Die Staatsanwaltschaft Dresden hat laut einem Medienbericht Ermittlungen gegen Pegida-Anhänger eingeleitet, die im TV den Mord an Walter Lübcke gebilligt hatten. Laut einem Pressesprecher seien Verfahren wegen Belohnung und Billigung von Straftaten gegen Unbekannt eingeleitet worden. Sachsens SPD-Chef Martin Dulig forderte die Beobachtung von Pegida durch den Verfassungsschutz.
Reporter des ARD-Magazins „Kontraste“ hatten sich vergangenen Montag auf den Weg nach Dresden gemacht, um sich nach der Haltung von „Pegida“ zur Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen bekannten Neonazi zu erkundigen. Das rechtspopulistische Bündnis hatte sich 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, an der Hetze gegen den CDU-Politiker beteiligt. Gastredner Akif Pirincci bezog sich explizit auf eine Äußerung Lübckes bei einer Bürgerversammlung im Oktober 2015 in Lohfelden. Dort hatte der Regierungspräsident die Ansiedlung einer Erstaufnahmeeinrichtung verteidigt.
„Ich würde sagen, es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten”, sagte der Politiker. „Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“ Die Äußerung verbreitete sich in rechtsextremen Foren wie ein Lauffeuer.
Heute, fast vier Jahre später, ist Walter Lübcke tot. Bei Pegida, das belegen die Statements von Mitgründer Lutz Bachmann und seinen Anhängern, ist sich niemand einer Schuld bewusst. „Bedauern Sie den Mord an Walter Lübcke?“, fragt Reporterin Caroline Walter einen Mann mittleren Alters im Beitrag (Link am Ende des Artikels). „Bedauern? Ich habe auch ein Geschäft. Mich tut auch niemand bedauern, wenn`s schlecht läuft.“ Angela Merkel habe den Hass auf die Politiker geschürt, sagt ein anderer. Ein Dritter hält den Mord für „eine menschliche Reaktion.“
Die Tat selbst ist kaum noch zu bestreiten, obwohl der Hauptverdächtige Stephan E. ein Geständnis widerrief, nannte er den Ermittlern bereits Verstecke für Waffen, eine Durchsuchung seiner Wohnung hatte laut Verfolgungsbehörden weitere Beweise ergeben.
„Klartext“ über einen Mord
Ein Mann mit AfD-Lanyard um den Hals spricht Klartext. „Ich sehe den Herrn Lübcke als Volksverräter. Wer seinem eigenen Volk empfiehlt, auszureisen, wenn ihm die Flüchtlingspolitik nicht passt, das ist für mich ein Volksverräter.“ Ein Mord „alle zwei, drei Jahre, aus irgendwelchen Hass-Gründen, relativ normal“ antwortete ein weiterer Befragter.
Wer die diffuse Mischung aus Rechtsextremen, Neurechten, Verschwörungstheoretikern und offensichtlich in der DDR sozialisierten Militaristen seit ihrer Gründung im Herbst 2014 beobachtet hat weiß, wes Geistes Kind die Menschen sind, die sich beharrlich jeden Montag in Dresden versammeln. So ziemlich jede Straftat, die von einem Migranten begangen wird, wird auf Kundgebungen und einschlägigen Webkanälen aufgebauscht, rechtsextreme Straftaten entweder negiert oder bewusst übersehen. Die Feindbilder heißen aktuell Linke und Grüne. Die AfD ist willkommen.
Fahnen rechtsextremer Parteien, die in Sachsen zuhauf aktiv sind, sucht man nach wie vor vergebens, eine Fahne der Identitären Bewegung fehlte allerdings auch am vergangenen Montag nicht. Trotzdem ist ihr Gedankengut in den Köpfen der Demonstranten angekommen. Rechtsextreme Straftaten werden relativiert, kleingeredet oder ganz ausgeblendet.
Als am 1. Juli 2019 auf der Bühne erwähnt wird, dass das Kamerateam von „Kontraste“ vor Ort sei, erschallen die Rufe „Lügenpresse“, die Journalisten werden mit „Haut ab“ lautstark aufgefordert, die Veranstaltung zu verlassen. Im Nachgang versuchte Lutz Bachmann die Aussagen seiner Anhänger gegenüber „Kontraste“ in einem Video namens „ARD, Kontraste & anderen MedienLumpen“ vom 4. Juli 2019 zu rechtfertigen. Diese seien „überfallen“ und als „dumm hingestellt“ worden. Er selbst habe sich mit dem Fall Lübcke – im Gegensatz offenbar zu allen bei „Kontraste“ antwortenden Pegida-Teilnehmern – vor der Demonstration am 1. Juli 2019 noch gar nicht beschäftigt.
Den Sender der Kontraste-Sendung ARD nannte er in diesem Zusammenhang „das Letzte“, eine bedrohliche Situation für die Journalisten vor Ort verneinte er. Weiterhin bemühte er sich redlich, die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden und einen rechtsextremen Hintergrund des Mordes an Walter Lübcke infrage zu stellen.
„Überraschung“ für die Politik?
Umso überraschender, dass es einen TV-Beitrag wie diesen brauchte, um unter Politikern für Entsetzen zu sorgen. „Man erschaudert vor diesen Abgründen“, twitterte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). „Wenn es noch irgendwelcher Belege bedarf, dass ein von Pegida und der völkisch-nationalistischen AfD gedüngter Boden Verbrechen wie den Mord an Lübcke erst möglich macht: Hier ist einer. Eine Minute, in der es einem kalt den Rücken runter läuft“, schrieb Ruprecht Polenz (CDU), nachdem er eine Kurzfassung des Beitrags gesehen hatte.
SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach twitterte: „Die Pegida Leute können einem wirklich Angst machen. Menschen, die über einen ermordeten demokratischen Politiker wie Lübcke schadenfroh Spott absondern, sind zu allem fähig.“
Am heutigen Freitag forderte SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig die Beobachtung Pegidas durch den Verfassungsschutz. „Ich fordere einen Prüfbericht des sächsischen Verfassungsschutzes zur potentiellen Verfassungswidrigkeit von Pegida“, sagte Dulig gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Wer schon wieder anfängt, einzuteilen, wer oder was lebenswert ist und wer nicht, bereitet den Weg, der schon einmal zu Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung führte. Klare Kante gegen Nazis! Das sind keine ,besorgten Bürger‘, sondern faschistische Wegbereiter!“
Zum Beitrag von „Kontraste“ am 4. Juli 2019
Von 61 auf 18 geschrumpft – Überraschung im Landeswahlausschuss: AfD-Liste für sächsische Landtagswahl größtenteils ungültig
Überraschung im Landeswahlausschuss: AfD-Liste für sächsische Landtagswahl größtenteils ungültig
Keine Kommentare bisher