Andrea Nahles hat sich entschieden, legt alle ร„mter in Partei und Fraktion nieder und verlรคsst wohl sogar den Deutschen Bundestag. Damit ist die erste Frau an der Bundes-Spitze der SPD zugleich mit nur einem Jahr auch eine der kรผrzesten Vorsitzenden der Partei gewesen. Am Ende fehlte ihr offensichtlich sogar der Rรผckhalt der wichtigen Landesverbรคnde in NRW und Niedersachsen, um den 11,7-Prozent-Absturz bei der Europawahl politisch zu รผberstehen. Auch in der kleineren Sachsen-SPD rumorte es nach der EU-Wahl in den vergangenen Tagen hรถrbar.

Mancher hofft derzeit gar auf Wahlkampfhilfe in der Sachsenwahl, indem die Bundesebene der Partei zwar unterstรผtzen, sonst aber eher schweigen und die Sozialdemokraten vor Ort ihr Ding machen lassen wรผrde. Nicht wenige sind lรคngst der Meinung, Nahles sei nur der Beginn, groรŸe Teile des Bundesvorstandes mรผssten folgen. Den Ruf, die GroKo mit der CDU endlich zu beenden, gibt es schon lรคnger. Und Ideen machen die Runde, dass Bundestagsfraktion und Parteivorstand stรคrker getrennt werden mรผssten, damit sich die SPD tatsรคchlich von unten und ohne Rรผcksicht auf Konstellationen im Bundestag erneuern kann.

Denn das frรถhliche Personalkarussell an der Bundesspitze โ€“ lรคngst โ€žTrainerwechselโ€œ genannt โ€“ wird nicht mehr helfen. Es geht um Glaubwรผrdigkeit beim Erneuerungsprozess der 400.000-Mitglieder-Partei und dies mรถglichst ohne die Last der schrumpfenden Koalition mit der ebenfalls taumelnden CDU. Aus dieser wollen nun noch mehr raus, als vor der heutigen Ankรผndigung Andrea Nahles den Weg freizumachen.

Martin Dulig. Foto: SPD Sachsen
Martin Dulig. Foto: SPD Sachsen

Als erster SPD-Sachse meldete sich dann auch heute Martin Dulig, Vorsitzender der SPD Sachsen, Ostbeauftragter der SPD, Bundesvorstandsmitglied und Wirtschaftsminister Sachsens zum angekรผndigten Rรผcktritt von Andrea Nahles mit einem entsprechenden, wenn auch noch vorsichtigen Aufruf: โ€žWas die SPD jetzt braucht, ist ein umfassender Neustart, sowohl inhaltlich als auch personell. Dafรผr hat Andrea Nahles den Weg frei gemacht. Dafรผr gilt ihr mein Respekt. Was die SPD jetzt nicht braucht, sind die รผblichen, nach innen gerichteten Aufarbeitungsprozesse der eigenen Fehler mit all den dazugehรถrenden Schuldzuweisungen und Selbstdarstellungen. Mit der Wahl einer neuen oder eines neuen Parteivorsitzenden ist es nicht mehr getan.โ€œ

Da spricht eine gequรคlte SPD-Brust, die nun hofft, es mรถge doch friedlich und ohne Aufarbeitungsprozesse gehen. Dabei hat die Sachsen-SPD quasi ein Doppelproblem: sie kรถnnte ohne drastische Wende auch fรผr die Regierungsbeteiligung an der Seite der sรคchsischen CDU zur Landtagswahl am 1. September 2019 abgestraft werden.

Eine Interimsfรผhrung auf Bundesebene soll es nun richten, so Dulig, โ€ždie den Neustart der SPD gemeinsam mit ihren vielen Partnern und Freunden organisiert. Wir sollten uns dazu personell breiter aufstellen, eine Doppelspitze kann das sehr gut leisten. Sollte es fรผr die zukรผnftige Fรผhrung der SPD mehrere Kandidatinnen und Kandidaten geben, spreche ich mich fรผr eine Urwahl aus.โ€œ

Doch fรผr Schuldzuweisungen hat die Sachsen-SPD eh keine Zeit mehr, bereits die Europawahlergebnisse lassen Schlimmes fรผr das Abschneiden am 1. September ahnen. Minus 7 Prozent ging es abwรคrts auf gerade noch 8,6 Prozent in Sachsen (15,8 % im Bund und 10,7 % in Leipzig). Ein reiner Kรถpfetausch an der Bundesspitze hilft ihr jedenfalls nicht mehr, denn es geht lรคngst um die Frage, ob die SPD in Regierungsverantwortungen auch so handelt, wie sie wahlkรคmpft.

Und da hat die Sachsen-SPD letztlich das gleiche GroKo-Problem wie die Bundes-SPD. Dulig und seinen Sozialdemokraten bleibt derzeit am Ende der Legislatur, noch einmal genauer zu erzรคhlen, was sie so in den letzten knapp fรผnf Jahren in Sachsen der CDU aus ihrer Sicht alles abtrotzen konnten. Und sie sollten es mรถglichst vernehmbar tun, wenn sie am 1. September der Einstelligkeit entgehen wollen. Angesichts einer mรถglichen CDU/SPD/Grรผnen-Regierung nach der Sachsenwahl sicher kein leichtes Unterfangen.

Von einer Bundes-SPD, die weiter in der GroKo verbleibt und zuerst einmal mit sich beschรคftigt ist, hat sie wenig Hilfe zu erwarten. Fรผr die Zukunft hingegen gilt wohl jetzt schon: Die starken Jusos und auch viele Neumitglieder in Sachsen wollen tendenziell eher nach links, hin zu mehr Kevin Kรผhnert und weniger Olaf Scholz. Und suchen weiter nach einer wirklichen Wende in und mit ihrer Partei.

Die Rรผcktrittserklรคrung von Andrea Nahles auf Tagesschau.de im Wortlaut

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Es gibt 2 Kommentare

Die SPD kann doch mal Friedrich Merz anfragen, der macht es bestimmt. Und dann gehts garantiert auch โ€œfriedlich und ohne Aufarbeitungsprozesseโ€.

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