahren gemeint.
Diese Möglichkeiten und Angebote gibt es bereits heute – und in erstaunlich großer Zahl. Dieses Set an Möglichkeiten wird laufend durch neue Angebote erweitert, die von der Politik aller Ebenen, von Projektträgern, Unternehmen oder öffentlichen Verwaltungen und der Zivilgesellschaft entwickelt und erprobt werden.
Das Problem besteht deshalb nicht in einem Mangel an Partizipationsmöglichkeiten. Es besteht in einem Mangel an dem Wissen um diese Möglichkeiten und den Kenntnissen, wie sie funktionieren und zusammenwirken. Vielen BürgerInnen ist nicht klar, wie sie damit ihre Interessen wahrnehmen können.
Die Erfahrungen des Ministerpräsidenten mit Formaten, in denen man einer „staatlichen Autorität seine Beschwernisse vortragen kann“, und damit die Erwartung verbindet, dass denen dann abgeholfen wird, sind dem Wesen nach eher eine Weiterführung des DDR-Eingabensystems und eben nicht ein Partizipationsformat einer bürgerlichen Gesellschaft.
Sie sind nur sehr bedingt geeignet, die Ausbildung von diskursiven und partizipativen Kenntnissen und Fertigkeiten der Bevölkerung zu unterstützen – vielmehr bedienen sie das häufig beklagte überkommene Staatsverständnis insbesondere in den ostdeutschen Ländern.
Ist ein „Volkseinwand“ dann eine gute Idee?
Ja, ein „Volkseinwand“ ist eine Möglichkeit, Bürgerinnen und Bürger in das vorhandene und grundsätzlich funktionierende System der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung einzubinden, sie anzuregen, sich mehr als bisher für Politik zu interessieren. Es ist ein zeitgemäßer Versuch, das politische System zu modernisieren – nicht, es zu zerstören.
Deshalb: Einen Versuch – gern zeitlich befristet – ist es wert!
Gesetze erster und zweiter Klasse?
Der Vorschlag sieht vor, nicht alle Gesetze für das Verfahren des Volkseinwands zu öffnen. Die Haushaltsgesetzgebung, Grundlage für nahezu alle Entscheidungen auf Landesebene, soll – zum Beispiel – davon ausgenommen bleiben. Mag es dafür auch gute inhaltliche Gründe geben – es entsteht das Bild, dass die Bevölkerung bei „einfachen“ oder „nachrangigen“ Themen mitreden, „üben“, darf. Über die „wirklich wichtigen Dinge“ entscheiden dann doch „die Profis“.
Außerdem soll der Landtag Gesetze für so dringlich erklären, dass sie „ohne Wartezeit für die Unterschriftensammlung in Kraft treten“. Das bedeutet, dass allein der Landtag durch Verfahrensfragen darüber entscheidet, welche Gesetze dann dem Volkseinwand unterworfen werden können und sollen. Damit sind Interpretationen über die jeweilige Motivation von Regierung und Parlament, so und nicht anders zu handeln, Tür und Tor geöffnet.
Deshalb: Wenn Volkseinwand – dann für alle Gesetze!
Verzögerung
Durch das Instrument eines „Volkseinwands“ verzögert sich die Gesetzgebung in Sachsen. Das ist unvermeidlich, sollte aber so weit wie irgend möglich begrenzt werden. Eine Möglichkeit kann die frühzeitige, systematische und transparente Darstellung des Handelns von Regierung und Parlament sein („Was wird in den nächsten Monaten bearbeitet?“), sodass BürgerInnen von Beginn an die Themen verfolgen können, die für sie von Interesse sind.
Deshalb: Informationsangebot zur Gesetzgebung optimieren!
Übersichtlichkeit
Schon heute gibt es eine große Zahl von Partizipationsangeboten, die ganz unterschiedliche Interessensphären der BürgerInnen berühren: vom Schulessen über die Gestaltung des Wohnquartiers, die Planung der Umgehungsstraße bis zur Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans und Suche nach dem Endlager für radioaktive Abfälle. Schon in einer Untersuchung im Jahr 2016, für die deutschlandweit ca. 1.000 repräsentativ ausgewählte Personen (deutschsprachig, über 18 Jahre) befragt wurden, gaben über ein Drittel der Befragten an, dass sie sich von der Zahl der Angebote überfordert fühlten.
