2017 beschloss der Lenkungsausschuss Asyl, auch in Sachsen eine Wohnsitzauflage für Asylsuchende einzuführen. Auch der sächsische Ausländerbeauftragte stimmte zu. Vor allem sollte das verhindern, dass Asylsuchende „in Scharen“ in die Großstädte ziehen. Eigentlich könnte man ja erwarten, dass eine Staatsregierung dann auch überprüft, ob das Instrument so funktioniert wie gedacht.
„Die Wohnsitzauflage ist ein wichtiges integrationspolitisches Instrument, wenn es darum geht, die einigermaßen gleichmäßige Verteilung der Geflüchteten in Sachsen beizubehalten“, erklärte 2017 die Integrationsministerin Petra Köpping. „Wenn wir nicht gegensteuern, gibt es einen enormen Zuzug in die großen Städte, allen voran Dresden und Leipzig. Damit steigt die Gefahr, dass die Sprachkursangebote in den Städten aus allen Nähten platzen, während es im ländlichen Raum nur eine zu geringe Anzahl von Teilnehmenden gibt. Wir wollen weiterhin auch verhindern, dass die städtische Infrastruktur, zum Beispiel bei Kindertageseinrichtungen oder Schulen, an ihre Belastungsgrenze gerät. Integration bedeutet fördern und fordern, insoweit ist diese Wohnsitzauflage ein wichtiger Baustein zur gelingenden Integration in Sachsen. Andere Bundesländer haben uns das vorgemacht.“
Fördern und fordern?
Das wollte die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) dann doch genauer wissen, wie das funktioniert. Wie ist denn das nun mit den Sprachkursangeboten? Oder mit der Formulierung von Juliane Nagel: „Welche Sprachkurse und welche weiteren Integrationsangebote werden jeweils in den Landkreisen und Kreisfreien Städten von welchem Träger angeboten und mit welcher Auslastung wurden sie von Betroffenen des Erlasses genutzt?“
Nach einer ganzen Seite mit Erklärungen, welche rechtlichen Regelungen gelten, stellt nun Innenminister Roland Wöller summarisch fest: „Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Staatsregierung nicht zur Auskunft verpflichtet. Gemäß § 1 Satz 1 der Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler (Integrationskursverordnung – IntV) führt das BAMF als Bundesbehörde die Integrationskurse durch und gewährleistet ein ausreichendes Kursangebot. Im Übrigen liegen der Staatsregierung keine Erkenntnisse hinsichtlich der Auslastung der Sprachkurse vor.“
Keine Erkenntnisse?
Was hat das mit fördern zu tun? Sollte ein Land wie Sachsen nicht daran interessiert sein zu wissen, wie viele Asylsuchende Sprachkurse besuchen und das auch mit Erfolg? Geht es denn nicht um Integration? Darum, dass die Menschen, die oft genug für immer bei uns heimisch werden sollen, es wirklich schaffen, in unserer Gesellschaft ein selbstbestimmtes Leben zu führen?
Dazu gehört ja nicht nur die Sprachbeherrschung. Dazu gehören ja auch eine eigene Wohnung, ein Ausbildungs- oder ein Arbeitsplatz. Wie sieht es damit aus, wollte Juliane Nagel wissen.
Der Minister gab sich amtlich ahnungslos: „Die in der Fragestellung genannten Angaben werden weder durch die Ausländerbehörden statistisch erfasst noch können diese durch eine händische Auswertung der Akten ermittelt werden, da diese in den Ausländerakten nicht enthalten sind.“
Und wie sieht das mit dem „Risiko Segregation“ aus, das Petra Köpping ja mit der Formel vom „enormen Zuzug in die großen Städte“ beschworen hat?
„In welchen Gebieten des Freistaates Sachsen sieht die Staatsregierung das ‚Risiko der Segregation‘ und inwieweit hat der Erlass dazu beigetragen, dieses Risiko zu minimieren beziehungsweise zu eliminieren?“, fragte Juliane Nagel. „Wie und anhand welcher Indikatoren wird das Risiko wie die möglicherweise vorhandene Minimierung beziehungsweise Eliminierung gemessen?“
Die Antwort des Innenministers: „Von einer Beantwortung wird abgesehen. Die Frage ist auf eine Bewertung gerichtet, die die Staatsregierung bisher nicht getroffen hat. Zur Abgabe einer Bewertung ist die Staatsregierung nicht verpflichtet. (…) Im Ãœbrigen wird auf die Antwort der Staatsregierung auf die Frage 2 der Kleinen Anfrage Drs.-Nr. 6/15480 verwiesen.“
Und wie lautete die damals, als Juliane Nagel zum ersten Mal zu den Wirkungen der Wohnsitzauflage anfragte?
„Auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse und Erfahrungen werden die Ziele des Erlasses vom 16. Februar 2018 zur Regelung des Wohnsitzes von Personen, die nach § 123 Absatz1 AufenthG einer Verpflichtung zur Wohnsitznahme im Freistaat Sachsen unterliegen, aus Sicht der Staatsregierung erreicht. Integrationshemmenden Verwerfungen zwischen den Landkreisen und Kreisfreien Städten wird durch die Verhinderung einer ansteigenden Konzentration des betroffenen Personenkreises in den Städten Dresden, Leipzig und Chemnitz entgegengewirkt. Darüber hinaus wird mit der Umsetzung des Erlasses vor allem im ländlichen Raum dazu beigetragen, dass Integrationsangebote besser planbar sind und genutzt werden. Für die Leistungsträger wird die Integrationsarbeit durch die Einschränkung der Mobilität (Reduzierung von häufigen Umzügen und dauerhaften Aufenthalten bei Verwandten) und die damit verbundene bessere Erreichbarkeit erleichtert.“
Das sind zwar wieder die Erwartungen, die man zur Wohnsitzauflage hatte. Aber konkrete Zahlen hat wieder niemand abgefragt.
„Am 12.04.2019 empfahl der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) jedoch in einer Pressemitteilung eine externe Evaluierung der Effekte der Wohnsitzauflage“, stellte nun Juliane Nagel fest. Und fragte deshalb: „Sieht die Staatsregierung weiterhin keine Veranlassung einer Evaluation der Wirksamkeit der landesinternen Wohnsitzauflage und wenn ja, weshalb nicht, insbesondere in Bezug auf die Empfehlung des SVR? Wenn nicht, wann wird sie erfolgen und veröffentlicht?“
Und als hätte der Minister auf so eine Frage nur gewartet, antwortet Roland Wöller: „Die Staatsregierung sieht auch vor dem Hintergrund der Empfehlungen des SVR vom 12. April 2019 keine Notwendigkeit einer Evaluierung der landesinternen Wohnsitzregelung nach Maßgabe des Erlasses des Sächsischen Staatsministeriums des Innern vom 16. Februar 2018.“
Man verlasse sich lieber darauf, was die Unteren Ausländerbehörden so melden. Wöller: „Die Staatsregierung sieht indes das integrationspolitische Ziel der landesinternen Wohnsitzregelung als erreicht an. Insbesondere von Seiten der unteren Ausländerbehörden wird in positiver Hinsicht die bessere Planbarkeit und zügige Vermittlung von Integrationskursen sowie die erleichterte Versorgung mit angemessenem Wohnraum hervorgehoben. Seit dem Inkrafttreten der landesinternen Wohnsitzregelung im April 2018 verringert sich daneben der Zuzug bzw. die Konzentration der betroffenen Ausländer in Dresden, Leipzig und Chemnitz, sodass eine Überlastung der dort vorhandenen Integrationskapazitäten verhindert werden kann.“
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