Es ist nicht leicht fรผr die sรคchsische SPD, erst recht, wenn sie sich vom Koalitionspartner CDU absetzen will. Am 1. September ist Landtagswahl in Sachsen. Und auch beim Thema Kohleausstieg war diese Koalitionsfรคhigkeit indirekt Thema, als auf dem Programmparteitag in Neukieritzsch am 22. Juni nรคmlich รผber den Kohleausstieg bis 2038 debattiert wurde. Etlichen Genossen ist das Ausstiegsdatum 2038 viel zu spรคt.
Am Ende gab es einen Formelkompromiss im Programm: Man bekenne sich zum Datum 2038, wรผrde sich aber irgendwie auch freuen, wenn es frรผher mรถglich wรคre. Und das in einem Regierungsprogramm?
Martin Dulig, SPD-Vorsitzender und Wirtschaftsminister, verteidigte die 2038. Obwohl er weiร, dass auch Sachsen nicht so lange Zeit hat, Lรถsungen zu schaffen. Nicht erst zu finden. Es ist ja nicht so, dass die Lรถsungen nicht schon technisch umsetzbar wรคren. Aber gerade der Koalitionspartner CDU hat die letzten zehn Jahre stets nur gebremst, was den Ausbau Erneuerbarer Energien betrifft. Man hat sich da das schlechteste aller Beispiele als Vorbild gewรคhlt: Die Verhinderungsstrategie Bayerns, dessen Ministerprรคsident Markus Sรถder den kleinen Bruder Sachsen jetzt mit der Forderung geschockt hat, Deutschland solle bis 2030 den Ausstieg schaffen.
Das erwischte dann auch Sachsens Ministerprรคsident Michael Kretschmer (CDU) auf dem falschen Fuร. Da hat man sich seit Jahren an Bayern angedient und die eigene Kohlewirtschaft als Grundlastgarant verkauft โ und dann das.
In Konturen wird dabei eine ganze Kette von Abhรคngigkeiten sichtbar โ die der sรคchsischen CDU von der Politik der bayerischen CSU. Und auch die Abhรคngigkeit der SPD von der Erneuerungsunwilligkeit der CDU. Die vergangenen fรผnf Jahre in der Regierung waren ja geradezu exemplarisch: รberall dort, wo die SPD das Land wirklich modernisieren wollte โ in der Bildungspolitik z. B. und in der Klimapolitik โ verweigerte der groรe Koalitionspartner seine Zustimmung.
Und dabei erfordert gerade die Krise der Gegenwart endlich sichtbares politisches Handeln.
โDie SPD braucht eine neue Bedeutung. Eine alte, mit sich selbst beschรคftigte Partei wird nicht gebraucht, um die neuen Fragen der Zeit zu beantworten. Was heute links heiรt, wird nicht durch einen Parteitagsbeschluss definiert, sondern ob man an den Bedรผrfnissen der Menschen dran ist und auf der Hรถhe der Zeit die Gerechtigkeitsfragen beantwortet. Eine neue SPD wird dringend gebraucht, denn die Verรคnderungswucht durch die Megatrends Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel fordern Lรถsungen, die den Menschen gerecht werden. Die Gerechtigkeitsfragen dรผrfen doch nicht die Nationalisten beantworten!โ, sagte Martin Dulig.
Eine etwas schwierige Stelle, weil sie auch wieder von der seltsamen Angst vor der AfD erzรคhlt. Was hat das mit den โMegatrends Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandelโ zu tun? Trends, die die Nationalisten der AfD bestenfalls ignorieren, aber nicht einmal die Idee einer Lรถsung vorschlagen. Das zieht nur bei einem Teil der Gesellschaft, jenem, der glaubt, man kรถnne immer so weitermachen wie bisher und kรถnne sich den Verรคnderungen verweigern, indem man einfach die Schotten dicht macht.
Am 21. Juni erst demonstrierten in Aachen tausende Jugendliche bei โFridays for Futureโ. Die jungen Leute wissen, dass sie alles ausbaden mรผssen, was die Politikverweigerer von heute anrichten. Und in Wahlergebnissen zeigt sich lรคngst, dass jene Parteien wachsenden Zuspruch bekommen, die wirklich handfeste Vorschlรคge machen โ aktuell sind es die Grรผnen, die nun einmal davon profitieren, dass andere Parteien wie das Kaninchen auf die Schlange auf die AfD starren.
Das lenkt auch die SPD von ihrer Kernbotschaft ab. Auch in Sachsen, denn auch der Freistaat kรถnnte anders aussehen, wenn nicht Schmalhans Finanzminister wรคre.