„Es gibt inzwischen eine unüberschaubare Zahl von Bereichen, in denen man zum Engagement aufgerufen wird… Das ist mir einfach zu viel.“ (Vgl. Hitschfeld Büro für strategische Beratung GmbH, Studie „Bürgerschaftliches Engagement: Wann gilt Partizipation als ‚erfolgreich‘?“ und „Überforderung durch viel Beteiligung?“, September 2016). Abhilfe kann die Konzentration von Partizipationsangeboten schaffen, z. B. auf ein Mal pro Quartal nach Schweizer Vorbild.
Damit wird für alle beteiligten Akteure Planungssicherheit geschaffen: für die Projektträger und Verwaltungen in Bezug auf ihr Terminmanagement, für die BürgerInnen im Hinblick auf ihr Interessen- und Zeitmanagement.
Deshalb: Partizipationsformate an einigen wenigen Tagen im Jahr bündeln!
Immer wieder – die Digitalisierung
Natürlich kommt auch der Vorschlag von MP Kretschmer nicht ohne eine Digitalisierungskomponente aus – er schlägt eine „digitale Bürgeranhörung“ vor.
Auch wenn dies modern daherkommt: die Konzentration auf digitale Formate grenzt aus. Sie grenzt Personen aus, die nicht internetaffin sind, die bildungsferneren Milieus angehören. Und sie verstärkt eher die Barrieren, die durch den Vorschlag überwunden werden sollen.
Bei allen unseren Projekten und Vorhaben legen wir deshalb großen Wert auf die Gleichbehandlung von klassischen, d. h. analogen, und digitalen Formaten für Information und Partizipation. Auch wenn das mehr Arbeit macht, als die Einrichtung einer Dialogplattform.“
Deshalb: Analoge und digitale Formate gleichrangig behandeln und verknüpfen!
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“Das Problem besteht deshalb nicht in einem Mangel an Partizipationsmöglichkeiten. Es besteht in einem Mangel an dem Wissen um diese Möglichkeiten und den Kenntnissen, wie sie funktionieren und zusammenwirken.”
Nein, das Problem besteht darin, daß, wenn der Bürgermeister/Verwaltung einen Entschluß gefaßt hat, dieser auch umgesetzt wird. Es gibt – außer der Klage – keine wirksame Möglichkeit, Bürgermeister/Verwaltung von einer Planung abzuhalten.
Ein schönes Beispiel liefert die “Bürgerbeteiligung” zum Flughafen, WTNK, zur Charta 2030, zum Pleißemühlgraben, Forstwirtschaftsplan oder auch die gerade neu beschlossene Bürgerbeteiligung in Großpösna, der ehemaligen Gemeinde, in der Köpping Bürgermeister war und zu der sie über Lantzsch bis heute beste Beziehungen unterhält. Ein langes und wertloses Pamphlet, an dessen Ende steht: im Zweifel der entscheidet der Bürgermeister/Gemeinderat. So das “bahnbrechende Ergebnis der” Moderation der “Akademie für lokale Demokratie (ALD)”, die mit Köpping schon länger zum Thema Veranstaltungen durchführt. Ergebnis vorprogrammiert.
Viel Papier für: Nichts.
“Deshalb: Informationsangebot zur Gesetzgebung optimieren!”
Das an den genannten Beispielen genau was ändert? Nichts, es ändert rein gar nichts. Denn eine frühzeitige Information ändert am Sachverhalt nicht das Geringste. Der einzige … Unterschied: Die Bürger können sich frühzeitig ärgern und Protest läuft sich auf Grund der gemachten Erfahrungen “frühzeitig” tot.
In der Tat, ein toller Vorschlag zur Akzeptanz. Insbesondere von Großprojekten.
So lange das Verwaltungsrecht die Über-/Unterordnungsstellung Staat/Bürger “sichert” (das hat rein gar nichts mit einem Ost/West-Verständnis der Bürger zu tun, denn die Gesetze sind so!), so lange ändert sich – nichts.