Ein großer Wahlerfolg für die AfD ist offenbar nur eine Frage der Zeit. Nur gemeinsam konnten die demokratischen Parteien am vergangenen Sonntag einen AfD-Oberbürgermeister in Görlitz verhindern. Der Wahlausgang ist ein Grund zur Freude. Erschreckend sind jedoch die – in Anbetracht der drohenden Gefahr – geringe Wahlbeteiligung und einige Reaktionen aus der CDU.
In den vergangenen Wochen war eine Parole auf Demonstrationen immer wieder zu hören: „Alle zusammen gegen den Faschismus!“. Am Tag nach der Stadtratswahl am 26. Mai, bei der die AfD in Leipzig die Anzahl ihrer Sitze von vier auf elf erhöhen konnte, riefen vor Ort im Rathaus viele Menschen spontan „Nazis raus“ und am Folgetag etwa 250 Menschen eben diese Aufforderung in der Leipziger Innenstadt. Es war ein starkes, kämpferisches und lautes Signal.
Knapp drei Wochen später zeigten die demokratischen Parteien in Deutschland, wie man gemeinsam den Faschismus bekämpfen kann – zumindest jenen in den Köpfen zahlreicher AfD-Politiker. Die Machtergreifungs-, Verbots- und Grundrechtseinschränkungsphantasien, die mehrere Repräsentanten dieser Partei in den zurückliegenden Jahren geäußert haben, lassen wenig Zweifel daran, was droht, wenn die AfD das Sagen hätte.
GrĂĽne Verzichtspartei
Um im sächsischen Görlitz einen Oberbürgermeister aus den Reihen der Rechtspartei zu verhindern, verzichteten die Kandidatinnen von Grünen und Linken darauf, im zweiten Wahlgang erneut anzutreten. Übrigens ein Verfahren, welches gar nicht so unüblich ist, denn oft treten Kandidaten nicht zur Stichwahl an, wenn sie in der ersten Runde anhand der Ergebnisse davon ausgehen mussten, auch in Runde 2 keine Chance zu haben.
Somit lief es in Görlitz auf eine Stichwahl zwischen Sebastian Wippel aus der AfD und Octavian Ursu aus der CDU hinaus, die letzterer knapp für sich entscheiden konnte. „Ich habe es getan, zum ersten Mal in meinem Leben“, schrieb der linke Landtagsabgeordnete Mirko Schultze am Wahltag auf Twitter und meinte damit seine Wahl des CDU-Kandidaten Ursu. „Kein gutes Gefühl, aber heute wirklich alternativlos.“
Insbesondere der Verzicht der Grünen-Kandidatin Franziska Schubert dürfte entscheidend für den Erfolg des CDU-Kandidaten gewesen sein. Mit 27,9 Prozent lag sie im ersten Wahlgang Ende Mai nur knapp hinter Ursu, der 30,3 Prozent der Stimmen geholt hatte. Wippel hatte den ersten Wahlgang mit 36,4 Prozent gewonnen. Schubert hätte vielleicht doch noch Oberbürgermeisterin werden können; einen wahrscheinlicheren AfD-Erfolg zu verhindern war ihr jedoch wichtiger.
AfD als Opfer?
Vermutlich werden einige Journalistinnen und Kommentatoren in den nächsten Tagen wieder beklagen, dass sich die AfD in die „Opferrolle“ begeben könne – besiegt von der „Einheitsfront“, die von der Linkspartei bis zur CDU reicht. Und dass ein AfD-Oberbürgermeister doch eigentlich ganz gut wäre, weil sich dann zeige, dass die Partei keine Antworten auf die politischen Fragen unserer Zeit habe.
Nun, diese angebliche „Entzauberung“ ist in den Landesparlamenten und im Bundestag schon seit Jahren im Gange. Die AfD hat gezeigt, dass sie abseits des Migrationsthemas wenig zu sagen hat und immer wieder die Fakten verdreht. Nur interessiert das ihre Stammwählerschaft wenig. In Umfragen auf Bundesebene bleibt die AfD konstant über zehn Prozent und in Sachsen könnte die Partei in zwei Monaten die Landtagswahl gewinnen. Es gibt also keine „Entzauberung“, eher festigen sich über eine gewisse Normalisierung der Aussage, AfD gewählt zu haben, derzeit die Prozente.
Im Anschluss an seine Wahlniederlage gab Wippel gegenüber Phoenix zu Protokoll, dass die AfD in Sachsen für die Landtagswahl am 1. September 2019 den Anspruch habe „auch mal unser Land regieren zu können“. Er tritt dann erneut auf Listenplatz 5 der AfD zur Landtagswahl an und hofft auf einen Gewinn des Direktmandates gegen Michael Kretschmer (CDU).
Ein Erfolg der Minderheit in Görlitz
Ebenso falsch ist die Behauptung, dass Görlitz am vergangenen Sonntag sein schönes Gesicht gezeigt habe. In Wahrheit ist das Ergebnis erschreckend. Fast 50 Prozent der Wähler/-innen stimmten für die AfD und nur etwas mehr als 50 Prozent der Görlitzer/-innen beteiligten sich an der Wahl.
Natürlich gab es in Sachsen schon deutlich schlechtere Wahlbeteiligungen. An der OBM-Stichwahl in Leipzig vor sechs Jahren beteiligten sich nur 34 Prozent. Aber damals gab es noch keine AfD, die das wichtigste Amt der Stadt übernehmen könnte. Nur etwa jeder vierte Mensch in Görlitz hat sich mit seiner Stimme gegen einen AfD-Oberbürgermeister gewehrt. Das ist viel zu wenig.
CDU muss sich entscheiden
Leider trübten auch einige Reaktionen aus der CDU die positive Erkenntnis, dass die demokratischen Parteien in Deutschland gemeinsam zumindest das Schlimmste verhindern können. Vor allem ein Tweet der Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer sorgte zu Recht für Empörung. Sie hatte behauptet, dass der Wahlerfolg zeige, dass die CDU „die bürgerliche Kraft gegen die AfD“ sei. Kurz darauf musste sie das nach der Empörung anderer Social-Media-Nutzer wieder kassieren und richtigstellen.
Glücklicherweise gab es aber auch andere Stimmen aus der CDU. Der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz etwa bedankte sich bei der Grünen-Kandidatin Schubert und schrieb: „Demokraten konkurrieren miteinander, stehen aber zusammen.“
Der größte Härtetest für die Demokratie steht in Sachsen aber möglicherweise noch bevor. Es ist nicht wahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen, dass sich die CDU nach der Landtagswahl zwischen einer Koalition mit der AfD oder einem großen Bündnis bis hin zur Linkspartei entscheiden muss. Derzeit klingt es in der sächsischen CDU eher so, als seien Linkspartei und AfD gleichermaßen inakzeptabel. Vielleicht hat die Wahl in Görlitz diese Sichtweise etwas geändert.
Die Leipziger Zeitung Nr. 68 ist da: Game over! Keine Angst vor neuen Wegen
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