In Sachsen fehlen auch immer mehr Ärzte. Das ist zwar schon ein ganzes Weilchen klar. Aber einen Vorschlag, wie der Ärztemangel wirklich gemindert werden könnte, stellte das Sächsische Sozialministerium erst am Donnerstag, 13. Juni, vor: Es soll deutlich mehr Medizinstudienplätze geben. Aber das droht jetzt auf Kosten der dringend benötigten Studienplätze für angehende Lehrer zu gehen.
Denn Sachsen hat sich mit seiner verbissenen „Hochschulreform“ 2011 in eine Sackgasse manövriert. Statt genügend Studienplätze anzubieten, die den Bedarf tatsächlich abdecken, hat man damals einfach mal ganz planwirtschaftlich die systematische Verringerung von Studienplätzen in einem verschämt „Hochschulfreiheitsgesetz“ benannten Gesetz beschlossen. Mit dem Ergebnis, dass nicht nur wichtige kleine Studienfächer rasiert wurden, sondern auch zu wenige Studienplätze auch für angehende Mediziner zur Verfügung standen.
Das Geld ist noch immer knapp. Hochschulen, die nicht alle Punkte des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ erfüllen, werden sogar noch mit Geldstreichungen bestraft. Deswegen schauen sie alle wie gebannt auf die Mittel, die der Bund für die Hochschulen zur Verfügung stellt. Aber die sind eigentlich schon fürs Löcherstopfen verplant. Aber Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) möchte jetzt auch die zusätzlichen Medizinstudiengänge daraus finanzieren.
Was in der Meldung des Sozialministeriums so klang: „Zur Finanzierung von Studienplätzen stellt der Bund den Ländern Mittel aus dem ‚Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken‘ zur Verfügung. Der Freistaat Sachsen ist gefragt, diese Mittel sinnvoll einzusetzen. Neben zusätzlichen Studienplätzen für das Lehramt braucht es aus Sicht der Gesundheitsministerin auch Mittel für weitere Medizinstudienplätze: ‚Wenn wir wissen, dass wir mehr Mediziner brauchen, müssen wir mehr ausbilden. Dazu müssen wir die uns zur Verfügung stehenden Mittel sinnvoll einsetzen.‘“
Löcher stopfen mit Geldern, mit denen schon andere Löcher gestopft werden sollen
Logisch, dass sie für diese Umverteil-Politik postwendend Kritik erntete von allen, die sich seit acht Jahren intensiv mit dem leidigen Thema der systematischen Unterfinanzierung der Hochschulen beschäftigen.
„Es ist nicht neu, dass wir in Sachsen mehr Medizinstudienplätze brauchen. Doch damit allein werden wir das Problem des Ärztemangels nicht lösen können. Es muss endlich ressortübergreifend gearbeitet werden, und das möglichst schnell. Dazu müssen sich alle Beteiligten einig werden, einschließlich des Finanzministers“, kommentierte die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag Susanne Schaper, den Vorstoß am Donnerstag. Denn es sind die sächsischen Finanzminister, die für eine permanente Mittelknappheit für solche wichtigen Zukunftsausgaben sorgen.
„Der Start des Modellstudiengangs ist wichtig, auch die endlich im Sozialministerium angekommene Erkenntnis, dass sich die Vorstellungen über Work-Life-Balance bei jungen Medizinerinnen und Medizinern gewandelt haben. Außerdem brauchen wir Investitionen in die Infrastruktur im ländlichen Raum, damit Menschen dort gern leben und arbeiten.“
Den Lösungsvorschlag, man könne doch die Mittel des erst kürzlich von Bund und Ländern beschlossenen „Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken“ für die Erhöhung der Studienplätze im Medizinstudium benutzen, findet auch der hochschulpolitische Sprecher der Linksfraktion, René Jalaß, höchst bedenklich.
„Schließlich sind die Mittel des Nachfolgers des Hochschulpaktes keine zusätzlichen Mittel für die sächsischen Hochschulen. Bislang wurden diese benötigt, um grundlegende Aufgaben abzudecken beispielsweise in der Lehramtsausbildung mit dem Bildungspaket, der Verbesserung der Qualität der Lehre sowie der Finanzierung des Überlastpaketes, womit frühere Stellenstreichungen kompensiert werden sollten und aufgrund der hohen Studierendenzahlen auch weiterhin kompensiert werden müssen“, sagt Jalaß.