Das skizzierte Dulig auch ein wenig: โZu meinem Sachsen gehรถrt auch eine andere Art zu wirtschaften. Wir mรผssen klรผger produzieren und klรผger konsumieren. Wir setzen auf Ressourcenbewusstsein und nutzen die Chancen des Leichtbaus. Wir warten nicht bis zum Kohleausstieg 2038, sondern investieren jetzt in Wind- und Sonnenenergie. In Sachsen stehen dann Energiespeicher, die die Grundlastfรคhigkeit der Erneuerbaren Energien sichern. Intelligente Netze sind dann Standard. Die dann grรผne LEAG und die grรผne MIBRAG sind weiterhin die wichtigsten Energieunternehmen in den Regionen. In unserem Sachsen werden Elektrofahrzeuge gebaut und die Brennstoffzelle entwickelt. Wir setzen auf Wasserstoff und auf synthetischen Kraftstoff. Wir stรคrken den Rohstoffkreislauf durch Recycling.โ
Ob LEAG und MIBRAG freilich in Sachsen bleiben, ist vรถllig offen. Denn das Tempo des Kohleausstiegs bestimmt nicht die Staatsregierung, das bestimmen die Kommunen, so wie Leipzig, dass 2023 aus der Abhรคngigkeit von der Kohle raus will.
Und nach wie vor agiert die Staatsregierung dabei mit falschen Zahlen.
Klimarettung? Da wird Newton be-scheuert! โ Die Anstalt vom 09.04.2019 | ZDF
Das wรคre das Allererste, was geรคndert werden muss. Wer die zwei Kohleunternehmen grรถรer und unverzichtbarer malt als sie sind, verbaut sich selbst die Sicht auf all das, was schon lange mรถglich ist.
Worauf am Samstag auch der klimaschutzpolitische Sprecher der Linksfraktion im Sรคchsischen Landtag, Marco Bรถhme, der als parlamentarischer Beobachter bei den internationalen Klimaschutzprotesten am Tagebau Garzweiler war, zu sprechen kam. Er kommentierte quasi aus der Ferne die โSchรผler-Klimakonferenzโ in Leipzig mit Ministerprรคsident Kretschmer.
โCDU-Ministerprรคsident Kretschmer und sein SPD-Stellvertreter Dulig argumentieren in der Kohle-Debatte mit vรถllig รผberhรถhten Zahlen: So seien in Sachsen 27.000 Arbeitsplรคtze direkt oder indirekt von der Kohle abhรคngig. Tatsรคchlich, das ergibt die Auswertung einer Aktuellen Kleinen Anfrage von mir, sind es ca. 4.800 (davon 2.047 direkt Beschรคftigte) โ heute. Wie viele davon in den dreiรiger Jahren noch im Erwerbsalter sein werden, hat die Staatsregierung auch noch nicht verraten. Doch nach Berechnungen im Auftrag des Bundesministeriums fรผr Wirtschaft und Energie ist die Zahl der im Bereich der Erneuerbaren Energien Beschรคftigten in Sachsen allein zwischen 2012 und 2016 von knapp 17.000 auf 15.000 zurรผckgegangen, vor allem aufgrund der politischen Blockade der sauberen Energien durch die CDU-gefรผhrte Staatsregierungโ, stellt Bรถhme fest.
Wer aber mit falschen Zahlen operiert, der kann keine belastbare Realpolitik machen. Denn der weiร gar nicht, wo er ansetzen kann.
Bรถhme: โAuf der Basis von Fake News ist keine rationale Klimadebatte mรถglich. Wir begrรผรen es, wenn Bewegungen wie ,Fridays for Futureโ Druck machen und Schรผlerinnen und Schรผler gute Vorschlรคge รผbergeben. Den kostenfreien รถffentlichen Personennahverkehr streben wir seit Jahren an โ Kretschmer/Dulig blockieren ihn, stattdessen wird nun ein Azubi-Ticket fรผr sage und schreibe 816 Euro im Jahr gefeiert. Was wir jetzt vor allem brauchen, ist schlicht Wahrheit. Wir wollen so viel wie mรถglich gut bezahlte Arbeitsplรคtze in der Energiewirtschaft und in der innovativen Industrie. Wer sich aber dem Wandel mit falschen Zahlen zugunsten des Auslaufmodells Kohle entgegenstellt, setzt auch die Perspektiven fรผr die heute jรผngeren Bergleute aufs Spiel, fรผr deren Beschรคftigung in Zukunft die Politik Sorge zu tragen hat. Unsere Initiative fรผr eine Bund-Lรคnder-Gesellschaft mit Sitz in Hoyerswerda zur Sanierung und Rekultivierung der Braunkohlereviere nach dem Vorbild von LMBV und Wismut hat die CDU/SPD-Koalition abgelehnt. Genau sie wรผrde aber den Bergleuten eine verlรคssliche Perspektive geben.โ
Klimakonferenz in Leipzig: Michael Kretschmer und der Tatendrang der Jugend + Video der Debatte & Interview Fridays Sachsen
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