Eigentlich gäbe es genug Gründe für die Landtagsabgeordneten von Grünen und Linken sich zu ärgern darüber, wie ihr Wunsch, das Versagen der sächsischen Behörden im Umgang mit dem Terrortrio „NSU“, das seit 1998 in Sachsen untergetaucht war, aufzuklären, im neuen NSU-Untersuchungsausschuss wieder systematisch ausgebremst wurde. Die Meinung von CDU- und SPD-Fraktion, die Behörden hätten so weit ordentlich gearbeitet, kann auch Kerstin Köditz, die Obfrau der Linken, nicht teilen.

Der Untersuchungsausschuss wurde im April 2015 auf Initiative der Fraktionen von Linken und Grünen eingesetzt. Das Gremium hatte unter anderem zu untersuchen, warum die Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe fehlschlug, die Anfang 1998 in Sachsen untergetaucht waren. Weitere Schwerpunkte waren die Raubserie in Chemnitz und Zwickau, die Umstände der „Selbstenttarnung“ des NSU im November 2011 sowie der behördliche Umgang mit Akten.

Der Ausschuss führte insgesamt 43 Sitzungen durch, bei denen 69 Zeuginnen und Zeugen sowie eine Sachverständige vernommen wurden. Die meisten Zeuginnen und Zeugen wurden auf Initiative der Linksfraktion geladen und teils wiederholt angehört; zumeist handelte es sich um sächsische Polizisten und Verfassungsschützer. Insgesamt zwölf Zeuginnen und Zeugen, darunter V-Mann-Führer, durften nur geheim vernommen werden. Die Vernehmungen dauerten insgesamt rund 100 Stunden an, die Wortlautprotokolle füllen etwa 2.500 Druckseiten.

Daneben stützte sich der Ausschuss auf Beweismittel im Umfang von rund 1.600 Aktenbänden. In 95 Prozent der Fälle wurde die Beiziehung der Unterlagen durch die Linksfraktion initiiert. Vorgelegt wurden vor allem Ermittlungsakten von Polizei und Staatsanwaltschaften sowie Unterlagen des Landesamtes für Verfassungsschutz. Rund ein Drittel aller Akten – faktisch sämtliche Geheimdienst-Dokumente – waren als Verschlusssachen eingestuft und durften nicht für die Abschlussberichte herangezogen werden.

Bereits in den Jahren 2012 bis 2014 war mit dem damaligen 3. Untersuchungsausschuss ein ähnliches Gremium im Sächsischen Landtag aktiv, das von den damaligen demokratischen Oppositionsfraktionen eingesetzt worden war. Auch am Ende dieses Ausschusses hatten mehrere unterschiedliche Abschlussberichte gestanden. Das damalige Sondervotum der Fraktionen von Linken, SPD und Grünen hatte empfohlen, erneut einen Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex einzusetzen.

„Nach mehr als vier Jahren ist der NSU-Ausschuss des Sächsischen Landtages am vergangenen Montag zum letzten Mal zusammengekommen. Letzter Akt der 18 Mitglieder war die Verabschiedung gleich mehrerer Abschlussberichte: Die Mehrheit aus CDU und SPD hat ein dünnes Heft vorgelegt, das auf sächsischer Seite weder ernste Fehler erkennt noch politische Schlussfolgerungen aus dem NSU-Skandal ziehen will“, erklärt Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion, die auch stellvertretende Ausschussvorsitzende war.

„Dagegen haben wir als Linke gemeinsam mit den Grünen einen umfangreichen Abweichenden Bericht (sogenanntes Sondervotum) erarbeitet, der die Themen und Resultate der Ausschussarbeit erschöpfend darstellt.“

Wichtigstes Ergebnis aus Sicht der Linksfraktion: Der sächsische Verfassungsschutz behält seine Gänsefüßchen, die er in Mitteilungen der Fraktion seit Jahren bekommt, denn ein Amt, das so offensichtlich nicht die Verfassung schützt, hat ziemlich offensichtlich versagt.

„Der sächsische ‚Verfassungsschutz‘ hat bei der Suche nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe rundweg versagt“, stellt Kerstin Köditz fest. „Erstens hat das Amt viel zu wenig getan, um die 1998 untergetauchten Neonazis zu finden – obwohl die zutreffende Annahme bestand, dass sich die Flüchtigen in Sachsen aufhalten. Dem begegnete man aber mit Desinteresse. Zweitens behielt der Geheimdienst Informationen für sich, die wichtig für die sächsische Polizei gewesen wären – etwa der Hinweis, nach denen das ‚Trio‘ einen Überfall plant und eine Waffe beschafft wird. Das nahm man nicht ernst. Drittens waren die Versuche der Behörde, mit der Operation ‚Terzett‘ an die Flüchtigen heranzukommen, völlig stümperhaft – und sie endeten vorzeitig, gerade zu der Zeit, als die NSU-Mordserie begann. Andernfalls hätten die Flüchtigen womöglich gefunden und die NSU-Taten so verhindert werden können.“

Der Bericht von Links- und Grünenfraktion schlüsselt die Zusammenhänge anhand der Aussagen zahlreicher Zeuginnen und Zeugen und der Inhalte umfangreicher Behördenakten detailliert auf. Das Sondervotum liefert auch erstmals eine kritische Gesamtdarstellung zur Raubserie des NSU in Sachsen und zu den Umständen und Folgen der „Selbstenttarnung“ der rechtsterroristischen Gruppe im November 2011.

„Ausgehend von konkreten Fehlern sächsischer Behörden und angesichts der Tatsache, dass zwischenzeitlich neue rechtsterroristische Strukturen entstanden sind, fordern wir nun ernsthafte politische Konsequenzen. Der Bericht schließt daher mit einem Katalog aus insgesamt 46 Einzelvorschlägen ab. Zu ihnen gehört, dass sich die Staatsregierung zu ihrer Verantwortung bekennt – und die Betroffenen und Hinterbliebenen der NSU-Anschläge endlich entschädigt“, sagt Köditz.

„Für das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen sehen wir keine Zukunft: Die Behörde muss aufgelöst werden, sie hat mehr geschadet als genutzt und ist reformunfähig. Dagegen braucht der Freistaat endlich ein Gesamtkonzept zur Zurückdrängung der extremen Rechten. Zudem muss die Zivilgesellschaft viel stärker als bisher gefördert werden.“

Leichter freilich war die Arbeit im neuen Untersuchungsausschuss nicht, stellt Köditz fest.

„Unser Weg zur Aufklärung war steinig, die Arbeit im Ausschuss gestaltete sich oft mühsam. Gerne hätten wir weitere Betroffene der NSU-Taten angehört, unter den gegebenen Kräfteverhältnissen war das leider nicht möglich“, zieht sie Bilanz.

„Wir können am Ende auch nicht alle Fragen beantworten, haben aber die Möglichkeiten des Untersuchungsausschusses weitgehend ausgeschöpft. Wir stehen nun am vorläufigen Ende einer der aufwendigsten parlamentarischen Untersuchungen, die es bisher in Sachsen gab. Einen Schlussstrich unter das Thema ziehen wir aber nicht. Den weiteren Kampf gegen Rassismus und die extreme Rechte sehen wir vielmehr als eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“

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