Die Ministerin will also Gelder umverteilen, die jetzt schon dringend fürs Löcherstopfen an Sachsens Hochschulen gebraucht werden. Jalaß: „Sollten die zur Verfügung stehenden Mittel nun auch noch für die Ausbildung der Medizinerinnen und Mediziner genutzt werden, wären die Hochschulen gezwungen, Kürzungen in anderen Fachbereichen vorzunehmen. Aber nicht nur das: Es ist unfassbar, wie die Ministerin mit ihrer Äußerung all die Initiativen der Beschäftigten im Mittelbau der letzten Jahre, Monate und Wochen ignoriert!“
Der „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ müsse für eine Entfristungsoffensive im Mittelbau genutzt werden, fordert der Abgeordnete. „Diese Möglichkeit darf nicht vertan werden. Es gilt die Ausbeutungssituation im akademischen Mittelbau endlich zu beenden! Für den Ausbau der Studienplatzkapazitäten muss der Freistaat unabhängig davon Geld in die Hand nehmen. Das fordern wir seit Jahren! Die Hochschulen brauchen eine bedarfsgerechte, auskömmliche Grundfinanzierung.“
SPD kritisiert den nicht abgesprochenen Vorstoß der Sozialministerin
Und diesmal bekommt die CDU-Ministerin auch deftige Kritik vom Koalitionspartner.
„Die SPD macht keine Politik mit ungedeckten Schecks! Das wäre unseriös und Gesundheitsministerin Klepsch (CDU) sollte das auch wissen. Wer mehr Medizinstudierende will, muss auch sagen, wie das finanziert werden soll“, erklärte Dirk Panter, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, zum am Ende doch wieder eigenmächtigen Vorstoß. Von einer Zustimmung des Kabinetts, wie in der Meldung des SMK suggeriert, kann keine Rede sein.
„Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) hat für die Regierung mehrfach deutlich gemacht, dass die Hochschulpaktmittel bereits gebunden sind. Von den jährlich rund 75 Millionen Euro ist nichts frei. Damit wird der Ausbau der Lehramtsausbildung finanziert und zahlreiche Stellen an den Hochschulen sollen endlich entfristet werden.“
Speziell mit Blick auf die 23 Millionen Euro aus dem Hochschulpakt für die Lehramtsausbildung stellt Panter unmissverständlich klar: „Wir brauchen das Geld aus dem Pakt für die vereinbarte Lehrerausbildung. Wir haben die Anzahl der Studienplätze auf 2.400 verdoppelt, um endlich die Trendwende beim Lehrermangel zu erreichen. Wer jetzt am Hochschulpakt rüttelt, gefährdet die gemeinsame Politik der Koalition gegen den Lehrermangel. Die SPD wird Mediziner nicht gegen Lehrer ausspielen!“
Keine guten Aussichten für Barbara Klepsch, ihren Job als Ministerin auch nach der nächsten Wahl noch ausüben zu können. Denn das Problem mit dem (Land-)Ärztemangel hat sie von Anfang an auf dem Tisch. Aber bislang hat sie keinen seriösen Vorschlag vorgelegt,wie sie es zu lösen gedenkt.
„Über das Vorgehen von Gesundheitsministerin Klepsch bin ich immer wieder erstaunt“, sagt Panter deshalb. „Vor eineinhalb Jahren hat sie vom Landtag den Auftrag erhalten, den Plan zur ärztlichen Versorgung in Sachsen zu überarbeiten. Denn dass das Thema drängt, wissen wir nicht erst seit gestern. Seitdem ist leider im zuständigen Gesundheitsressort fast nichts passiert. In den intensiven Verhandlungen zum Doppelhaushalt 2019/20 hat die Gesundheitsministerin für viele der jetzt von ihr angedachten Maßnahmen kein Geld eingeplant. Bis vor Kurzem hat das für Frau Klepsch keine Rolle gespielt, es gab keine Vorschläge und auch keine rechtzeitigen Planungen, wie vor Ende der Legislatur noch Maßnahmen umgesetzt werden können. Jetzt, wenige Wochen vor Ende der Legislatur und nachdem alle parlamentarischen Fristen für sinnvolle Verfahren gerissen wurden, stellt die Ministerin einen wenig seriösen und nicht verabredeten Pseudo-Plan vor.“
Die SPD werde, so Panter abschließend, natürlich an der Lösung der bestehenden Probleme arbeiten: „Wir haben längst eigene Vorschläge präsentiert, wie wir alle Regionen in Sachsen schneller, kostengünstiger und vor allem nachhaltiger dabei unterstützen können, die medizinische Versorgung sicherzustellen. Das wird eine wichtige Aufgabe für die kommende Legislatur.“
Mittelbau der Uni Leipzig befürchtet weiteren Stellenabbau
Die bekannt gewordenen Pläne der CDU Sachsen, eine Aufstockung der Medizinstudienplätze an den Hochschulen mit Mitteln aus dem „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ zu finanzieren, gefährden die Qualität der Lehre massiv und wird die zukünftige Betreuung der Studierenden deutlich verschlechtern, schätzt die Mittelbau-Initiative der Uni Leipzig den Vorstoß ein. Dort hatte man gehofft, das Geld würde wenigstens helfen, ein paar der prekären Beschäftigungsmodelle im Hochschul-Mittelbau endlich zu beenden.
„Damit stehen die Pläne im klaren Widerspruch zu den Zielen des ‚Zukunftsvertrags‘ und die CDU muss sich fragen lassen, ob sie eine Verbesserung der Landarztquote in zehn oder fünfzehn Jahren wirklich auf Kosten einer umgehenden Qualitätseinbuße in der Lehre aller anderen Fachbereiche durchsetzen will. Probleme löst man nicht, indem man neue Probleme schafft“, sagt dazu Dr. Thomas Riemer, Sprecher der Mittelbauinitiative an der Universität Leipzig (MULE).
Mit dem „Zukunftsvertrag“ soll eigentlich in Fortführung des Hochschulpaktes eine dauerhafte Beschäftigung von Lehrpersonal an den Hochschulen umgesetzt werden. In Sachsen wurde bisher mit den Mitteln des Hochschulpaktes schwerpunktmäßig der Mehrbedarf an Lehrpersonal in den Lehramtsstudiengängen gedeckt. Die geplante Abzweigung von 20 Millionen Euro für die Schaffung neuer Medizinstudienplätze würde etwa 300 Stellen in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern gefährden, also nicht nur in den Erziehungswissenschaften, sondern überall dort, wo Lehramtsstudierenden Fachinhalte vermittelt werden.
„Die Lehre am Institut für Germanistik, dem größten Institut der größten Fakultät an der Universität Leipzig mit 75 % Lehramtsstudierenden, würde ohne die bisher aus dem Hochschulpakt finanzierten Stellen zusammenbrechen. Sachsen hat einen krassen Lehrermangel. Was ist das für eine Politik, Herr Ministerpräsident Kretschmer?“, fragt Dr. Silke Horstkotte als betroffene Mitarbeiterin.
Auf den „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ hat sich die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) am 3. Mai 2019 als Nachfolge des „Hochschulpaktes“ geeinigt. Der Hochschulpakt war 2006 ins Leben gerufen worden. Er läuft Ende 2020 aus und wird durch die unbefristete Vereinbarung „Zukunftsvertrag“ ersetzt. Das Ziel dieses Vertrags ist, „eine flächendeckend hohe Qualität von Studium und Lehre, gute Studienbedingungen in der Breite der deutschen Hochschullandschaft sowie de[n] bedarfsgerechte[n] Erhalt der Studienkapazitäten in Deutschland“ (Zukunftsvertrag, §1, Satz 1) zu ermöglichen. Daher sind die Länder angehalten, bei der Verwendung der Mittel „Schwerpunkte insbesondere beim Ausbau von dauerhaften Beschäftigungsverhältnissen des hauptberuflichen […] Personals an den Hochschulen“ (Zukunftsvertrag, §1, Satz 2) zu setzen. Die Schaffung neuer Studienplätze sieht der „Zukunftsvertrag“ dagegen nicht vor.
„Wir möchten die Notwendigkeit der Einrichtung zusätzlicher Medizinstudienplätze zur langfristigen Verbesserung der Landarztquote in Sachsen gar nicht grundsätzlich infrage stellen“, betont die Mittelbau-Initiative. „Jedoch kann die sächsische CDU unserer Ansicht nach nicht darauf hoffen, die dafür benötigten finanziellen Mittel auf der Grundlage des Zukunftsvertrags zu erhalten. Diese sind laut Vertrag nicht für die Finanzierung neuer Studienplätze einsetzbar. Vielmehr müssen die neu einzurichtenden Studienplätze aus Haushaltsmitteln des Landes selbst finanziert werden.“
Aber da geht es der Sozialministerin wie so lange den diversen Kultusminister/-innen der CDU: Sie traut sich nicht, beim zuständigen CDU-Finanzminister Tacheles zu reden. Da hat sich also mit dem Wechsel des Finanzministers im Dezember 2017 gar nichts geändert.
Kurz vor Toresschluss legt die Gesundheitsministerin ein Maßnahmepaket zur Ärztegewinnung vor
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